Literatur vermitteln – wozu?

Ein neuer, von Stefan Neuhaus und Oliver Ruf herausgegebener Sammelband untersucht alle Aspekte von Literaturvermittlung und möchte neue Perspektiven zu diesem Thema eröffnen

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende umfangreiche Band „Perspektiven der Literaturvermittlung“ versammelt die Beiträge einer internationalen Fachtagung, die im Juni 2010 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck abgehalten wurde. Die Herausgeber Stefan Neuhaus (Prof. der Germanistik an der Universität Innsbruck) und Oliver Ruf (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Sprache und Literatur in Dortmund) versuchen mit diesem Sammelband alle Aspekte der Literaturvermittlung abzudecken und neue Wege für Diskussionen und Erweiterungen des Begriffes zu eröffnen.

In den darin versammelten Beiträgen sollen möglichst alle Bereiche dieser Disziplin angesprochen werden: Text und Kontext, Literatur und ihre Vermittlung in der Vergangenheit und Gegenwart, professionelle und amateurhafte Literaturkritik, Buchhandel und Verlagswesen mit ihren unterschiedlichen Marketingstrategien, das Archivwesen, Literaturunterricht und pädagogische Möglichkeiten der Literaturvermittlung, DaF-Unterricht und sein Beitrag zur Vermittlung literarischen Wissens und Autorenreisen- und Lesungen als Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme zwischen Autor und Leser.

Die unterschiedlichen Themen werden von Vertreter aus allen Aktionsbereichen der Literaturvermittlung behandelt, so sind Literaturwissenschaftler ebenso vertreten wie Journalisten, Autoren, Verleger, Berufskritiker und Lehrer. In ihrem Vorwort betonen die Herausgeber die zunehmende soziale Bedeutung von Literaturvermittlung, da der Literaturbetrieb nicht isoliert zu betrachten ist, sondern immer Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse hat. Die Forschung zur Thematik der Literaturvermittlung steht noch am Anfang, die vorliegenden Beiträge sollen Impulse zu einer intensiveren Beschäftigung mit derselben geben und eine mögliche Konzeption der Literaturvermittlung als akademische Disziplin ermöglichen.

Der erste Teil des Sammelbandes beschäftigt sich mit dem weiten Feld ,Text und Kontext‘ und geht der Frage nach, welche Rolle Ästhetik und Poetik im Kontext der Literaturvermittlung spielen. In Volker Ladenthins Aufsatz geht es beispielsweise um die brisante Frage, ob man Literaturvermittlung lernen kann beziehungsweise welche Urteilskraft ein Kritiker braucht, um ein literarisches Kunstwerk gerecht beurteilen zu können. Auch die nicht unbedeutende Rolle des jeweils gültigen Kanons und der gesellschaftlich-sozialen Normen werden hierbei hinterfragt. Wolfgang Pöckl beschäftigt sich mit dem neuerdings sehr modernen und inflationär gebrauchten Schlagwort der ,Wirkungsäquivalenz‘ aus dem Bereich der Translationswissenschaften und nennt ihn als eine Bedingung für einen gelungenen Kulturtransfer. Das wissenschaftliche Schreiben und der Erwerb für eine entsprechende Kompetenz stehen im Mittelpunkt von Michael Huters Untersuchungen.

Im zweiten Teil des Bandes wird den unterschiedlichen Formen von Literaturvermittlung in der Vergangenheit und Gegenwart nachgegangen. Populäre Familienjournale des späten 19. Jahrhunderts werden in Christof Hamanns Beitrag auf ihre Bedeutung innerhalb des literarischen Systems des Realismus hin untersucht. Sie waren Massen wirksame Publikationsorgane, die durch ihre Verknüpfung von Unterhaltung und Belehrung maßgeblich an der Literaturvermittlung auf breiter Basis mitgewirkt haben.

Verena Zankl widmet sich in ihrem überaus interessanten Aufsatz der Literaturvermittlung in der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg und analysiert die tragende Rolle des Französischen Kulturinstitutes in Innsbruck (gegründet im Juli 1946) und seiner Mitarbeiterin Lilly Sauter im kulturellen und literarischen Lebens der Tiroler Nachkriegszeit. Mit den vielzähligen Veranstaltungen zur französischen Kunst- und Literaturszene wurden österreichische Nachkriegskünstler nachhaltig beeinflusst. Lilly Sauter war aber auch neben ihrer Arbeit am Kulturinstitut durch ihre intensive Übersetzungstätigkeit eine wichtige Vermittlerin von französischer Literatur.

Doris Moser lotet die Problematik medialer Körper-Inszenierung von Autorenpersönlichkeiten anhand von Zeitschriftencovers und Autorenfotos aus und untersucht, inwiefern der literarische Text des so inszenierten Autors zur Geltung kommt. Michael Braun untersucht den verflachten Begriff der Gegenwartsliteratur in seinem literaturwissenschaftlichen und literaturkritischen Gebrauch und bespricht Wendejahre wie 1945, 1968 und 1989, die neben ihren historischen Dimensionen auch jeweils eine literarische Zäsur markieren. Braun plädiert zudem für eine Ausweitung des Begriffs der Gegenwartsliteratur unter Berücksichtigung des gesamteuropäischen Literaturraumes.

