Huldigungen, Beleidigungen und ein Prozess

Nils Fiebig hat einen Dokumenten-Band zu Freundschaft und Zerwürfnis zwischen dem Ehepaar Meyer und Elisabeth Förster-Nietzsche herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass nicht wenige ihrer ZeitgenossInnen der Ausstrahlung Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester des Philosophen mit dem Hammer, erlagen, sie aber gleichwohl keine sonderlich umgängliche Frau gewesen ist, weiß die Forschung seit langem. Ebenso, dass ihre Führung des Nietzsche-Archivs immer wieder zu Zerwürfnissen zwischen ihr und beteiligten NietzscheanerInnen und Nietzsche-Forschenden führte, was nicht zuletzt an der Veröffentlichungs-Praxis der editorischen Dilettantin lag, die Nietzsches Schriften und Briefe, wo immer es ihr opportun erschien, für die Veröffentlichung nach eigenem Gutdünken zurechtbog.

Dass über „Zarathustras Schwester“ (H. F. Peters) und ihre Archiv-Führung gleichwohl noch immer etliches in Erfahrung zu bringen war, belegt die von Nils Fiebig unter dem Titel „In Nietzsches Bann“ herausgegebene und um einige Dokumente ergänzte Korrespondenz zwischen dem Ehepaar Richard M. und Estella Meyer einerseits und Förster-Nietzsche andererseits. Bei den Dokumenten handelt es sich um vier Buchbesprechungen Meyers, seinen Vortrag über Nietzsche aus dem Jahre 1900 sowie um eine ebenfalls von ihm verfasste „Wortgeschichtliche Skizze“ zum Übermenschen.

Den Briefen und Dokumenten vorangestellt sind ein informatives Vorwort, in dem der Herausgeber das Zusammentreffen zwischen dem Ehepaar und Förster-Nietzsche von den ersten Briefen an über die fast freundschaftliche Bekanntschaft bis hin zum Bruch umreißt, und Kurzbiografien der drei ProtagonistInnen. Aus ihnen erfährt man, dass der 1960 geborene Meyer und seine zehn Jahre jüngere Frau Förster-Nietzsche 1892 kennenlernten. „Die Gegensätze“ zwischen dem großbürgerlichen Gelehrten und der Gralshüterin des Erbes des „göttlichen Hanswurstes“, wie Nietzsche sich in seinen letzten Briefen schon mal zu nennen pflegte, hätten Fiebig zufolge „nicht größer sein können: auf der einen Seite finanziell unabhängige Vertreter des jüdischen Großbürgertums, auf der anderen Seite eine Pastorentochter in zeitweilig äußerst ‚pekuniären‘ Verhältnissen mit einer pragmatischen Einstellung zum Antisemitismus“.

Richard M. Meyer hatte sich nicht nur in Germanischer Philologie habilitiert, sondern bereits einige Bücher Nietzsches besprochen, Vorträge über ihn gehalten sowie Feuilletons und eine Biografie verfasst. Und nicht zuletzt hatte er den mehr denn je kränkelnden und wie stets von Geldsorgen geplagten Übermenschen in dessen letzten Jahren vor dessen geistigem Zusammenbruch mit der Summe von 2.000 Mark unterstützt, um die Publikation einer der späten Schriften Nietzsches zu gewährleisten. Auch Nietzsches Schwester beziehungsweise der Stiftung Nietzsche-Archiv sollte er später finanziell unter die Arme greifen.

Das Interesse an der Bekanntschaft mit Förster-Nietzsche speiste sich auf Seiten Richard Meyers, der etwa den „Zarathustra“ als das „in gewissem Sinne einzige wahre Epos, das in neuer Zeit entstand“, pries, aus der für den Philosophen Nietzsche empfundenen Verehrung.

Estella Meyers Verehrung richtete sich hingegen vornehmlich auf Förster-Nietzsche selbst. Als Frau war ihr in Preußen zwar ein Universitätsstudium ver- beziehungsweise untersagt, doch hatte sie verschiedentlich literaturgeschichtliche Vorträge besucht. Später kam sie in ihrem Salon sogar mit einigen Berühmtheiten der Literaturgeschichte in Kontakt, unter ihnen Ricarda Huch, Else Lasker-Schüler – die „der Lieben“ eines ihrer Gedichte widmete – Karl Wolfskehl und Stefan George, den sie in einem Brief an Förster-Nietzsche als einen der „interessantesten und merkwürdigsten Menschen“ zeichnet, „die uns begegnet sind“. Drei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkrieges sollte die dann 72-Jährige von den Nazis in einem Vernichtungslager ermordet werden. 1892 allerdings war Estella Meyer erst 22 Jahre alt. Dass die junge Frau zu der vom Glorienschein ihres Bruders umstrahlten Förster-Nietzsche aufblickte, lässt sich leicht nachvollziehen. So kann Fiebig denn auch konstatieren, dass ihre Briefe „ein gutes Zeugnis für die Begeisterung“ sind, „die Elisabeth Förster-Nietzsche bei ihren Zeitgenossen auslösen konnte.“ Tatsächlich bezeugen sie ein ums andere Mal die in ihnen versicherte „Treue und Anhänglichkeit“ der jungen Briefeschreiberin, die Förster-Nietzsche in den Abschiedszeilen gerne „die verehrten Hände küsst“. Die so Gehuldigte zeigt sich ihrerseits hingegen weit weniger enthusiastisch und bittet Herrn Meyer, sein „liebes Frauchen“ zu grüßen.

