Sechs Jahre Terror

Andrea Löw und Markus Roth erzählen die Geschichte der „Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939–1945“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Einleitung zu ihrem Buch „Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939 – 1945“ schreiben die beiden Autoren Andrea Löw und Markus Roth, dass sie „über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung unter deutscher Besatzung“ informieren wollen. Das irritiert einen kurzen Moment: Warum wird nicht benannt, was während der sechsjährigen deutschen Besatzung in Krakau tatsächlich mit den Menschen passierte? Das war nicht irgendeine Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Krakau. Es war eine Auslöschung, eine Vernichtung, ein tausendfacher Mord. Von den ca. 60.000 Juden, die am 6. September 1939, dem Tag des deutschen Einmarsches, in Krakau lebten, überlebten nur 4.000 die Zeit der deutschen Besatzung.

Der Leidensweg der jüdischen Bevölkerung Krakaus begann unmittelbar, nachdem die Deutschen in die Stadt eingezogen waren. Krakau war ihnen wichtig: Auch um Warschau, die polnische Hauptstadt, zu degradieren wurde Krakau mit Bezug auf vermeintlich deutsche Wurzeln Dienstsitz des „Generalgouvernement für die besetzten Gebiete in Polen“. Mit dem ihm eigenen Pomp war Hans Frank als „Generalgouverneur“ im November 1939 in das alte Krakauer Königsschloss eingezogen. Das korrupte und brutale Regiment des „Königs von Polen“ zielte – neben der persönlichen Bereicherung – auf die Zerstörung der polnischen Kultur und der sie tragenden Institutionen und Personen sowie, damit einhergehend, auf die Vertreibung der Juden. Frank, so erläuterte er seinen Gefolgsleuten, hielt es im Interesse des deutschen Reiches in „seiner“ Residenz für „unmöglich, daß die Repräsentanten dieses Reiches gezwungen seien, beim Betreten oder Verlassen des Hauses mit Juden zusammenzutreffen, daß sie der Gefahr unterliegen von Seuchen befallen zu werden.“

Was das bedeutete, hatten die Juden schon erleben müssen: eine stetige Entrechtung und offene Gewalt gegen sie in den Straßen der Stadt. Nun sollten sie bis auf einige wenige unentbehrliche Handwerker und Fachkräfte aus Krakau entfernt werden. „Umsiedlung“ nannte sich diese Aktion, und zur Umsetzung bedienten sich die Deutschen des von ihnen zwangsweise eingesetzten „Judenrates“. Doch die Aktion ‚enttäuschte‘ ihre Urheber. Trotz unglaublicher Gewalt und Terror, war die Stadt nicht „judenfrei“.

So begann die zweite Etappe des Leidenswegs. Im März 1941wurde im Stadtteil Podgòrze ein Getto eingerichtet. Über 20.000 Menschen wurden gezwungen, auf engstem Raum zusammenzuleben. Zunächst ‚nur‘ durch einen Stacheldrahtzaun vom ‚normalen‘ Stadtleben getrennt, wurde bald eine Mauer um das Getto errichtet: „Die Arbeiter“, so berichtet ein Zeugnis, „gaben der Mauer die Gestalt von Grabsteinen. Mit welcher Perfidie die Psychologen des Herrenvolkes mit der Seele ihrer Gefangenen spielten.“

Wie unerträglich die Zustände für die Menschen waren, schildern weitere Zeugnisse, die im Buch zitiert werden. Sie erinnern auch an Tadeusz Pankiewicz. Der polnische Pharmazeut betrieb bereits vor der Einrichtung des Gettos am pl. Zgody, wo man die Menschen zusammentrieb, die zur „Aussiedlung“ vorgesehen waren, gleich gegenüber dem Tor, durch welches die deutschen Einheiten zu ihren „Aktionen“ im Ghetto einrückten, eine Apotheke. Pankiewicz wurde Zeuge der Verbrechen, während es ihm immer wieder gelang, einzelnen Menschen zu helfen. Seine Apotheke wurde zu einem wichtigen Treffpunkt. Sie war, so schrieb er später selbst, „eine Art Botschaft oder diplomatische Vertretung, die die ‚freie‘ Welt in diesem ummauerten und vergitterten Städtchen repräsentierte. […] Hier erzählte man sich auch die täglichen Sorgen und Nöte; hier wurden bis in die späten Nachtstunden Diskussionen geführt, Betrachtungen und Vermutungen angestellt, die alle in die Klage mündeten: ‚Wenn doch nur etwas geschehen würde!‘“

