Die Metaphysik des Fußballs

Über Martin Gessmanns Postmoderne „Philosophie des Fußballs“

Von Jonas TentiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Tenti

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch „Philosophie des Fußballs“ von Martin Gessmann stellt einen eigenwilligen Versuch dar, die Evolution des Fußballspiels philosophisch zu interpretieren. Es geht dem Autor hier nicht darum, den Fußball aus einer gesellschaftlichen Perspektive zu analysieren, sondern er verfolgt das Ziel, die fußballinhärente Metaphysik auf amüsante Weise zu erläutern. Gessmann geht dabei sehr frei vor, wenn er Hegels „methodischen Dreischritt“, Nietzsches „unzeitgemäße Betrachtung“ sowie Žižeks „Symptomanalyse“ mit Fußball kombiniert.

Das Titelbild des Buchs liefert bereits einen Anhaltspunkt darüber, was den Leser erwartet. Hier wird eine Sonne abgebildet, die von einem Fußball verdeckt ist. Wäre nicht ein Fußballspieler, der scheinbar unendlich hoch springen kann, gerade im Begriff diesen Fußball zu schießen, dann wäre der Ball mit dem Mond zu verwechseln, der gerade eine Sonnenfinsternis auslöst. Diese Verbildlichung lässt die hier angenommene träumerische, romantisch-verklärende Perspektive auf den Sport nur konsequent erscheinen. Das Resultat ist ein gewitzter Sprachstil mit phasenweise unendlich langen und verschachtelten Sätzen.

Die Argumentation in „Philosophie des Fußballs“ vollzieht sich, frei nach Friedrich Nietzsche, entlang einer Zeitlinie voller „unzeitgemäßer Betrachtungen“ des Spiels. Ihr Ausgangspunkt ist die Geburt des Spiels aus einer tiefen konservativen Melancholie. Der Fußball, so die Idee, stellt für den englischen Adel, einen gesellschaftlichen Ort dar, an dem die alten politischen Verhältnisse, die vor der französischen Revolution bestanden, zumindest temporär wiederhergestellt werden können. Im späteren Arbeiterfußball gesellt sich die Arbeiterklasse ebenso wie der Adel zu den Verlierern der Geschichte. „Der Fußball erblickte somit das Licht der Welt als eine zutiefst konservative Bewegung, die nur im Zusammenhang mit einer tiefgreifenden Verlusterfahrung alter Ordnung zu verstehen wäre.“

Auf die Interpretation der Entstehung des Fußballspiel, folgt Gessmanns eigenwillige Interpretation von Hegels „methodischem Dreischritt“, um das Fazit, eine „zeitgemäßen Betrachtung“ des Fußballs zu erreichen. Der Fußball wird also nicht als etwas Statisches interpretiert, sondern Gessmann betont stets, dass es eine Fußballinterne Dynamik gibt. Im Endeffekt bleibt er jedoch unsicher, ob die von ihm angewandte Methode wirklich von Erfolg gekrönt sein wird. So schreibt er: „Die Versuche in der Hegelnachfolge, mit einer Geschichtsphilosophie am Ende auch noch recht zu behalten, waren ja auch schon manchmal nicht erfolgreich gewesen, um das Wenigste zu sagen, denkt man beispielsweise an Marx und dessen Adepten.“ Mit dieser Aussage macht der Autor klar, dass es sich bei seinem Beitrag nur um einen nicht ganz ernst gemeinten Versuch handeln kann.

Kern des Buches ist, wie schon erwähnt, die „unzeitgemäße Betrachtung“ des Spiels und damit einhergehend eine historische Analyse. Die Geschichte des Fußballs wird, frei nach Hegel in drei historische Phasen eingeteilt. Die Phase des englischen Kick and Rush, des deutschen Libero-Fußballs und letztlich des niederländische Systemfußballs. „So war ich auch von dem allseits bekannten methodischen Dreischritt einer Dialektik ausgegangen und hatte dementsprechend drei Stadien der Entwicklung angenommen: eine ursprüngliche Fassung des Spiels[…]; eine vergeistigte Fassung, […]; und schließlich eine reflektierte Version[…].“