Zwar war es Förster-Nietzsche bald gelungen, die Eheleute – mehr noch sie als ihn –„mit ihrem Charme und Charisma gefangen“ zu nehmen, doch kam es 1910 im Laufe einer „unsäglichen Affäre“ um die „Interpretation“ eines von Förster-Nietzsche an Meyer erteilten Auftrags zum Ankauf zweier Nietzsche-Briefe für die Stiftung des Nietzsche-Archivs zu einem „heftigen Streit“ und 1911 schließlich zum „endgültigen Bruch“, wie der Herausgeber im Bemühen, für keine Seite Position zu beziehen, formuliert. Ihm scheint das unglückliche Zusammentreffen von Förster-Nietzsches „ambivalentem Verhalten“ und dem „oft dünnhäutigen“ Charakter Meyers Ursache für das katastrophale Ende der Freundschaft zu sein. Doch schließlich lastet er Meyer einen nicht unwesentlichen Teil der Schuld an, wenn er schreibt, dessen Verhalten in Sachen Brieferwerb sei „aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar.“ Meyer würde das Verdikt allerdings wenig bekümmert haben, rühmt er sich doch in einem der abgedruckten Briefe, „vor der Nachwelt“ fürchte er sich „gerade nicht“, da er sich „nicht viel aus ihrem Urteil mache“.

Die Originale der von Fiebig publizierten Briefe lagern, sofern sie aus den Federn des Ehepaares Meyer stammen, überwiegend im Nietzsche-Archiv des Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs. Von Elisabeth Förster-Nietzsche sind überhaupt nur einige wenige Entwürfe und Abschriften erhalten, die aus der Zeit des Bruches, also um und nach 1910 stammen. Es war naheliegend, die Briefe chronologisch anzuordnen. Dankenswerterweise hat der Herausgeber zu Beginn jeden Jahres einen erläuternden Vorausblick auf in den Briefen verhandelte Themen und Ereignisse gesetzt. Ein Endnotenapparat beantwortet etliche eventuell verbleibende Fragen. Zu denjenigen, die unbeantwortet bleiben, zählt hingegen die nach dem Inhalt der „wirklich dummen Antwort“, die Ella Mensch Richard M. Meyer zufolge im „Frauen-Centralblatt (oder so ähnlich)“ auf Förster-Nietzsches „Aufsatz über Nietzsche und die Frauen“, gab. Vielleicht unterbleibt die Antwort, weil Fiebig Meyers Auffassung teilt, Förster-Nietzsche brauche sie „nicht erst zu lesen“ und dieses Urteil auf die Lesenden der Dokumentation ausweitet. Denn er gibt nicht einmal an, wo genau Menschs Text zu finden ist. Nur dass es sich bei dem vermeintlichen „Frauen-Centralblatt“ um die von Mensch herausgegebene „Frauenrundschau“ handelt, merkt er an.

Mit der von Fiebig getroffenen Brief-Auswahl soll zum einen „exemplarisch die Entwicklung der Freundschaft zwischen dem Ehepaar Meyer und Nietzsches Schwester“ nachgezeichnet, aber auch der „Aufbau des Nietzsche-Archivs und die Veröffentlichungen Förster-Nietzsches aus Sicht Meyers und sein eigenes Engagement in Sachen Nietzsche“ dokumentiert werden. Das leistet sie ohne weiteres. Auch versteht sich, dass sie noch manche Information darüber hinaus zu bieten hat. So wird etwa deutlich, dass Meyer der kant’schen Aufklärungs-Maxime „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ auch dann noch folgte, wenn er fürchten musste, dies könnte persönlich unerfreuliche Folgen zeitigen. Nach der Lektüre von Lou Andreas-Salomés soeben erschienenem Buch, „Nietzsche in seinen Werken“ bekennt er der Salomé zutiefst hassenden Förster-Nietzsche 1896, er schreibe ihr „nicht ohne Bangen“, denn er habe „Lous Nietzsche für unsere Jahresberichte zu besprechen und konnte das Buch leider nicht so schlecht finden, wie Sie aus so viel genauerer Kenntnis es nennen.“ Doch habe er „nur nach meinem eigenen Eindruck urteilen“ können, „nicht nach den besten Autoritäten“. So versucht er denn, sie mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit seiner Besprechung zu beschwichtigen, da „eigentlich Niemand unsere Jahresberichte gründlich liest!“. Mit all dem drückt er nicht nur seine Besorgnis sowie sein Bedauern aus, er stellt auch sein Licht unter den Scheffel beziehungsweise er überschätzt Förster-Nietzsche maßlos. Bei so viel Selbstverleugnung wird ihn schließlich der anderthalb Jahrzehnte später erfolgte Bruch mit Förster-Nietzsche um so tiefer getroffen haben.

Zu ihm und Förster-Nietzsches Beleidigungsklage gegen Meyer kam es, als der „Streit um zwei Nietzsche-Briefe“ nicht länger in privaten beziehungsweise in den Kreisen der Stiftung, sondern in der „Weimarischen Zeitung“, also öffentlich, ausgetragen wurde. Es war ebendiese Zeitschrift, in der Förster-Nietzsche im Dezember 1911 erklärte, aufgrund des letzten Beitrags ihres ehemaligen Freundes und nunmehrigen Kontrahenten müsse sie „leider Klage wegen Beleidigung gegen ihn erheben.“ Am 8. Oktober 1913 endete der Rechtsstreit mit einem Vergleich. Auf den Tag genau ein Jahr später starb Richard M. Meyer.

Titelbild

Nils Fiebig (Hg.): In Nietzsches Bann. Briefe und Dokumente von Richard M. Meyer, Estella Meyer und Elisabeth Förster Nietzsche.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
310 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835310452

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch