Die Schmöker-Queen Irlands

Maeve Binchys neuer page turner

Von Hans Christian KoslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans Christian Kosler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Sie mag ihre Leute", schwärmt die Buchhändlerin, während uns der Bus durch Dublins Rushhour steuert. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit: In Dublin, und gleich in dem Vorort Dalkey, in dem sie seit ihrer Kindheit lebt, dürfte es kaum jemanden geben, der nicht ein bißchen stolz auf "Queen Maeve" ist. Das kleine Irland, bei seinen europäischen Nachbarn berühmt-berüchtigt durch seine trinkfesten und sangesfreudigen Bewohner, hat mit Yeats, Shaw, Joyce, Beckett und Seamus Heaney gleich fünf Nobelpreisträger hervorgebracht, aber es besitzt nur eine echte Bestsellerautorin: Maeve Binchy.

Unter den irischen Top 100 des Jahrhunderts belegt die 58jährige gleich drei der ersten fünf Plätze. Und es könnten noch mehr werden. Seit sie 1982 ihren ersten Erfolg landete, hat sie ihre Auflagen stetig gesteigert, und mit ihrem neuen Roman "Ein Haus in Irland" lief zum ersten Mal ein Binchy-Seller vom Stapel, der es in Großbritannien schon in der Startauflage auf eine Million Exemplare brachte.

Wir fahren an der Küste entlang und passieren den auf einer Landzunge gelegenen Turm, in dem Joyce seinen "Ulysses" beginnen ließ. Während sich der Schöpfer des modernen Romans mühselig als Sprachlehrer über Wasser halten mußte, hat sich die Schmöker-Produzentin quasi mit links ein stattliches Vermögen erschrieben. Daß Maeve Binchy trotz ihres Erfolgs die nette Frau von nebenan geblieben ist, mag zu ihrer großen Popularität beigetragen haben. Polly Villa, das um 1900 erbaute Haus mit den beiden Erkerfenstern, das sie noch vor dem großen Erfolg gekauft hat, gehört zu den bescheideneren Domizilen von Dalkey. Etwas weiter südlich residiert hinter dicken hohen Mauern Bono von der Rockgruppe U2. "Immer, wenn wir da vorbeifahren", bemerkt Maeve Binchy lachend, "rufen wir ,We love you all' aus dem Fenster. Er braucht das einfach."

Vorher hat sie dem deutschen Journalisten mit einem ebenso herzlichen wie saloppen "I am Maeve" zu verstehen gegeben, daß sie selbst nichts lähmender findet als ehrerbietige Bewunderung. So wie sie da vor einem steht, groß und von einer auskragenden Körperfülle, die mit ihren Auflagen durchaus mithalten kann, wirkt dieser Vulkan an Witz, Temperament und Energie fast ein wenig zu einnehmend für ihr geschmackvoll, aber nicht protzig eingerichtetes Heim.

Aus der Klosterschule hat sie gelernt, daß man sich nicht heilig zu fühlen braucht, um beten zu können. Mit dem Schreiben sei es nicht viel anders: Wer nur auf die große Inspiration hoffe, könne unter Umständen Jahre warten. Mit dieser gesunden Despektierlichkeit gegenüber dem Schöpfungsakt und einer eisernen Disziplin erschreibt sie sich bis zu 16 Manuskriptseiten am Tag. Viel zu viel, wie sie völlig unkokett meint; gottlob wüßten wenigstens ihre Londoner Verlegerin und ihre Agentin, wann eine Passage zu lang geraten sei. Knapp ein halbes Jahr braucht sie für einen ihrer 600 Seiten starken page turner, ehe er in die englischen und irischen Buchhandlungen gelangt, wo ihn dann eine erwartungsfrohe Leserschaft ans Herz drückt.

Ist Maeve Binchy, die wie die milde Landesmutter ihrer rauhen Insel wirkt, eine irische Rosamunde Pilcher? Der Vergleich liegt nahe, zumal beide ähnlich erfolgreich das Hohelied der Familie in Form einer soap opera anstimmen. Doch während die Sphinx aus Cornwall eher die Klientel von "Schöner Wohnen" bedient und in überbordenen Bildern das stilvolle Leben auf dem Lande preist, spricht Maeve lieber dialogreichen Klartext. Statt den Märchenprinzen ins Gefecht zu schicken, stattet sie ihre Romane mit typischen everyday people aus. Ihren Heldinnen könnte es kaum passieren, daß sie sich erst in einen egozentrischen Künstler verlieben, um nach komplizierten Umwegen doch noch an den soliden Landbesitzer zu geraten. Ihr Zugang zum anderen Geschlecht ist realistischer. Dennoch gibt in "Ein Haus in Irland" die auf Heim und Herd fixierte Ria dem Falschen das Jawort: dem windigen Charmeur Danny, der sie mit diversen Frauen betrügt. Anders jedoch als in den üblichen Vergeltungs-Schmonzetten wird weder der Charmeur verteufelt, noch schmiedet Ria Rachepläne. Durch einen Haustausch gelangt sie in die USA, wo sie das angeknackste Selbstbewußtsein stärken kann.

Binchys übergroßes Herz und ihr gesunder Menschenverstand lassen den kleinkarierten Krieg der Geschlechter nicht zu. Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsgeist und Ausbreiten des sozialen Netzes helfen ihren Romanfrauen aus der emotionalen Patsche, nicht der nächste Mann, bei dem alles anders und besser wird. Daß sie selbst mit diesen Tugenden nicht knausert, weiß in Dublin fast jedes Kind. So verblüfft sie uns alle mit der Frage, ob der Reporter denn das Tweed-Jackett bekommen habe, das er sich kaufen wollte. Autoren, die sich für die Privatangelegenheiten von Journalisten interessieren, sind selten. Maeve Binchy ist eben anders. "Okay, ich bin dick", soll sie einmal gesagt haben, "aber dafür vergißt man mich nicht." Womit sie völlig recht hat.

Titelbild

Maeve Binchy: Ein Haus in Irland. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann u. a.
Verlag?, München 1999.
668 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3426195011

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