Rechtsintellektualismus - eine Skizze

Von Kai Köhler

Das Thema Rechtsextremismus beherrschte im vergangenen Sommer die Medien. Wieder einmal wurde einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass zahlreiche Bewohner dieses Landes sich nicht ungefährdet bewegen können, dass das Gewaltpotential von Nazi-Gruppierungen lange unterschätzt wurde. Die Debatte, die darüber entstand, war nicht die erste ihrer Art, doch dominieren jetzt andere Positionen als zuvor: War bis vor wenigen Wochen weitgehend Konsens, dass die Täter verwirrte, eigentlich unpolitische Jugendliche seien, denen mit besseren Freizeitangeboten und nützlicher Sozialarbeit zu helfen wäre, so gewann nun die gegensätzliche Position an Boden: schärfere Gesetze und staatliche Repressionen gelten als Lösungen. Der Fortschritt liegt sicher darin, dass die Nazis als die Nazis gesehen werden, die sie nun einmal sind. Es fehlt jedoch immer noch weitgehend eine pragmatische Analyse, in welchen Fällen welche Methoden brauchbar sind: Mittel staatlicher Betreuung für Personen, die man noch beeinflussen kann, und gleichzeitig staatliche Gewalt gegen diejenigen, die schon straffällig geworden sind.

Immerhin bietet die fragliche Klientel relativ wenig Definitionsschwierigkeiten; wer kahlgeschoren auf Ausländerjagd geht, ist eben rechtsextrem, obwohl selbst diese einfache Feststellung in den vergangenen Jahren manchen Gerichten und manchen politischen Statistikern Probleme bereitete. Wenn dagegen von Rechtsintellektualismus gesprochen wird, ist wesentlich ungenauer abzugrenzen, wovon die Rede ist. Anders als in der Spätphase der Weimarer Republik gibt es heute in der medialen Öffentlichkeit niemanden, der öffentlich rechte Gewalt rechtfertigt. Selbst der bei der NPD angelangte Horst Mahler behauptet, seine Partei lasse sich nur deswegen mit Skinheads ein, weil sie so die jugendlichen Heißsporne besser zügeln könne. Politiker aller Parteien, sieht man von jenem mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zur Macht gelangten Ministerpräsidenten ab, äußern sich empört bis doch wenigstens besorgt. Verbreitet hingegen sind Argumentationsmuster wie: Nur ein normales, stabiles Nationalbewusstsein schütze vor übertriebenem Nationalismus; nur wenn man genügend Ausländer abschiebe, könne man der Ausländerfeindlichkeit begegnen.

Anders als ein Ernst Jünger vor siebzig Jahren treten also Rechtsintellektuelle heute nicht als Feinde der Demokratie auf. Sie halten Distanz zu Gewaltaktionen; und für viele der Rechtsintellektuellen dürfte gelten, dass nicht allein Taktik ihre Äußerungen bestimmt. Sie dürften Mordaktionen ablehnen, und Horden biertrinkender, pöbelnder Glatzköpfe entsprechen wohl kaum ihrem Ordnungsideal.

Rechtsintellektualismus ist (und war) also nicht unbedingt die geistige Entsprechung zur blutigen Handarbeit des Prügelns und Brandsätzewerfens; obwohl rechte Intellektuelle ein gesellschaftliches Klima befördern können, in dem Prügler und Brandstifter sich als Repräsentanten einer Mehrheit begreifen. Rechtsintellektuelle werden auch nicht einfacher zu fassen dadurch, dass manche von ihnen den Terminus für sich selbst ablehnen. Sie inszenieren sich zuweilen als gerade diejenigen, die die überkommenen rechts-links-Schemata überwunden haben. Dem Etikett Rechtsintellektualismus entspricht damit bei weitem nicht immer eine Selbsteinordnung. Es handelt sich um eine Zuschreibung - also stellt sich die Frage nach den Kriterien.

