Gute Plagiate und textimmanente Romanpassagen

Elena Tresnaks Versuch über literarische Weiblichkeitskonzepte bei Theodor Fontane und Helene Böhlau

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch nach mehr als 100 Jahren ist Theodor Fontane einer der prominentesten Autoren des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Helene Böhlau wiederum zählt zu den bekanntesten Schriftstellerinnen der Zeit. Das heißt aber keineswegs, dass ihre Namen den Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts gleichermaßen geläufig wären, ganz zu schweigen von ihren Werken. Von ihm hört jedes Kind bereits in der Schule – zumindest sofern es das Glück hat, eine der früher sogenannten höheren Schulen zu besuchen –, von ihr hingegen wohl kaum eines. Warum das so ist, hat nicht unbedingt mit der literarischen Qualität ihrer jeweiligen Werke zu tun, sondern mit deren Kanonisierung, und diese wiederum – auch – mit der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit der beiden SchriftstellerInnen. Denn nicht nur in der Welt der Banken und des Managements gibt es einen Genderbias, sondern auch in der Welt der Literatur. Hier wie da hängt dies mit Geschlechterrollenklischees, den Gender-Konstruktionen und den Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zusammen. Die gibt es nun selbstverständlich nicht nur in der realen Welt, sei es die der Banken und Manager oder die der Literatur, sondern auch in literarischen erdachten. Die wiederum, auch das versteht sich, nicht etwa von einem demiurgenhaften Genius aus dem Nichts geschaffen, sondern in den realen Gesellschaften von Männern und Frauen erdacht werden.

Elena Tresnak hat sich nun in ihrer Dissertation die Aufgabe gestellt, die Geschlechterkonstruktionen in den Romanwelten von Fontanes „Cécile“ und Böhlaus „Rangierbahnhof“ vergleichend zu erörtern und vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Frauenbewegung „die Frage nach der Fortschrittlichkeit der Romane und nach ihrem emanzipatorischen Potential“ zu beantworten. Außerdem geht es ihr darum, „am Beispiel Böhlaus die ambivalente Haltung von Autorinnen zu ihrem eigenen Geschlecht und ihrer eigenen literarischen Tätigkeit näher zu beleuchten“ und zu diesem Zweck „das persönliche (möglicherweise ambivalente) Kunstbewusstsein und Selbstverständnis der Autorin zu analysieren“.

In ihren „Vorüberlegungen“ zur eigentlichen Untersuchung meldet sie allerdings Bedenken dagegen an, „Werke an autobiographisches Material ‚rückzukoppeln‘“. Zwar lässt sich gegen ein solches gerade gegenüber Autorinnen gerne gepflegtes Vorgehen tatsächlich einiges einwenden, setzt es doch oft das künstlerische Vermögen der Schriftstellerinnen zumindest implizit herab. Tresnak begründet ihren Einspruch gegen das Verfahren nun allerdings mit dem Geschlecht der Literatinnen. „Frauentexte“, so meint Tresnak nämlich, stellten „nicht immer das zuverlässigste Material authentischer Weiblichkeit“ dar. Das mag zwar so sein, allerdings unterscheidet sie dies nicht von Männertexten. Tresnak belässt es nun nicht bei diesem wenig überzeugenden Begründungsversuch, sondern versteigt sich zu der aparten Ansicht, „mitunter verfass(t)en Schriftstellerinnen im Zuge ihres Zwiespalts zwischen internalisierten Rollenklischees und Aufbruchsphantasien, zwischen Anpassungswunsch und Streben nach Autonomie gar die besten Plagiate männlicher Schreibweisen.“ Mögen sie auch schlecht begründet sein, so veranlassen Tresnak ihre Bedenken zu der Versicherung, „weitgehend auf eine Einbeziehung autobiographischen Materials (z.B. persönliche Aussagen, Briefe, Essays, einschneidende Lebenseinschnitte etc.)“ verzichten zu wollen. Lange hält dieser Vorsatz allerdings nicht. So zieht sie schon wenige Seiten später Böhlaus Autobiografie und kurz darauf auch Briefe Fontanes heran, aus denen sie besonders gerne zitiert.

Tresnak gliedert ihre Arbeit in die „drei großen Untersuchungsfelder ‚Möglichkeiten weiblicher Sozialisation‘, ,Ehe, Moral und Geschlecht‘ sowie ‚Krankheit als Form des Widerstands‘“. Jeder der Abschnitte enthält „einen historischen und einen werkimmanenten Teil“, wobei „die Kapitel, die einen historischen Überblick verschaffen, den entsprechenden textimmanenten Romanpassagen vorangestellt“ sind. Aufgabe letzterer ist es, „der Frage nachgehen“, ob Fontane und Böhlau „die konventionellen Weiblichkeitsklischees bestätigten oder aufbrachen.“ Während Fontanes Roman „einer kritischen Aufmerksamkeit gegenüber den Implikationen konventioneller Rollenzuweisung Vorschub leistet“, sei „Böhlaus Oszillation zwischen traditionellen und innovativen Konzepten“ ein „ Charakteristikum“ des Romans „Rangierbahnhof“ und anderen Werke der Autorin, lautet Tresnaks Fazit.

Ein Wort noch zu Tresnaks Interpretationsverfahren. Nun spricht sie zwar ein ums andere Mal davon, eine „textimmanente Untersuchung“ der beiden Romane vorzunehmen, doch missversteht sie diesen literaturwissenschaftlichen Basisbegriff gründlich. Denn es ist eben gerade keine „textimmanente Untersuchung“, wenn sie „die in den Romanen Theodor Fontanes und Helene Böhlaus skizzierten Weiblichkeitskonzepte auf Basis sozio-politischer, kultureller und medizinischer Realitätskonstruktionen“ beleuchtet und die Protagonistinnen der Romane „unter Bezugnahme auf die soziologischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen vergleichend untersucht“. Doch mehr noch, als darüber, dass einer Promovendin ein derart eklatantes Missverständnis unterläuft, wundert man sich darüber, dass ihr Doktorvater Claus-Michael Ort sie nicht darüber belehrt hat, was unter einer textimmanenten Interpretation zu verstehen ist.

Erstaunliches bietet auch der Klappentext. Informiert er doch darüber, dass die Autorin als Lektorin tätig ist. Das Erstaunen stellt sich allerdings erst während der Lektüre des Inhalts ein. Denn sich durch den alles andere als lesefreundlich formulierten Text zu kämpfen, ist angesichts seines doch eher geringen Erkenntniswertes eine Anstrengung, die eines besseren Buches Wert wäre.

Titelbild

Elena Tresnak: Theodor Fontane. Wegbereiter für weibliche Emanzipation um 1900? Vergleichende Untersuchung literarischer Weiblichkeitskonzepte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Theodor Fontanes ‚Cecile’ und Helene Böhlaus ‚Der Rangierbahnhof’.
Igel Verlag, Hamburg 2011.
277 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783868155457

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