Mit der Gegenwartslyrik beschäftigt sich der darauffolgende Aufsatz von Sieglinde Klettenhammer und Wolfgang Wiesmüller, in dem es um die Bedeutung von Lyrikpreisen innerhalb des Literaturbetriebes geht. Genauer analysiert werden hierbei die Vergabemodalitäten, Begutachtungsverfahren und Zusammensetzungen der Jury des Darmstädter Leonce-und-Lena-Preises (seit 1967) und des Lyrikpreises Meran (seit 1992). Diese beiden Literaturpreise haben durch ihre zunehmende Beachtung seitens der Literaturkritik mittlerweile eine tragende Rolle innerhalb der Literaturvermittlung eingenommen.

Der letzte Beitrag des zweiten Teiles von Martin Fritz widmet sich dem Internet, nicht nur in seiner Funktion der medialen Vermittlung von Literatur, sondern untersucht auch die spezifisch neuen Formen der literarischen Kommunikation, die dadurch ermöglicht werden. Den dritten Teil des Sammelbandes eröffnet die Literaturkritikerin Brigitte Schwens-Harrant indem sie der Frage nachgeht, welche Eigenschaften einen guten Literaturkritiker eigentlich auszeichnen und welche Instanz (Literaturwissenschaft, Publizistik oder Medienwissenschaften) für die Literaturkritik an sich wirklich zuständig ist.

Ruth Selhofers Beitrag beschäftigt sich mit der Literaturkritikforschung an sich, wobei kritisch aktuelle Bucherscheinungen zum Thema beleuchtet und durch neue Perspektiven erweitert werden. Die verschiedenen Funktionen von Literaturkritik sind, so betont die Verfasserin, immer zeit- und ideologieabhängig. Als Ergänzung zur traditionellen Literaturkritik befasst sich Gerhard Hacker mit bibliothekarischen Buchbesprechungen und Amateurrezensionen im Internet und spricht sich für eine Aufwertung dieser Sonderformen im Feld der Literaturvermittlung aus. Aus der Perspektive von Autoren und ihren Texten zeigt Michael Pilz wie Literaturkritiker in das literarische Werk von Thomas Mann, Oskar Maria Graf und Frank Wedekind Eingang gefunden haben. Im Mittelpunkt des Abschlussbeitrages zum Themenbereich der Literaturkritik stehen in Peter Uwe Hohendahls Untersuchung Theodor W. Adorno und seine literaturkritischen Arbeiten. Der vierte Themenbereich widmet sich neuen Tendenzen im Buchhandel und Verlagswesen. So gewährt Marc Reichwein aufschlussreiche Einblicke in das vornehmlich markorientierte Phänomen des ,Corporate Publishing‘ durch nähere Untersuchungen von Kundenmagazinen von Buchhandlungen und von Verlagsprospekten. Daniela Völker verortet ein zunehmendes Verschwinden der ,klassischen‘ Pressearbeit und gibt strategische Tipps für eine erfolgreiche, zeitadäquate Medienarbeit. Der nächste große Themenbereich lenkt den Fokus auf das Archiv als wichtigen Ort für Literaturvermittlung.

Oliver Ruf analysiert einleitend den Zusammenhang von Archiv und literarischem Kunstwerk als Medium sozialer Kommunikation. Claude D. Conters Aufsatz stellt die Frage, wie und ob Literaturarbeit im Archiv austellbar ist und entwirft ein idealtypisches Modell eines Literaturarchivs. Ergänzend dazu beschreibt Johann Holzer die Arbeiten eines Regionalarchivs, wenn er die vielfältigen Arbeitsgebiete des Brenner-Archivs in Innsbruck vorstellt. Murray G. Halls Schilderungen über die einst für Linz geplante „Führerbibliothek“ und die Aufarbeitung der damit verbundenen Restitutionsverfahren bilden einen spannenden Abschluss dieses kompakten, sehr praktisch orientierten Sammelbandteils.

Im sechsten Kapitel dreht sich alles um Literaturvermittlung im Unterricht. Sowohl der schulische Unterricht zur Stärkung der allgemeinen Lesekultur, Lehrmaterialien zur Literaturvermittlung im DaF-Unterricht als auch die Integration von außerschulischen Lernorten (Stichwort „Outdoordidaktik“) werden in den Beiträgen von Dieter Wrobel, Peter Giacomuzzi, Gerhard Rupp, Nicole Abstiens und Maximilian Reinsch diskutiert. Alena Petrova kritisiert zudem die fehlende Literaturvermittlung an Übersetzungsinstituten, die angehenden Übersetzern den Umgang mit literarischen Texten erleichtern würde.

Der abschließende Teil des Sammelbandes mit dem etwas unklaren Titel „Unterwegs“ ist ganz spezifischen Formen der Literaturvermittlung gewidmet. Gunter E. Grimm durchleuchtet die Bedeutung von Dichter-Lesereisen und Lesungen, Bodo Plachta stellt das Dichterhaus als literarischen Erinnerungsort vor und Waltraut Fritsch-Rößler entführt den Leser in das Wolfram von Eschenbach-Museum in Ansbach. Hans-Peter Ecker stellt in seinem abschließenden Beitrag die Verbindung zwischen Wirtschaft und Literaturwissenschaft her, wenn er die Möglichkeiten von Literaturvermittlung in der Kreativwirtschaft auslotet.

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Stefan Neuhaus / Oliver Ruf (Hg.): Perspektiven der Literaturvermittlung.
Studien Verlag, Innsbruck 2011.
430 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783706550062

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