Auf einer sehr allgemeinen Ebene lässt sich rechtes Gedankengut als Ideologie der Ungleichheit begreifen. Intellektuelle im weiteren Sinn sind nicht nur jene Personen, die dichten, philosophieren, die Feuilletons füllen und gemäß einer freilich verblassenden Idealvorstellung kritisch sind, sondern sind alle diejenigen, die in einer Gesellschaft wissenschaftlich oder konzeptionell tätig sind. So verstanden fiele manches unter den Begriff des Rechtsintellektualismus, was bis weit in die Mitte der Gesellschaft heute Akzeptanz findet: von Stadtplanungskonzepten, die sozial unerwünschte Menschen in Randbezirke verdrängen, über das quasireligiöse Vertrauen in die Bedeutung genetischer Vorherbestimmungen bis hin zum zynischen Ideal, dass doch jeder für seine soziale Sicherheit selbst sorgen solle, gefolgt von der entsprechenden Arbeit von Politikern und Bürokraten, die das angeblich bequeme soziale Netz durchlöchern.

Eine solche Definition des Rechtsintellektualismus hat analytischen Wert, umfasst jedoch derart viele Aspekte, dass ein Rezensionsschwerpunkt allzu sehr zerfaserte. Deshalb, und wegen der Kompetenzen der Beteiligten, ist hier doch ein engerer Begriff zugrunde gelegt. Die Intellektuellen, um die es hier geht, sind Schriftsteller oder Wissenschaftler. Der Schwerpunkt ist zu einem großen Teil historisch ausgerichtet: Bedingt auch durch zahlreiche Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, der sich der Walserschen Forderung, jeder solle still für sich alleine mit seinem Gewissen mit dem Vergangenen hadern oder auch nicht, offenkundig nicht fügt. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Niederlage des deutschen Faschismus ist das Interesse von Autoren und wohl auch von Lesern an jener Epoche größer denn je.

Das mag heute auch Entlastungsfunktion haben; wer sich mit Völkermördern beschäftigt und sich zudem von - am besten ostdeutschen - Gewalttätern abgrenzt, denkt vielleicht nicht über die tatsächlich im Vergleich viel harmloseren Abschiebegefängnisse und Visaregelungen der Gegenwart nach. Dies allgemeine Bedenken sagt allerdings nichts gegen die Qualität der einzelnen historischen Arbeiten. Die Dämonisierung und Personalisierung, die die 50-er und frühen 60-er Jahre vielfach beherrschten, ist auf die ZDF-Reportagen Guido Knopps zurückgedrängt; die Ideologiekritik der 70-er Jahre ist aufgehoben in einer Faschismusforschung, die nicht allein nach Defiziten, sondern verstärkt nach Funktionen von Denkmustern fragt. Eine Neuauflage der Totalitarismustheorie hat sich, trotz mancher Ansätze, bislang nicht durchsetzen können: Zu unterschiedlich sind Ziele und Herrschaftspraktiken von Stalinismus und den verschiedenen Varianten des Faschismus. Eine Gleichsetzung von DDR und deutschem Faschismus ist angesichts von Krieg und Völkermord, die letzterer verschuldet hat, ohnehin abwegig.

Der vorige Absatz deutet es an: Zumindest in Deutschland bleibt die Diskussion über Rechtsintellektualismus untrennbar verbunden mit der über den Nationalsozialismus. Mehrere der im zweiten, dem historischen Teil des Schwerpunkts vorgestellten Bücher befassen sich denn auch mit Themen aus diesem Zeitabschnitt: zum Beispiel mit Carl Schmitt, mit Schriftstellern zwischen 1933 und 1945, mit der Germanistik in diesem Zeitraum, mit Hitlers "Mein Kampf" oder mit den ideologischen Quellen des italienischen Faschismus. Zwei weitere Rezensionen befassen sich mit Büchern über die Kriegsbegeisterung im Sommer 1914 - in der Erinnerung das Ideal einer kämpferischen Volksgemeinschaft für Rechte, Schreckensvorstellung für Linke und Pazifisten, jedenfalls nationaler Mythos solange, bis deutscher Faschismus und Krieg ihn überlagerten.

Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto anachronistischer wird der Begriff des Rechtsintellektualismus. Diejenigen, die im 18. Jahrhundert über einen deutschen Patriotismus debattierten, wären ebensowenig wie im 19. Jahrhundert Richard Wagner als zeitweiliger anarchistischer Revolutionär je darauf verfallen, sich selbst als Rechtsintellektuelle zu bezeichnen. Doch können Anachronismen produktiv sein: dann nämlich, wenn nicht das Selbstverständnis historischer Akteure im Vordergrund steht, sondern es um die Geschichte von Ideologien geht. In einer solchen Sichtweise wird deutlich, dass Ideen, sind sie einmal in der Welt und verankert, eine Entwicklung haben und Folgen zeitigen, die sich mit den Intentionen derjenigen, die sie zuerst dachten, nicht decken. Will man die Geschichte des deutschen Nationalbewusstseins verstehen, genügt es nicht, historistisch den Verstehenshorizont der patriotischen Vordenker zu rekonstruieren. Aus diesem Grund greift der Schwerpunkt weit in frühere Epochen zurück.

