Die deutsche Mörder-Elite

Vier Historiker haben mit den „Ereignismeldungen UdSSR“ Dokumente der Erfahrungen in der Sowjetunion von 1941 herausgegeben.

Von Julian KöckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Köck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“, äußerte Heinrich Himmler im Oktober 1943 in Posen vor hohen SS-Offizieren.

Das „Ruhmesblatt“ waren unter anderem die Massenermordungen von jüdischen oder jüdisch-stämmigen Menschen, Roma, KP-Mitglieder, Kriegsgefangenen und Behinderten durch die Einsatzgruppen im Osten. Obschon wenige Aspekte des Holocausts so gut über Quellen abgedeckt sind, herrscht heute doch ein erstaunlicher Grad an Nichtwissen zu diesem Thema vor. Gespräche mit Abiturienten, aber auch Geschichtslehrern machen dies schnell offensichtlich.

Dabei waren die Einsatzgruppen ein wesentliches Merkmal des NS-Staats. Bereits bei der Angliederung Österreichs firmierten Einheiten aus SS und Polizei unter diesem Namen und sammelten Informationen über tatsächliche und potentielle Gegner des neuen Regimes. Die große Stunde der Einsatzgruppen schlug indes am 22. Juni 1941 mit Beginn des Angriffs auf Russland. 3.000 Mann und einige Frauen folgten den Wehrmachtsverbänden und übernahmen sicherheitspolizeiliche, geheimdienstliche, politische und letztlich mörderische Aufgaben.

Dabei wurde akribisch Buch geführt. Dem Massaker von Babyn Jar fielen laut „Ereignismeldung UdSSR Nr. 106“ exakt 33.771 jüdische und jüdisch-stämmige Menschen zum Opfer.

Insgesamt sind bis April 1942 195 solcher Ereignismeldungen erschienen, die neben genauen Angaben zu Erschießungen weitere Informationen über Standorte und Tätigkeiten der Einsatzgruppen nach Berlin meldeten. Dort kamen diese Lageberichte innerhalb der SS und anderer Institutionen in Umlauf.

Obwohl die Bedeutung der Ereignismeldungen für die Holocaust-Forschung – und durchaus auch andere Bereiche – von grundsätzlicher Bedeutung ist, gab es bisher keine auch nur im Ansatz vollständige Quellenedition. Umso erfreulicher ist es, dass sich Klaus-Michael Mallmann, Andrej Angrick, Jürgen Matthäus und Martin Cüppers dieser verdienstvollen, aber ohne Zweifel sehr mühsamen Tätigkeit angenommen haben. Der hier besprochene Band ist der erste von insgesamt vier geplanten Bänden und enthält alle Ereignismeldungen aus dem Jahr 1941. Die Erläuterungen zu den einzelnen Meldungen sind sehr hilfreich und erleichtern die Arbeit damit erheblich. Darüber hinaus setzen unzählige Literaturhinweise die Quellen in den Kontext, ohne ihre Wirkung durch übermäßige Kommentierung zu schmälern. Mehrere Karten, ein sehr nützliches Personenverzeichnis und die gute Verarbeitung unterstreichen diesen positiven Eindruck.

Anhand der Einsatzgruppen lassen sich wesentliche Elemente des „Dritten Reichs“ aufzeigen: So handelte es sich bei den höheren Offizieren der Einsatzgruppen um verhältnismäßig junge Akademiker – der jüngste war noch nicht einmal 30 Jahre, der älteste erst 41 Jahre alt. Lediglich drei der 18 Offiziere hatten keinen akademischen Abschluss, vier dagegen waren promoviert, einer habilitiert. Neben einer großen Zahl von Juristen, waren auch Lehrer, ein Pfarrer und schließlich ein Opernsänger im Führungskorps. Das „Dritte Reich“ schickte seine Funktionselite zum Morden und jene begriff dies durchaus als Karrierechance. Mehrere der Offiziere leiteten gleichzeitig Ämter im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Der Multifunktionär Ohlendorf war zusätzlich stellvertretender Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Weniger homogen waren die unteren Chargen. Neben überzeugten Nationalsozialisten und opportunistischen Polizisten gab es auch notdienstverpflichtete Reservisten. Unterstützt wurden die Einsatzgruppen von anderen SS-, aber auch Wehrmachtsverbänden. Auch örtliche Milizen unterstützten die Deutschen immer wieder. Anders hätten 3.000 Menschen nicht über mindestens eine halbe Million andere Menschen töten können.

Nach dem Krieg ermöglichte der Fund der Ereignismitteilungen einen Prozess gegen Mitglieder der Einsatzgruppen. In keinem anderen der Nürnberger Prozesse war die Beweisführung so einfach: Hier hatte man die Angaben über die Anzahl der getöteten Menschen von den Tätern selbst auf Papier. Dementsprechend hoch waren die Strafen des „Einsatzgruppen-Prozesses“: Im April 1948 wurden 14 der 24 Angeklagten zum Tode verurteilt, die anderen erhielten mit einer Ausnahme hohe Haftstrafen. Allerdings wurden nur vier Todesurteile wirklich vollzogen, bis 1958 wurden die restlichen Gefangenen aus dem Gefängnis entlassen.

Obwohl es sich hier nicht um Schreibtischtäter oder Mitläufer gehandelt hatte, sondern um die Männer, die tatsächlich Männer, Frauen und Kinder ermordeten, erfuhren sie große Unterstützung in der jungen Bundesrepublik. Martin Sandberger, der Befehlshaber des Einsatzkommandos 1a, verstarb erst 2010, für seine Entlassung aus dem Gefängnis setzten sich damals Theodor Heuss und Carlo Schmid ein. Franz Six, Kommandeur der Einsatzgruppe B, brachte es nach dem Krieg zum Pressechef von Porsche-Diesel Motorenbau und zum erfolgreichen Unternehmensberater sowie Verlagsbesitzer. Ein weiterer Offizier wurde Geschichtslehrer.

Die Geschichte der Einsatzgruppen wurde bisher erst in Teilen geschrieben. Die Herausgabe der Ereignismitteilungen wird ohne Zweifel dazu beitragen, diesen Mangel zu beheben. Daneben ermöglicht die Edition aber auch Lehrern, Museen und interessierten Privatpersonen einen sehr direkten Zugang zu einem der dunkelsten Kapitel der neueren deutschen Geschichte.

Titelbild

Andrej Angrick / Jürgen Matthäus / Martin Cüppers / Klaus-Michael Mallmann (Hg.): Die "Ereignismeldungen UdSSR" 1941. Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2011.
925 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-13: 9783534244683

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