Niveau-Schmuggel

In „Der Kampf geht weiter“ erzählt Roberto Saviano neue geschichten – nicht nur gegen die Mafia

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein Vorwurf, der mich sehr verletzt, ist die Behauptung, ich würde mein Land diffamieren, weil ich nur von seinen Unzulänglichkeiten erzähle“, notiert Roberto Saviano gegen Ende seines neuen Buches. Der heute 32-jährige Journalist und Schriftsteller, berühmt geworden durch seinen dokumentarischen, auch verfilmten Roman „Gomorrha“ über die Machenschaften der real existierenden Camorra, zahlt bekanntlich einen hohen Preis für seine Enthüllungen: Nicht nur, dass er sich seit mittlerweile sechs Jahren nicht mehr frei in der Öffentlichkeit bewegen kann, sondern ständig unter Polizeischutz und in wechselnden Verstecken leben muss. Nein, auch unbescholtene Landsleute nennen ihn manchmal einen „Nestbeschmutzer“.

Und als wolle Saviano diesen Vorwurf entkräften, versammelt er in seinem Band „Der Kampf geht weiter“ auch ausdrücklich solche Reportagen, die Mut machen: Da ist der italienische Pater, der sich in einer staatlich konfiszierten Mafiaboss-Villa mit einer Wohnstätte für Behinderte behauptet – traditionell will in solchen Häusern niemand leben, weil die Gefolgsleute der Clans nachträgliche Nutzungen sabotieren, bis hin zur Brandstiftung.

Da ist das italienische Paar, das für das Recht auf passive Sterbehilfe kämpft – er, nur noch durch künstliche Ernährung am Leben, hätte auch den individuell einfacheren Weg des Sterbetourismus in die Schweiz gehen können. Doch er ficht seinen Kampf mithilfe seiner Frau ausdrücklich gegen die italienische Öffentlichkeit, nicht zuletzt die Kirche, aus. Es sind solche Fallgeschichten, die Saviano imponieren und mit denen er vom citoyen erzählt.

Saviano ist ein Aufklärer, der weiß, dass Missstände nicht lokal, sondern national und am besten international bekannt werden müssen. Er erzählt von einem Studentenwohnheim in L’Aquila, dessen Mieter 2009 wohl nicht wegen des Erdbebens, sondern wegen Baupfusch ums Leben gekommen sind. Er schildert, wie Verleumdung als mediale Methode funktioniert. Und er erinnert seine Landsleute daran, dass Gleichgültigkeit nie weiterhilft. Vielmehr bemüht er die Geschichte, wenn er Giordano Bruno zitiert oder an die italienische Idee erinnert, „an die Geschichte unserer nationalen Einigung […], der idealistische und nicht rein wirtschaftliche Motive zugrunde lagen, ein solidarischer, kein egoistischer Föderalismus, den heute die Lega Nord vertritt.“

Natürlich fehlen auch die klassischen Geschichten aus der Welt der Mafia nicht: der Aussteiger, der jetzt Kronzeuge ist. Die ‘Ndrangheta im Norden. Oder auch das noch immer nicht gelöste Müllproblem von Neapel. Der Band birgt hier allerdings, zumal für Saviano-Kenner, einige Redundanzen, und das mag an seiner Entstehung liegen: Wie das ausführliche Vorwort zur deutschen Ausgabe erläutert, liegt dem Buch eine mehrteilige italienische Fernsehshow zugrunde. „Vieni via con me“ („Komm mit mir mit“) sorgte 2010 für Rekordeinschaltquoten auf dem staatlichen Kanal Rai 3. Mittendrin: Roberto Saviano als prominentester Mitwirkender, der mit schieren Monologen, aber auch Schautafeln zu den wirtschaftlichen Verflechtungen der Mafia die Konkurrenz der Reality-Shows und Champions League hinter sich ließ. (Fortsetzung folgt übrigens ab Mai, auf dem nicht-staatlichen und auch Berlusconi-unbhängigen Sender La7.)

Dass und wie Savianos aufklärerische Mischung aus Schulfunk und Show gegen alle Gesetze der Branche reüssierte und welche Hindernisse sie zu überwinden hatte, liest man also ‚nur‘ im Vorwort. Es wäre durchaus ein eigenständiges Kapitel wert gewesen. Überschrift: Wie man Niveau ins italienische Fernsehen schmuggelt.

Titelbild

Roberto Saviano: Der Kampf geht weiter. Widerstand gegen Mafia und Korruption.
Übersetzt aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
175 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446238817

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