Alle drei Spielfassungen werden einem Theoretiker zugeteilt. Hier greift Gessmann eine Idee von Slavoy Žižek auf und schafft so eine absurd-komische Atmosphäre. Nun wird das Symptom zur Ursache und umgekehrt, das heißt der Fußball wird nun nicht mehr durch Philosophie erklärt, sondern die Philosophie durch den Fußball. Auf einmal macht es für Gessmann keinen Unterschied mehr, ob wie im englischen Kick and Rush, der Ball, oder wie in John Stuart Mills Philosophie das Glück vom Himmel fällt. Im deutschen Libero-Fußball vermag der Autor eine Parallelität zwischen Franz Beckenbauer und Martin Heidegger zu erkennen. Franz Beckenbauer stellt für den Fußball das Phänomen dar, welches Heidegger nach Ansicht Gessmanns gerne für die politische Kultur gewesen wäre: Ein geistiger Lenker und Gestalter. Der Autor geht sogar soweit, Beckenbauer zum Philosophen des Fußballfeldes zu ernennen. Im niederländischen Systemfußball Luhmann’scher Prägung hingegen, so die These, wird die Mannschaft zum System. Sie erfindet sich hier nach dem Prinzip der Autopoiese immer wieder neu. Die Rückgriffe auf die philosophischen Theorien bleiben jedoch oft oberflächlich, was sicherlich auch dem Umfang und Anspruch der Arbeit geschuldet ist.

Dem historischen Teil stellt Gessmann das Ende der „unzeitgemäßen Betrachtungen“ des Spiels entgegen. Dieser Teil bildet das Fazit des Buches. Hier wird die These in Aussicht gestellt, dass es durch eine „Familiarisierung mit dem Fußball“ gelingen könnte den Fußball zeitgemäß zu interpretieren. Neben philosophischen Bezügen wird dabei auch auf Fußballweisheiten angespielt, wie dass Geld alleine keine Tore schießt, oder aber dass nach dem Spiel vor dem Spiel ist. Es wird offenbar, dass es sich bei dem Text um eine Mischung aus philosophisch-wissenschaftlicher Analyse und Stammtischgespräch handelt.

Eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Fußball in dieser Art ist zwar nicht ganz neu, zum Beispiel hat sich Peter Sloterdijk, passend zur letzten WM, damit auseinandergesetzt, wie wir wieder „mit dem Spielen, was mit uns spielt“. Martin Gessmanns Idee, eine Philosophie des Fußballs zu erschaffen, kann als ein Projekt gesehen werden, dass bisher einzigartig ist. Gerechtfertigt wird seine intensive Auseinandersetzung mit dem Fußball durch die mitfiebernden Massen, die sich immer wieder auf neue in den Bann des Balls ziehen lassen.

Der Argumentationsstrang wird durch weitläufige Erzählungen, zum Beispiel über Heideggers Privatleben häufig verlassen, sodass die mit Intellektualitäten gespickten Kapitel stets für einen hohen Unterhaltungswert sorgen. So findet der Fußball in diesem Buch eine uneingeschränkte Huldigung, die nahe legt, dass der Autor selbst ein Fußballiebhaber sein muss. Durch diese Lobpreisung des Spiels werden negative Randerscheinungen, die im Fußball Alltag sind, schlichtweg übergangen. Die politische Bedeutung von Nationbuilding durch Fußball wird beispielsweise nur in einem Nebensatz besprochen und Gewalttätigkeiten von Fangruppen und andere fragwürdige Aspekte der Fußballkultur gar nicht erst erwähnt.

Die „Philosophie des Fußballs“ mag philosophisch oder kulturwissenschaftlich interessierte Menschen, die kein Interesse an Fußball haben nicht ansprechen, da das Buch einen eher beschränkten Blickwinkel auf das Spiel einnimmt. Hier wird nicht die gesellschaftliche Bedeutung des Spiels diskutiert, sondern eine von Martin Gessmann diagnostizierte fußballinhärente Metaphysik besprochen. Dieses gerade auch im Anbetracht der zahlreichen Anekdoten unterhaltsame Buch, wird daher vor allem Fußballiebhaber ansprechen. Als wissenschaftlicher Beitrag ist dieser Text kaum ernst zu nehmen. Der Leser sollte darauf bedacht sein, die intellektuelle Komik auf sich wirken zu lassen.

Titelbild

Martin Gessmann: Philosophie des Fußballs. Warum die Holländer den modernsten Fußball spielen, die Engländer im Grunde immer noch Rugby und die Deutschen den Libero erfinden mußten.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
166 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783770551057

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