Inzwischen war aber die nächste Stufe im Prozess der Ermordung der Juden erreicht worden. In Wannsee hatte man die „Endlösung“ besprochen und in Polen begann im März 1942 mit der „Aktion Reinhard“, die planmäßige und systematische Ermordung der Juden. Im Bereich des Generalgouvernements wurden zu diesem Zweck die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka eingerichtet. Die Juden Krakaus wurden in unvorstellbar grausamen „Aktionen“ im Juni und im Oktober 1942 nach Belzec deportiert und dort umgebracht. „Ende 1942“, so berichtet der Überlebende Helmut Steinitz, „herrschte im Krakauer Getto eine eigenartige Atmosphäre, da ja jüdisches Leben keinen Pfennig mehr wert war. Wie lebte man im Schatten des Todes? […] Es war ein pausenloser Wettlauf gegen den Tod.“

Im März 1943 wurde das Getto aufgelöst. Die verbliebenen Menschen sollten in das seit 1942 bestehende Arbeitslager Plaszow verbracht werden. SS und Polizei rückten ins Getto ein und es begann eine „Orgie der Gewalt, die sogar das Ausmaß der vorangegangenen Deportationen noch übertraf“. Pankiewicz war Zeuge: „Man hat die älteren Menschen, die Sechzigjährigen herausgesucht. Ein Befehlt wird gebrüllt. Sie sollen laufen, rennen, so schnell sie können. […] Unter dem Gespött und Gelächter der SS-Männer rennen die armen Menschen erst allein und dann in Gruppen los. Schüsse werden auf sie abgegeben. Wer schnell laufen konnte, schien für dieses Mal gerettet. Die SS-Männer gehen zu ihnen, klopfen ihnen anerkennend auf die Schulter und loben sie für den schnellen Lauf, für ihre gute Kondition und Ausdauer. Dann befehlen sie ihnen, sich umzudrehen und schießen ihnen ins Genick.“ Über 2.000 Menschen töteten die Deutschen noch im Getto. Ungefähr 3.000 Menschen wurden deportiert.

Bis zu 8000 Menschen hatten die Deutschen im März 1943 aus dem Getto in das Zwangsarbeiterlager Plaszow gebracht. Mit diesem Lager verbindet sich die Geschichte des Oskar Schindler, die Steven Spielberg 1993 in seinem Film „Schindlers Liste“ inszenierte. Schindlers Emaillefabrik war ein Außenlager des Lagers Plaszow. Über diese Fabrik konnte Schindler 1.200 Menschen vor der Ermordung retten.

Löw und Roth erinnern in ihrem Buch auch an den jüdischen Widerstand in Krakau. Entstanden war der Widerstand, der in Krakau anders als etwa in Warschau, wo man auf einen großen Aufstand hinarbeitete, als „Guerillataktik“ angelegt war, aus der zionistischen Jugendbewegung Akiba sowie der linkszionistischen Bewegung Hashomer Hazair. Im Oktober 1942 schlossen sie sich zum „Vereinigten Kommando der Jüdischen Kampforganisation“ zusammen. Vom Sommer 1942 bis zur Zerschlagung des Widerstands im Januar 1943 konnte das Kommando erfolgreich mehrere Aktionen durchführen, die im Buch dokumentiert werden.

Ihr Buch, so schreiben die beiden Verfasser, richte sich „vor allem an historisch interessierte Krakau-Reisende, an Schüler und Studenten“. Die „zentrale Grundlage“ des Buches bilden Tagebücher, Berichte und Erinnerungen der Krakauer Juden. Eingebettet in den Text sind immer wieder im Layout abgesetzte Originaltextauszüge aus eben diesen Dokumenten. Zudem ergänzen Fotos die Darstellung. Das Buch will lesbar sein, keine Fachstudie. Deshalb verzichtet man auf den üblichen Anmerkungsapparat im Text, liefert aber im Anhang exakte Quellen- und weiterführende Literaturangaben, eine Zeittafel, ein Glossar sowie ein Personenverzeichnis.

Titelbild

Andrea Löw / Markus Roth: Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939-1945.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
224 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308695

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