Ausländer in Deutschland sind mit Eisbären in der Karibik vergleichbar

Yassin Nasri beschreibt in seinem Roman „Ich will kein Flachdach sein“ die Fremdheitserfahrungen eines Syrers in Deutschland

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1966 in Damaskus geboren, 1987 nach Deutschland ausgewandert, dort das Architekturstudium abgeschlossen und seit 2003 als erfolgreicher Architekt in Dubai lebend, hat Yassin Nasri mit der Geschichte seiner Auswanderung seinen ersten literarischen Schritt gewagt. In 36 sehr kurzen Episoden erzählt er vom Weggehen, Ankommen, Integrationsbemühungen und den Deutschen – wie der Protagonist sie erlebt. Die Thematik interkultureller Erfahrungen eines Arbeitsmigranten im deutschen Alltag stand vor Jahrzehnten bereits im Fokus vieler Autoren der sogenannten Migrationsliteratur. Nasri kam aber nicht als Gastarbeiter, sondern zum Studieren nach Deutschland, das er sehr bald nach seinem Diplom verließ, um in der Welt Karriere zu machen.

Der Roman beginnt am Flughafen in Damaskus. Der Protagonist will aus der Dritten in die Erste Welt auswandern, am Wohlstand der Deutschen teilhaben. Mit jugendlichem Elan, Neugier und einem Faible für Andersartigkeiten, entdeckt der 21-Jährige die neue Welt. Zunächst lernt er die Sprache, freut sich nach zwei Jahren Architekturstudium endlich die Schachtelsätze eines Professors zu verstehen und begreift, wie kulturgebunden Sprichwörter, Metaphern oder Witze sind, denn „Er hat nicht alle Tassen im Schrank“ oder „Er bringt mich auf die Palme“ würden als Übersetzung in den meisten Sprachen nur für Kopfschütteln sorgen.

Auch im Alltag stolpert er immer wieder über Fremdes: Der erste Frisör lässt die gewohnte Beredsamkeit vermissen; beim Zahnarzt, der gleich mehrere Patienten in getrennten Räumen versorgt, wird die Effizienz zu effizient. Die Neugier schlägt langsam um, Stereotype gewinnen die Oberhand. Deutsche werden zu „pickeligen, blassen Fleischkeulen“, „zeitoptimierten Sonnenanbetern“, Fahrradfahrern, Vegetariern, Umweltschützern und Pazifisten, die den Andersdenkenden nicht deren Freiheit lassen, sondern wie 88 Millionen Polizisten auf Ordnung und Einhaltung der Normen achten.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Erstlingswerke einen starken Bezug zur Biografie des Autors aufweisen. So stimmen alle Daten, Orte und Inhalte mit dem Lebenslauf Nasris überein. Charmant und unterhaltsam sind die interkulturellen Erlebnisse in den Handlungsstrang eingebettet. Das Gerüst des Romans bilden Flüge von Damaskus nach Frankfurt, Briefe an die Mutter und Personenbeschreibungen. Auf dem Flughafen wird über das märchenhaft orientalische Damaskus und seine Emotionen, seine Poesie und grenzenlose Lebendigkeit, aber auch die dortige Systemlosigkeit siniert. Damaskus erscheint als eine heruntergekommene Metropole, deren verblassten Glanz nur längst verlorene Söhne mit ihrer Liebe und Kenntnis der Schätze sowie fremdem Kapital widerherstellen könnten. Der arabische Frühling, der auch Syrien in den Blickpunkt der Welt gerückt hat, wird an vielen Stellen nachvollziehbar, und Nasri zollt all denen, „die dem Bösen die Stirn geboten haben“, im Nachwort seinen Respekt.

Weniger schlüssig stellt sich die Argumentation dar. Sich einerseits über die Unkenntnis der Deutschen über Syrien, den Nahen Osten oder die arabische Welt zu beschweren, andererseits aber auf das neugierige Nachfragen zu den die Region betreffenden Ereignissen abweisend zu reagieren, erscheint inkonsequent. Als „arabischer Peter Scholl-Latour“, wie Nasri die ihm zugedachte Aufgabe ironisiert, könnte er doch helfen, Informationsdefizite zu beseitigen, und sich dabei als Botschafter, nicht als ein auf die Herkunft reduzierter Fremder, sehen. Die Faszination gegenüber Andersartigkeiten, die er den Deutschen anfangs abspricht, ist im längsten Kapitel, das als Brief an Ausländer gerichtet ist, auch beim Protagonisten längst abhanden gekommen. Die Integrationstipps bestehen aus Klischees. Wenn die deutsche Gesellschaft in „Flachmännerhelden“, „Frikadellenfresser“, eine „Antispießergruppe“ und das Pendant: eine „Spießergruppe“, aufgeteilt wird, findet der Leser längst ein stereotypisiertes Deutschland vor.

Neben amüsanten Anekdoten kommt der junge Auswanderer im Laufe seiner Lebensreise aber auch zu wertvollen Erkenntnissen: Er stellt „die Unantastbarkeit der heimatlichen oder nationalen Idee in Frage“, rät „der Heimat die geographische Komponente zu entziehen“, was ihr den Nährboden für „nationale Gier, völkischen Hass und regionale Feindschaften“ rauben würde. Als „Globalisierungskind“ findet er in der Fremde sein Zuhause. Etwas ernüchternd liest sich dagegen die Feststellung, „dass Ausländer, die es geschafft haben, in Deutschland Fuß zu fassen, mit Eisbären in der Karibik vergleichbar sind. Sie haben trotz des gesellschaftlichen Widerstands auf der deutschen Seite den Wechsel ihrer Umwelt überstanden und deswegen Hochachtung verdient.“

Das dünne, aber keinesfalls flache Buch hält dem deutschsprachigen Leser den Spiegel vor. Man kann hoffen, dass zumindest die oben erwähnte „Antispießergruppe“ weiterhin empfänglich für Beschwerden und Kritik der Zuwanderer bleibt. Dass gerade die Zugehörigen dieser Gruppe gerne und bewusst „Flachdachhäuser inmitten der vorherrschenden Giebeldachhäuser“ (sprich: anders als die Mehrheit) sind, soweit scheint Yassin Nasri im Verständnis der Deutschen dann doch noch nicht gekommen zu sein.

Titelbild

Yassin Nasri: Ich will kein Flachdach sein. Roman.
Verlag André Thiele, Mainz 2011.
130 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783940884640

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