Nur ein müdes Anheben der Augenbraue

Thomas Strobl und Frank Schirrmacher machen sich Sorgen über die Zukunft des Kapitalismus

Von Herbert JaumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Herbert Jaumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Sorgen müssen wirklich groß gewesen sein. So groß, dass der F.A.Z-Herausgeber Frank Schirrmacher sich nicht scheute, für den Titel dieses Bändchens das Schlagwort der Systemfeinde in den Mund zu nehmen. Damit riskierte er, dass die Kollegen von der Wirtschaftsredaktion, die selbstverständlich nur die „Marktwirtschaft“ kennen, vermutlich gar nicht erfreut darüber waren, diese in ihrem Blatt (wenn auch nur im Feuilleton) zwischen Mai 2009 und Januar 2010 erschienenen Artikel unter einem so „unwissenschaftlichen“ Titel versammelt zu sehen: „Die Zukunft des Kapitalismus“. Und im Vorwort schreckte er nicht davor zurück, auch noch das Gerücht von den Bankern, die angeblich „selbst die Verstaatlichung von Banken forderten“, zu kolportieren. Mitherausgeber Schirrmachers ist der „Finanzökonom und Publizist“ Thomas Strobl, Autor des inzwischen viel beachteten Buches „Ohne Schulden läuft nichts. Warum uns Sparsamkeit nicht reicher, sondern ärmer macht“ (2010).

Beide haben eine Serie von 29 kurzen, in der thematischen Ausrichtung ziemlich heterogenen Artikeln von sehr verschiedenen Autoren zusammengestellt, die alle gemeinsam haben, dass sie teils besorgt, teils selbstgerecht oder distanziert auf den damaligen Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise reagieren. In einigen Fällen richtete man sich nach dem bewährten Feuilleton-Schema: Aufmerksamkeit schaffen, indem man prominente Autoren mit Themen vorstellt, mit denen sie niemand in Verbindung bringen würde. Es sind Beiträge, die im engen Rahmen gleichwohl informativ sind und gut orientieren, dazu zählen zwei Texte von Strobl selbst oder „Retter, die alles noch schlimmer machen“ von Wilhelm Hankel und „Europa muß sich durchsetzen“ von Emmanuel Todd. Ihnen stehen Statements gegenüber, in denen die „Krise“ offensichtlich dazu genutzt wird, um sattsam bekannte Thesen zu bekräftigen und erneut unter die Leute zu bringen, wie etwa in den Äußerungen von Meinhard Miegel oder von Paul Kirchhof, der ungerührt für den „freien Markt“ plädiert, uns dafür aber immerhin mit seiner Steuerreform verschont, und vom unvermeidlichen Peter Sloterdijk, der in „Die Revolution der gebenden Hand“ als einer der wenigen die Rede auf Karl Marx bringt und für seine Botschaft von der „Abschaffung der Zwangssteuern“ zugunsten von individuellen „Geschenken an die Allgemeinheit“ wirbt, die seinerzeit ein gewisses (längst wieder vergessenenes) Rauschen im Blätterwald hervorrief. Dirk Baecker von der „Zeppelin-Universität“ in Friedrichshafen betrachtet den Kapitalismus als einziger sensu stricto als eine verfehlte Einrichtung, als eine „Zumutung“, formuliert diese Absage aber so unernst postluhmannianisch, dass er bei ein paar Dutzend Eingeweihten vielleicht ein müdes Lächeln und das anerkennende Heben einer Augenbraue erregt, sonst aber keinem weh tun wird.

An Politikern hat es nur Schäuble, damals Innenminister der Großen Koalition, in das Konzert der Zukunftsdenker und Beschwichtiger geschafft, während der Baron zu Guttenberg 2009 noch im Aufstieg begriffen war und vielleicht keine Zeit hatte, um eine passende These zum „Kapitalismus“ kopieren zu lassen. Schäuble jedenfalls erinnert brav an Ludwig Erhard und die Klassiker der Sozialen Marktwirtschaft, was auch viele andere tun wie etwa Martin Walser, der sich inzwischen so weit von sich selbst emanzipiert hat, dass er mit einem gewissen Prof. Ungethüm – trotz des herrlichen Namens offenbar keine von ihm selbst erfundene Figur – in all seiner gemütvollen Beflissenheit den „Wettbewerb“ zu einem „Gebot der Nächstenliebe“ erklärt.

Der Bremer Apokalyptiker Gunnar Heinsohn spricht einmal nicht vom Untergang der Deutschen durch mangelnde Vermehrung, sondern ganz cool wie ein ökonomischer Chirurg von Notoperationen und der „nächsten Blase“, die „schon anschwillt“. Jüngere literarische Autoren machen ihrer Spezies mit reichlich bemühten Fantasieprodukten wenig Ehre: Ingo Schulze mobilisiert über das „Monster in der Grube“ das inzwischen etwas westlich aufpolierte DDR-Vokabular der alten „Kapitalismuskritik“, und die zur Zeit mit einem an den frühen Walser erinnernden „Stuttgart-Roman“ viel besprochene Anna Katharina Hahn imaginiert ein utopisches Interview aus dem Jahr 2077 über die „Abschaffung der Kindheit“ im Rückblick, das einen Moment an die unvergleichlich schlüssigere, obwohl auch nicht sonderlich originelle Dystopie „Corpus Delicti“ (2009) von Juli Zeh denken lässt.

Wohl in der Mehrzahl der Äußerungen herrscht die Hoffnungsperspektive vor, die Wirtschaft müsse und werde – und könne sich auch von den Verzerrungen und Abartigkeiten befreien, die in „die Schuldenpolitik der keynsianisch vergifteten Staaten“ (Sloterdijk) und in die globale Krise geführt haben, und danach wieder zu sich selbst kommen. Und ist sie erst wieder ganz bei sich, dann wird alles gut. Die „Liberalismusformel“ (sozial ist, was Arbeit schafft) müsse wieder „mit wirklicher Erfahrung“ erfüllt werden (Walser).

Über so viel ehrliches Zutrauen wird sich der Kapitalismus sicher freuen. Auch um seine vornehmen Kritiker bei der F.A.Z und anderswo nicht zu enttäuschen, die ihn diesmal sogar bei seinem wirklichen Namen zu nennen wagten, wird er sich doppelt anstrengen, die Herrschaften – und uns alle – mit seiner dauerhaften Zukunft zu beglücken.

Titelbild

Frank Schirrmacher / Thomas Strobl (Hg.): Die Zukunft des Kapitalismus.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
200 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518126035

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch