Alter Fritz in neuem Licht

Zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen betrachten zwei Neuerscheinungen das Leben des Preußenkönigs.

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer war Friedrich II. von Preußen? Vielmehr: Wer war er eigentlich? Dieser Frage jenseits des Kenntnisstands aus dem Geschichtsunterricht (langjähriger König Preußens im 18. Jahrhundert, der das Land am Rande Europas zur Großmacht aufbaute und damit territorial und politisch die Grundlage Deutschlands schuf), gehen in diesen Tagen und Wochen zahlreiche dokumentarische und belletristische Formate nach – Ausstellungen, Filme, Bücher; in Potsdam läuft in Kürze ein Musical an. Die Eckdaten seines Lebens – die harte Kindheit und Jugend, der Dauerkriegszustand Preußens nach 1740, die musisch-schöngeistige Seite des Königs – werden dabei immer wieder dargestellt, in dem Versuch, sie in eine biographische Ordnung zu bringen.

Jürgen Luh, Historiker in der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg“ und Mitorganisator des Projekts „Friederisiko“ in Potsdam mit zahlreichen Veranstaltungen im Jahr 2012, betrachtet den „Alten Fritz“ unter den Stichwörtern „Ruhmsucht“ („Ruhm zu erlangen, war Friedrichs wesentliche Antriebskraft“), „Hartnäckigkeit“ („Friedrich mußte hartnäckig sein, manchmal sogar stur!“), „Eigensinn“ („Friedrich war ein eigensinniger, ja eigensüchtiger Mensch, ein Egoist sein Leben lang.“) und „Einsicht“. Mit letzterer hat sich der große Preußenkönig besonders schwer getan, so Luh, insbesondere „vor Publikum“, dem gegenüber er „ein Einsehen wohl nie gezeigt, sich selbst nie verbessert, einen Irrtum nie eingestanden“ habe. Ganze zwei Fälle öffentlicher Reue nennt der Verfasser, jeweils nach einer verheerenden militärischen Schlappe im Siebenjährigen Krieg: nach den Schlachten von Hochkirch (1758) und Kunersdorf (1759). Ansonsten müsse man genauer hinsehen und zwischen den Zeilen lesen, um beim Großen zumindest kleine Anzeichen von Einsicht in eigene Fehler zu erkennen. Auch Voltaires gedankliche Inputs zu den Themen „Vergänglichkeit“ und „Zweifel“ hinterließen keine deutlichen Spuren in Friedrichs Selbstbild.

Wie wird man so? Luhs Biografie gibt einige Hinweise. Die familiären Spannungen zwischen Fritzens Vater, dem „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., und dem feinsinnigen Knaben prägen bei diesem das Gefühl, zu etwas ganz Besonderem bestimmt zu sein. „Er [Friedrich, J. B.] wäre von Gott dazu prädestiniret, Mir ungehorsam zu sein“, so schreibt der strenge Vater 1730 an den Geheimen Rat von Wolden. Friedrichs vorangegangene Flucht, ein Exponent dieses Ungehorsams, sei, so Luh, ein taktisches Mittel gewesen, um auf sich aufmerksam zu machen und könne insoweit als Fluchtversuch gar nicht ernst genommen werden. Stattdessen wuchs im jungen Fritz der Gedanke, über das Militär, das sein Vater aufgebaut hatte, zu Ruhm zu gelangen. Deutlich lässt sich dies an den Gedichten aufweisen, die er in den 1730er-Jahren schrieb, etwa an der „Ode an den Ruhm“ (1734), in welcher der damals 22-jährige sein persönliches Programm für Preußens Zukunft formulierte – mit ihm als Dreh- und Angelpunkt.

Der Rest ist Geschichte: 1740 besteigt Friedrich den Thron und macht sich sogleich an die Realisierung des „Gewünschten, Erhofften“. Einerseits lässt er Schlesien angreifen und bricht – des Ruhmes wegen – mit dem verbündeten Österreich, andererseits sorgt er dafür, dass die Welt von ihm erfährt und sucht sich dafür einen publizistischen Weltstar als Korrespondenzpartner: den französischen Philosophen Voltaire, mit dem ihn nicht Freundschaft, sondern „Haßliebe“ verband, wie Luh unter Verweis auf den Übersetzer und Herausgeber ihres Briefwechsels, Hans Pleschinski, betont. Friedrich braucht Voltaire als „Herold seines Ruhms“ und vergleicht den Denker in einem Brief (1749) mit einer Orange, die es auszupressen gelte. Er, Friedrich, erobert Europa und Voltaire schreibt dazu die passenden Lobeshymnen. So dachte es sich der König von Preußen, der sich von 1745 an „der Große“ nennen ließ.

Erst der Siebenjährige Krieg (1756-63), „in dem er seinen Feldherrnruhm so glücklich gerettet hatte“, bringt eine Wende: Friedrich will „nicht mehr Caesar nacheifern“, sondern höchstselbst als Philosoph bekannt werden. Er „liebe die Philosophie“ und wolle sich fortan bemühen, „weise zu werden“, so schreibt er 1766 an die Kurfürstin von Sachsen. Interessant ist die Umdeutung der eigenen Ruhmsucht, die im Zuge der beruflichen Neuorientierung einsetzt: Da Friedrich weiß, dass sich Ruhmsucht mit der angestrebten Weisheit nur schwerlich zusammenbringen lässt, notiert er, der Ruhm „sei nur leerer Wahn und schöner Schein“ und erklärt seinen eigenen Ruhm nicht etwa als das, was er war, nämlich das scharf kalkulierte Resultat lebenslangen Strebens, sondern als sich eher zufällig-schicksalhaft einstellende, quasi nebenbei ereignende Angelegenheit, die in seiner Stellung als „der älteste der Kinder meines Vaters“, noch dazu „in einem Staate, in welchem das Erbrecht seit undenklicher Zeit in Brauch ist“ nun mal in Kauf genommen werden müsse. Dass diese Deutung der eigenen Biografie freilich selbst nur ein „schöner Schein“ ist, daran gebe es, so Luh, keinen Zweifel; noch 1773 gibt Friedrich gegenüber Voltaire zu, eine „große Vorliebe für den Ruhm“ zu haben. Letztlich will Friedrich also, das präpariert Luh sauber heraus, über die vorgetäuschte Demut und die gespielte Bescheidenheit bloß zu noch mehr (Nach-)Ruhm gelangen. Voltaire tut ihm den Gefallen und bezeichnet ihn 1775 als „Marc-Aurèle-Julien Frédéric, héros de la guerre et de la philosophie“.

Das hört sich einzigartig an. Jürgen Overhoff, Dozent für Historische Pädagogik und Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und Mitarbeiter im Projekt „Potsdamer Ausgabe“ der Werke Friedrichs des Großen, wagt dennoch den Vergleich des Preußenkönigs mit dem ersten US-Präsidenten. Seine vergleichende Studie zu Friedrich dem Großen und George Washington erfolgte unter dem Leitgedanken, dass die beiden berühmten Staatsmänner des 18. Jahrhunderts für „zwei Wege der Aufklärung“ stehen.

Gleichzeitig, so Overhoff, gebe es nennenswerte biografische Parallelen: „Beide Männer mussten sich als junge Erwachsene unter großen seelischen Schmerzen die Liebe zu Frauen versagen, die sie geheiratet hätten, wenn sie nur zu haben gewesen wären. […] Beide mussten aus Vernunftgründen andere Frauen heiraten; im Fall Friedrichs war politisches Kalkül maßgebend, im Fall Washingtons eine ansehnliche Mitgift. Eigenen Nachwuchs zeugten Friedrich und Washington mit ihren Ehefrauen nicht.“

In letzterem Umstand sieht Overhoff einen Grund für den sowohl in Friedrichs Preußen als auch in Washingtons jungen USA besonders paternal ausgeprägten Führungsstil: „Dafür wandten sie sich dann den Völkern, die sie in ihren Ländern als Regierungschefs anzuführen hatten, in der Weise von Adoptiveltern mit einer ganz bewusst so bezeichneten ,väterlichen‘ strengen Sorgfalt zu. Die Nationen, die sie in ihre patriarchische Obhut nahmen, wurden gleichsam zu angenommenen Kindern.“

Auch bei Overhoff ist von der „Prädestination“ die Rede, für die Friedrich früh ein Bewusstsein entwickelte. Auch Washington habe im „festen und tiefen Glauben an die göttliche Vorstehung […] die tiefere Ursache des Laufes der Welt erblickt“. Beiden habe dieser Glaube eine „Gelassenheit“ vermittelt, mit der sie „in den von ihnen regierten Staaten das Tun und Treiben der unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften beobachteten und förderten“ – und das im Zeitalter der Aufklärung, für das beide Politiker stehen. Dazu gehört auch die Bildung, die bei beiden nach dem Siebenjährigen Krieg zu neuen geistigen Höhen führt – bei Friedrich führt der Weg über die Philosophie, bei Washington über „literarische und wissenschaftliche Fortbildung“. Lebenslanges Lernen im 18. Jahrhundert. Einen ausgeprägten Blick für das Große haben sie ebenfalls, die beiden Staatsmänner: Während dies bei Friedrich bis in die Proklamation als „Magnus“ hineinwirkt, so zeigt es sich bei Washington in seiner parlamentarischen Arbeit, bei der er sich immer nur „um die großen Angelegenheiten“ gekümmert habe, etwa um das Stempelsteuergesetz, das er für „verfassungswidrig“ und „ungerecht“ hielt und über dessen zeitweilige Rücknahme (1766) er sich sehr freute. Im zähen Widerstand gegen ihre Wiedereinführung im Jahr darauf nahm Washington eine führende Rolle ein.

Der Rest ist wieder Geschichte: 1776 erklären sich die Kolonien vom britischen Mutterland unabhängig – Washington hat im Unabhängigkeitskrieg (1775-83) als Kommandeur der Continental Army gewirkt –, sieben Jahre später erkennt England die Unabhängigkeit der USA an. Washington wird Mitglied im Verfassungskonvent, der 1787 tagt – Friedrich war im Jahr zuvor verstorben, unter großer Anteilnahme Washingtons, der in einem Nachruf den preußischen Herrscher lobt und zugleich für dessen Verteidigung einer wenig demokratischen Regierungsform kritisierte: Bei aller Aufklärungsphilosophie, die Friedrich erreichte, habe er sich doch „gegen jede Form der bürgerlichen Mitsprache in Staatsangelegenheiten gewehrt“.

Genau das war zeitgleich in den USA das große Thema und markiert den epochalen Wandel vom Absolutismus zur modernen Demokratie. Als deren wichtigster Vertreter im späten 18. Jahrhundert kann in der Tat Georg Washington gelten, der am 4. Februar 1789 der erste US-Präsident wurde. In seiner Antrittsrede vom 30. April 1789 ist wieder von der „Vorsehung“ die Rede und der Dank des neuen Staatschefs geht in Richtung des „Allmächtigen Wesens, das über das Universum herrscht“, jenes „himmlischen Vaters“, der zudem Garant dafür sei, dass jeder Bürger der USA Religionsfreiheit genieße und sich niemand wegen seiner Religionsausübung ängstigen müsse; eine Haltung, welche in die Bill of Rights vom 25. September 1789 einging, die zuvor jedoch auch in Friedrichs aufgeklärten Absolutismus Gestalt annahm: Unter ihm sollte in Preußen jeder „nach seiner Façon selig werden“.

Als US-Präsident plante Washington ab 1790 vor allem die neue, nach ihm benannte Hauptstadt, in der Parlament und Regierung ein Jahr nach seinem Tod (1799) ihren Amtssitz bezogen. Des weiteren bemühte er sich um die Aussöhnung mit den Indianerstämmen, die in den vergangenen drei Jahrhunderten immer mehr in den Westen verdrängt worden waren. Zugleich betont er den Indianern gegenüber jedoch auch die Jurisdiktionsgewalt des Weißen Mannes: Unterwerfung in Freundschaft – mehr konnte es für die Ureinwohner nicht geben. Den US-Bürgern gefielt diese vermittelnde, zugleich aber auch autoritäre Amtsführung so sehr, dass Washington 1793 erneut zum Präsidenten gewählt wurde. In der zweiten Amtszeit mehrt sich jedoch die Kritik, vor allem nach der Einführung einer Whiskey-Steuer (1794). Einer seiner Hauptkritiker ist Thomas Jefferson, so dass es für Washington „eine persönliche Genugtuung“ war, dass nicht er, Jefferson, sondern Washingtons Vize John Adams 1797 sein Nachfolger im Präsidentenamt wurde.

Sowohl Jürgen Luh als auch Jürgen Overhoff gehen kenntnis- und detailreich durch die Geschichte, ohne den Text mit Daten zu überfrachten. Der lockere Erzählstil, den beide Autoren pflegen, macht die Lebensläufe einem breiten Publikum zugänglich, ohne dass es an Präzision mangelte. Die wissenschaftlich fundierte Quellenarbeit erschließt die Biografien Friedrichs und Washingtons in enger Verzahnung mit der Entwicklung Preußens beziehungsweise der in den noch jungen USA. Luh und Overhoff verdeutlichen damit, welch großen Anteil die Protagonisten am Aufstieg ihrer Länder hatten, mit welch großem persönlichen Ehrgeiz, gepaart mit Vorsehungsglauben, Ruhmsucht und Führungstalent, sie diese von marginalisierten Siedlungsräumen zu Großmächten auf der politischen Weltkarte emporhoben.

Titelbild

Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen.
Siedler Verlag, München 2011.
288 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783886809844

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Titelbild

Jürgen Overhoff: Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011.
365 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783608946475

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