Menschliches Drama in der Eiswüste des Nichts

Diana Preston erzählt die Geschichte Robert F. Scotts und seiner Expedition zum Südpol

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahre 1911 bricht der britische Polarforscher Robert Falcon Scott zusammen mit einer vierköpfigen Mannschaft zu einem der atemberaubendsten Abenteuer, zu einem der noch übrig gebliebenen Geheimnisse des Globus auf: Er will als erster Mensch den Südpol erreichen. Was ihn und seine Männer zu diesem gefährlichen Unternehmen treibt, ist eine Mischung aus Waghalsigkeit, Abenteuerlust und Expeditionsgeist, aber vor allem der innige Wunsch, dem Vaterland England zu dienen und dessen Ruhm in der Welt zu vergrößern. Und so setzt sich die Expeditionsgruppe den widrigsten, menschenfeindlichsten Bedingungen aus, die man sich vorstellen kann: Sie erleiden Erfrierungen, haben mit Unglücken und unvorhergesehenen Zwischenfällen zu kämpfen. Die Unternehmung gerät zu einem Wettlauf, einer fast manisch ausgetragenen Fehde mit der Zeit, als Scott von Roald Amundsen, dem norwegischen Polarforscher, erfährt, dass dieser ebenfalls auf dem Weg zum Pol ist. Der Rest der Geschichte ist bekannt und für seine Tragik mindestens ebenso berühmt-berüchtigt wie der Untergang der Titanic. Als Scott endlich am Pol anlangt, erlebt er die bitterste Niederlage seines Lebens. Amundsen war der Schnellere.

Scott schreibt an jenem denkwürdigen 16. Januar 1912 in sein Tagebuch: "Das Schlimmste oder beinahe das Schlimmste ist passiert. [...] Die Norweger sind uns zuvorgekommen und waren die ersten am Pol. Es ist eine furchtbare Enttäuschung, und es tut mir sehr leid für meine treuen Gefährten." Nach einem dreitausend Kilometer langen Marsch trennt Scott und seine Mannschaft auf dem Rückweg zum Schiff lediglich ein Tagesmarsch von einem lebensrettenden Lebensmitteldepot, als sie vor Hunger und Erschöpfung zusammenbrechen und nicht mehr weiter können. Seinem Tagebuch vertraut Scott in jenen furchtbaren Stunden vor dem Tod an: "Wir müssen bis zum Ende durchhalten, aber natürlich werden wir schwächer, und das Ende kann nicht mehr fern sein. Es ist schade, aber ich glaube nicht, dass ich weiterschreiben kann. [...] Um Gottes willen, kümmert euch um unsere Leute."

Die Historikerin Diana Preston, zeichnet in ihrem Buch über Scotts letzte Fahrt zum Südpol den langen Weg der Expedition bis hin zu ihrem Scheitern nach. Behutsam beleuchtet sie die einzelnen Teilnehmer der Unternehmung und schildert ihre Charaktere, Ängste, Hoffnungen während der Vorbereitung der Expedition und auf dem Weg zum Pol. Preston, die für ihr Buch selbst die Antarktis bereiste, versteht es, die persönlichen Konflikte und Seelenzustände der Polarforscher in ihren historischen Hintergrund, in ihre Zeit einzubetten - sie zeigt den Menschen im Forscher. So ist sie imstande, ein atmosphärisch sehr dichtes Bild der Expedition zu zeichnen, bei dem deutlich wird, dass Robert F. Scott keinesfalls immer ein starker Anführer ohne Selbstzweifel gewesen ist, sondern oft tiefes Misstrauen gegen sich selbst hegte und sich über die Richtigkeit seines Tuns in vielen Fällen nicht im klaren war. Ebenfalls sehr plastisch wirkt die Schilderung der Expedition vor dem Hintergrund ihrer Zeit; einer Zeit, in der Begriffe wie Ehre und Wettkampfgeist einen hohen Stellenwert hatten und Männer wie Scott und seine Gefährten dazu ermutigten, für die Krone das unbekannte Terrain zu erforschen.

Somit ist der Autorin eine sehr empfehlenswerte Dokumentation gelungen, die gleichermaßen fesselt wie anrührt. Eine Dokumentation, die Zeugnis ablegt von einer der letzten großen Expeditionen der Moderne, die trotz Entbehrungen und unmenschlicher Bedingungen nur das eine Ziel vor Augen hatte: Als erster Mensch am letzten, noch nicht durchkartographierten Punkt des Globus zu sein- dem Südpol.