Zwiespältiger Eindruck

Zu Susanne Ehrichs Studie: „Die ‚Apokalypse’ Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachlicher Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden“

Von Ralf G. PäslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf G. Päsler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erforschung der Literatur im Deutschen Orden und der „Apokalypse“ Heinrichs von Hesler hat nach längerer Stagnation in den vergangenen zwei Jahrzehnten einige Fortschritte zu verzeichnen. Für die Literatur im Deutschen Orden ging es vor allem darum, das Terrain neu zu vermessen und für die „Apokalypse“ um Datierungsfragen, ihre Stellung zur Literatur im Deutschen Orden und last but not least um ihre literarhistorische Neueinordnung. Denn eines der wichtigsten Ergebnisse ist ihre Vordatierung von um 1300 auf um 1260. Von den drei Werken Heinrichs von Hesler ist die „Apokalypse“ das berühmteste und am besten überlieferte. Von den fünf (zum Teil fast) vollständigen Handschriften stammen vier aus Bibliotheken des Deutschen Ordens; von den 15 Fragmenten können noch zwei mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Orden zugeordnet werden. Aus dieser Überlieferungssituation wurde zeitweise geschlossen, dass Heinrich Bruder des Deutschen Ordens war, doch aufgrund mangelnder Zeugnisse und des veränderten Zeitrahmens ist man heute davon abgekommen und geht davon aus, dass er für ein höfisches Publikum im nordöstlichen Thüringen geschrieben hat.

Unter den vollständigen Handschriften finden sich drei, die wegen ihrer qualitätvollen Ausstattung – darunter Bilderzyklen – besonders herausragen. Es sind diese drei Handschriften, die die hier vorgelegte und für den Druck nur „geringfügig überarbeitete“ Regensburger Dissertation zum Gegenstand hat. Eine Einordnung in das Gesamt der Überlieferung – also auch unter Hinzuziehung der Fragmente – findet nicht statt. Dies ist schade, weil wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der paläografischen Analyse, der Verbreitung des Textes und anderes hätten gewonnen werden können. Hauptziel der Arbeit ist, die Verbindung von Text und Bild herauszuarbeiten und zu zeigen, dass in „ihrer unmittelbaren Kopplung […] ein neues Werk entsteh[t]“.

Die Arbeit ist in zwei große Teile gegliedert. Im ersten Teil, der auch die Einleitung mit Methodik und Zielsetzung enthält, werden der Text und seine Traditionszusammenhänge untersucht. Der zweite Teil ist der „handschriftliche[n] Überlieferung der ‚Apokalypse’ Heinrichs von Hesler in Text und Bild“ gewidmet.

Heslers „Apokalypse“ fügt sich, das wird deutlich herausgearbeitet, in eine lange Kommentartradition ein – und die Autorin entscheidet sich für den Kommentar des Alexander Minorita als Hauptquelle, und nicht, wie oft angenommen, für den Rückgriff auf Gedankengut Joachims von Fiore. Inhaltlich erklärt dies besser die konservativen Positionen Heslers. Hier bieten die Untersuchungen neue Überlegungen, die die Forschung voranbringen. Dies gilt auch für ihre Untersuchungen zur Predigtlehre Heslers.

Für den Teil der „Apokalypse“, den Hesler unbearbeitet lässt und durch eine Antichrist- und Endkaiser-Legende ersetzt, gelingen der Autorin schöne Einsichten in die Herkunft des Materials und ihre Anknüpfungspunkte zum Zeithorizont. Nicht ganz klar ist in diesem Zusammenhang die Einbeziehung des Antichrist-Abschnitts aus der „Martina“ Hugos von Langenstein. Zum einen schrieb Hugo circa 30 Jahre nach Hesler und zum anderen wie Hesler nicht für ein Deutschordenspublikum, obwohl Hugo Deutschordensbruder war. Zudem hat Hugos Werk keinerlei Spuren in der Literatur des Ordens hinterlassen.

An diesem Punkt schaltet die Autorin zur expliziten Rezeption der „Apokalypse“ im Deutschen Orden um; hier versucht sie zu beweisen, dass die Bildzyklen in drei aus dem Deutschen Orden stammenden Handschriften die Lesart des Textes im Hinblick auf eine „Deutschordensidentität“ verschoben hätten. Verschiedene interessante Einzelbeobachtungen zu den Bildern, insbesondere zu den Schreiber-Initialen der Stuttgarter Handschrift dürften für weitere Diskussionen sorgen. Die Probleme dieses Teils liegen jedoch anderswo. Zwei Punkte erweisen sich als besonders hinderlich für die Untersuchungen: Zuerst werden Kodikologie und Paläografie der Handschriften zu wenig beachtet und zum zweiten wird der Text allzu kritiklos in ein dezidiertes Vorständnis von ‚Deutschordensliteratur’ gestellt, wo speziell hier Fragen und Neubewertungen nötig gewesen wären.

Zum ersten Punkt: Die entscheidende Frage ist hier: Wann wurde Heslers Text im Deutschen Orden rezipiert und vermögen die Handschriften darüber Auskunft zu geben? Dazu müssten zuerst Datierungsfragen beantwortet werden, die zur Stuttgarter Handschrift (wie auch für die Königsberg-Thorner Handschriften) alles andere als gelöst gelten können. Für die Stuttgarter Handschrift hat sich die Forschung mehrheitlich für eine Entstehung nach 1350 (im Einzelfall sogar für um 1400) ausgesprochen. Das widerspricht der Vermutung Susanne Ehrichs, dass sie zur Amtszeit des Hochmeisters Luther von Braunschweig (1331-1335) entstanden sein soll. Die Datierungen, die von germanistischer Seite aufgrund kodikologischer, paläografischer und textphilologischer, von kunstwissenschaftlicher Seite aufgrund illustrationstechnischer Argumente erfolgen, sind auch nach den Untersuchungen der Autorin nicht bruchlos in Übereinstimmung zu bringen. Hier besteht also weiterhin Klärungsbedarf.

Der Orden ließ die drei untersuchten Handschriften in einer Phase seiner Geschichte erstellen, in der sein Bild – mit Blick auf die regelmäßig veranstalteten Kriegszüge nach Litauen – als kampftüchtige Gemeinschaft nicht in Zweifel gezogen wurde, wohl aber sein Bild als geistliche Gemeinschaft. Statt dass „die visuelle Lesart“ den Text „bezwingen“ will, ist genauso die gegenteilige, dass sie die Einbindung des Ordens in die heilsgeschichtlichen, hier endzeitlichen Vorgänge deutlicher hervorheben wollen, denkbar. Spätestens hier erweist sich der zweite Punkt als hinderlich, weil es letztlich darum geht, das etablierte Vorverständnis zu bestätigen. Spekulationen über mögliche Nutzungen der untersuchten Handschriften führen nicht weiter. Vielmehr hätte die Autorin den Hinweis, dass „im Deutschen Orden auch unbebilderte Gebrauchshandschriften“ benutzt wurden, weiter verfolgen sollen – wobei der Terminus „Gebrauchshandschriften“ jedoch zu erläutern ist. Darüberhinaus bestand im 14. Jahrhundert durchaus ein Interesse der Ritterschaft über den Deutschen Orden hinaus an biblischen Texten, speziell den Makkabäerbüchern und der Apokalypse. Hier könnte die Rezeption durch den Deutschen Orden sehr wohl in allgemeine Zusammenhänge gestellt werden, die die unterstellte Immunisierung der Literatur im Deutschen Orden gegenüber der Literatur im Reich unterlaufen.

Am Ende bleibt ein zwiespältiger Eindruck. In Teilen vermag die Arbeit zu überzeugen, vor allem in der Anbindung an den Deutschen Orden jedoch nicht; hier stehen zu viele Hypothesen zu wenigen am handschriftlichen Material erlangten Befunden gegenüber. Aber genau dies könnte die weitere Diskussion anregen.

Titelbild

Susanne Ehrich: Die "Apokalypse" Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachlicher Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2010.
268 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783503122189

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