Geistreiche Erzählkunst

"Die Germanistin" - ein Roman der Literaturwissenschaftlerin Patricia Duncker

Von Volker Maria NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Maria Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philosophie als Folie für den Roman - ein beliebtes, ein gewagtes Unterfangen. Drohende Aristokratie des Geistes im Bildungsroman. Wird erst Michel Foucault, der Streiter des "Postmodernismus", zum Leithammel des Erzählens, wachsen die Vorbehalte bei manchem Leser sicher ins Bedenkliche. Doch die britische Literaturwissenschaftlerin Patricia Duncker, Dozentin an der University of Yale, zerschlägt solcherlei Bedenken gründlich. Ihr Debütroman "Die Germanistin" (dt. 1997) ist jetzt als Taschenbuch erhältlich und überzeugt mit erzählerischen, nicht mit bildungphiliströsen Mitteln.

Akademischer Muff in Cambridge. Ein Student, der anonyme Ich-Erzähler, arbeitet an seiner Doktorarbeit über den französischen Romancier und politischen Quergeist Paul Michel, als er eine Liebesbeziehung zu einer Kommilitonin eingeht, eben der Germanistin, die ihrerseits über Schiller dissertiert. Die Beziehung läßt sich eigenartig an. Dem Studenten, verknallt über beide Ohren, entrückt seine Germanistin ins Unnahbare, ins Unergründliche. Sie spielt ihre Macht gegen ihn aus und drängt ihn aus zunächst unerklärlichen Motiven zu eingehenderen Recherchen über sein eigenes Dissertationsthema. Ohne recht zu wissen, wie ihm geschieht, reist er nach Paris, um die noch unpublizierten Briefe Paul Michels an seinen Zeitgenossen Michel Foucault zu studieren und um herauszufinden, wo sich der mysteriös Verschollene aufhält, so er denn noch lebt. Tatsächlich findet der Student das Objekt seiner Dissertation in einer Nervenheilanstalt. Endlich die Initialzündung: Aufopfernd bemüht sich der Student um das Wohlergehen des homosexuellen, angeblich wahnsinnigen Schriftstellers, umwirbt und becirct ihn und vergißt im Sog von Wahn und Leidenschaft sukzessive sein Vorhaben, seine Germanistin und schließlich gar die eigene Person.

Ein packender Plot - spannend und intelligent. Es ist die lebendige Philosophie Foucaults, die im Hintergrund ihre Fäden zieht. Patricia Duncker entwirft die Figur Paul Michel als biographisches Pendant und geistigen Intimus zu Michel Foucault, dessen Grundfragen - die Historien von Wahnsinn, Wissenschaft und Sexualität - in der Fiktion neu gestellt werden - nachvollziehbar durch die Glaubwürdigkeit aller Figuren, sprachlich gekonnt, distanziert, die richtige Stimmung nie aus den Augen verlierend. Diese wagemutige Konstruktion gelingt, will sagen: sie wirkt nicht konstruiert. Die philosophische Thematik bleibt subtil. Sie geht in die Erzählung über, sie erfährt ihre Brisanz und Lebendigkeit erst durch das Handeln und Leiden der Protagonisten, so daß sie dem reinen Lesevergnügen nicht im Wege steht. Eine grandiose Leistung: Man muß kein Geisteswissenschaftler sein, um mit der "Germanistin" in den Hochgenuß geistreicher Erzählkunst zu kommen.

Titelbild

Patricia Duncker: Die Germanistin. Aus dem Englischen von Karen Nölle-Fischer.
dtv Verlag, München 1999.
198 Seiten, 7,60 EUR.
ISBN-10: 3423126205

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