Der Kommissar und die Bretagne

Jean-Luc Bannalec schreibt mit „Bretonische Verhältnisse“ einen Regionalkrimi für Leute, denen ein Reiseführer zu langweilig ist

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pierre-Louis Pennec ist tot. Der Besitzer des berühmten Hotels „Central“, in dem seine Großmutter illustre Künstlergäste wie etwa Paul Gauguin empfing, liegt erstochen in seinem Restaurant in Pont Aven, einem pittoresken bretonischen Küstenort. Es gibt keine Spuren, keine Verdächtigen und auch kein Motiv. Der Mann war hochbetagt und schwer herzkrank. Dennoch konnte es jemand nicht abwarten, dass der legendäre Hotelier, eiserne Patriarch und Kunstmäzen auf natürliche Art das Zeitliche segnete. „Dies war kein Fall, der sich durch so etwas Banales wie Fingerabdrücke, Fußspuren, Textilfasern oder zufällige Augenzeugen lösen würde“, erkennt Kommissar Dupin. Gefragt ist altmodische kriminalistische Arbeit. Verhöre, Recherchen und wieder Verhöre. Psychologie statt Forensik, Menschen statt Daten. Es mag daran liegen, dass sich einige Leser bei der Lektüre an Georges Simenons Maigret-Romane erinnert fühlen. Am Ende war es Habgier. Das ist zumindest die einfache Erklärung, die der Kommissar seinem Vorgesetzten gibt.

„Bretonische Verhältnisse“ ist Kommissar Georges Dupins erster literarischer Auftritt. Monsieur le commissair ist eigentlich Pariser und „infolge bestimmter Querelen“ in die Bretagne strafversetzt worden. Bei näherer Betrachtung enthüllen sich diese Querelen als öffentliche schwere Beleidigung des Bürgermeisters der Hauptstadt und späteren Staatspräsidenten, ergänzt um fortgesetzte infame Beschimpfungen des Pariser Chefs. Auch in der Verbannung im Finistère, dem Ende der Welt, nerven ihn seine Vorgesetzten und er sie. Dupins Schöpfer, der rheinisch-bretonische Autor Jean-Luc Bannalec – Bannalec wie das Dörfchen unweit des Tatortes, ein Pseudonym –, versucht mit ihm einen Charakterkopf zu entwerfen, kantig, wortkarg, ungeduldig, eigenbrötlerisch. Dupin selbst sieht sich als Gegenentwurf zu den vermeintlichen Standards seines Berufsstandes: „Drogensucht, zumindest Alkohol, Neurosen oder Depressionen bis hin zu klinischen Graden, eine stattliche eigene kriminelle Vergangenheit, Korruption interessanteren Ausmaßes oder mehrere dramatisch gescheiterte Ehen. Nichts davon hatte er vorzuweisen.“ Dupin ist ein Kommissar ganz alter Schule, der seine Untergebenen wie Untergebene behandelt und dem die Frauen unerklärlicherweise zu Füßen liegen. Die bereits angekündigte Fortsetzung der Dupin-Reihe wird zeigen, ob dem rüden Charme des Ermittlers noch ein paar originelle Seiten abzugewinnen sind. Die angedeutete Schwäche des Kommissars für Pinguine weckt Interesse. Noch schimmert in der Figur wie im Plot ein relativ schlichter Bauplan durch, dem ein bisschen mehr Raffinesse nicht schaden würde. Und nicht jeder der zum Teil wenig ergiebigen Dialoge geht als „in gewisser Weise sehr bretonische Konversation“ durch.

Ein Krimi ist Teamarbeit, die sich ein hinlänglich begabter Ermittler und ein hinlänglich perfider Verbrecher meist teilen. In „Bretonische Verhältnisse“ gibt es noch einen Mitspieler, der die menschlichen Akteure zuweilen an die Seite drückt. Es ist die Bretagne, die mehr als nur den Hintergrund des Falles liefert. Die landeskundlichen Erklärungen über Geschichte, Sprache, Essen und Traditionen lesen sich wie Versatzstücke aus einem Reiseführer und sind bestens dazu geeignet, einen Besuch der westfranzösischen Provinz vorzubereiten oder Erinnerungen daran zu wecken. Die Übersichtskarte mit detailliertem Ausschnitt der Tatortregion im Einband verstärkt diesen touristischen Eindruck. Protagonist Dupin, selbst erst vor zwei Jahren und sieben Monaten aus der Hauptstadt in das Departement Finistère gekommen, fungiert dabei als entzückter Reiseleiter, der sich schneller an seine neue Umgebung zu gewöhnen scheint als sie sich an ihn. Wenn er noch ein bisschen dortbleibt, verliert sich vielleicht dieser touristische Blick und der Schilderung gelingt der Sprung von der bretonischen Folklore in die bretonische Realität.

Titelbild

Jean-Luc Bannalec: Bretonische Verhältnisse. Ein Fall für Kommissar Dupin.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012.
308 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783462044065

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