Wie Vergangenheit und Gegenwart verknüpft sind, zeigt der Beitrag von Ulrich Rüdenauer, der den Schwerpunkt eröffnet: Die Weigerung der Stadt Creglingen, sich des Pogroms von 1933 zu erinnern, steht exemplarisch für den immer noch verbreiteten Unwillen, konkrete Verbrechen dann klar zu benennen, wenn nicht ferne NS-Größen und SS-Mörder sie begingen, sondern die eigenen Nachbarn und Verwandten; ähnlich motiviert dürfte die Unruhe sein, die die Wehrmachtsausstellung auslöste und die, nach freilich einigem Ungeschick der Verantwortlichen, nun dazu führen dürfte, dass sie totalistarismustheoretisch verallgemeinert und damit verharmlost wird - ein Blickwinkel, aus dem Täter, Opfer und historische Zusammenhänge in einer Gewaltgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr zu unterscheiden sind. Wenn dagegen von realen Verbrechen nicht die Rede sein soll, hat das mit Intellektualismus auf den ersten Blick nur wenig zu tun. Aber es zeigt das Klima an, in dem rechte Intellektuelle sich gefahrlos vorwagen können.

Ihnen ist der erste Hauptteil des Schwerpunktes gewidmet. Die vorgestellten Autoren vertreten kein gemeinsames Konzept - Martin Walsers Hass auf christlich vorgeprägten Bekenntnis- und Beichtzwang etwa steht im Widerspruch zu Günter Rohrmosers Versuch, auf dem Fundament des Christentums einen vorgeblich modernen Konservativismus zu begründen, selbst wenn Rohrmoser Walsers nationale Äußerungen anerkennend zitiert. Deutlich wird indessen, dass rechte Intellektuelle an Hochschulen oder als anerkannte Dichter wie Walser oder Botho Strauß längst nicht mehr marginalisierbar sind.

Der dritte und letzte Hauptteil befasst sich mit Literatur von und über Ernst Jünger und führt damit die Reihe der Schwerpunkte fort, mit denen "literaturkritik.de" über den Diskussionsstand zum Werk einzelner Autoren orientiert. Anders als bei Kafka und Döblin ist der literarische Wert der Werke Jüngers höchst unterschiedlich und umstritten. Wenn seit etwa fünfzehn Jahren ein ständig wachsendes Interesse an Jünger zu konstatieren ist, so liegt das weniger an der ästhetischen Qualität, die manche seiner Texte unzweifelhaft aufweisen; Grund scheint vielmehr, dass Jünger für viele seiner Interpreten politisch skandalös bleibt, dass er der Gegenpartei als ideologische Identifikationsfigur dient. Diese Konstellation ist unfruchtbar, denn sie verstellt den Blick auf Jüngers Literatur und führt häufig zu vereindeutigenden Lesarten. Die Rezensionen machen denn auch deutlich, dass der Ertrag der letzten Jahre weniger in weiterführenden Textdeutungen besteht als in der Bereitstellung neuer Materialien, besonders aus Jüngers Korrespondenz. Die autobiographisch geprägten Erinnerungen von Personen, die Jünger kannten, helfen dagegen nur bedingt weiter.

Gerade ihre Häufung jedoch verweist darauf, dass Jünger nicht mehr der Außenseiter ist, durch dessen Namen sich eine verschworene Minderheit verständigt. Aus dem vorgeblich gesellschaftsfernen Anarchen, als den sich Jünger in den späteren Jahrzehnten seines langes Lebens gerne darstellte, ist ein Großschriftsteller geworden, mit dem Verbindung gehabt zu haben die eigene Laufbahn schmückt. Insofern zeigt gerade diese Akzentsetzung innerhalb der neuesten Rezeption Jüngers, dass rechtes Denken im wiedervereinigten Deutschland anerkannt ist und dass Auseinandersetzung mit den historischen Voraussetzungen und gegenwärtigen Ausformungen dieses Phänomens Not tut.