Geisterwelt und Politik

Colin Cotterills neues Abenteuer von Dr. Siri in Laos

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das ist mal eine Idee: Man legt einen Toten irgendwohin und näht ihm vorher eine Bombe in den Bauch. Wenn der Pathologe ihn dann aufschneidet, explodiert die Leiche, und der Pathologe ist gleich mit tot. Eine hübsche Idee, wenn auch ein wenig kompliziert. Und ein bisschen unsicher. Wie schnell kann da jemand anders in die Luft gehen…

Aber so soll jedenfalls Dr. Siri umgebracht werden, der weit jenseits des Rentenalters befindliche und deswegen unfreiwillige Chefpathologe im kommunistischen Laos. Verhindert wird der Anschlag nicht nur dadurch, dass er gar nicht da ist, sondern auf einer Dienstreise im Norden des Landes, sondern auch, weil seine Assistentin Dtui viel zu aufmerksam ist und merkt, dass mit der Leiche etwas nicht stimmt. Und so kann sie wenigstens Dr. Siris Vertretungen warnen. Was auch etwas mühsam ist, denn die glauben ihr erst einmal gar nicht. Natürlich will Dtui diesen Mordversuch aufklären und macht sich zusammen mit Madame Daeng, Siris Verlobter, und dem Polizisten Civilai auf die Suche.

Das ist die eine Schiene des neuen Kriminalromans von Colin Cotterill, dessen letzter aus der Serie um Dr. Siri Paiboun so richtig misslungen war. Dieser hier zeigt ihn jedoch wieder in alter Form. Weil sich Cotterill auf weniger Zutaten beschränkt: auf zwei Fälle, natürlich eine Menge Geister, gefährliche Kämpfe und schlüssige Deduktionen, und vor allem auf lebendigere Charaktere als beim letzten Mal.

Der andere Teil des Krimins handelt von Dr. Siri selbst. Auf der Reise von einer politischen Konferenz mit seinem von ihm ungeliebten Vorgesetzten wird er von einer kleinen Gruppe von Hmong gekidnappt. Die Hmong sind eine Minderheit in Laos, die aus Angst vor Repressionen massenhaft nach Thailand flüchten, weil die CIA sie in den 1960er– und 1970er–Jahren gegen die Pathet Lao rekrutiert hatte. Außerdem ist der Geisterglaube bei ihnen groß. Und so erzählen die Dorfbewohner Dr. Siri eine schreckliche Geschichte um einen einen Fluch der Amerikaner in Gestalt eines Pogo-Sticks, der das Dorf dezimiert. Und eine Tochter des Dorfältesten hat sich in ein Haus zurückgezogen, das von bösen Geistern bewohnt und bewacht wird, deren Macht auch Siri spürt. Schließlich wohnt in ihm der große Schamane Yeh Ming. Aber dennoch ist Siri zunächst ratlos. Seine Träume sind wirr, und da seine Erfahrungen mit der Welt der Geister nicht so zahlreich sind und auch oft nicht so besonders angenehm, traut er sich zuerst nicht recht. Erst als er eine Trance-Reise unternimmt und dabei zwei amerikanischen Geistern begegnet, kann er mit Hilfe von logischen Überlegungen und westlichem Wissen nicht nur die Tochter von ihrem speziellen Fluch, sondern auch das ganze Dorf vom allgemeinen Fluch befreien. Denn nur ein Teil des Problems sind die Geister, der andere Teil ist ganz normaler, alltäglicher Wahnsinn.

Denn das ist die darunterliegende Folie: die Frage nach dem Sozialismus, für den Dr. Siri einst gekämpft hat. Was ist daraus geworden? Eine ganz normale, korrupte und machtgierige Elite hat sich ihre Pfründe gesichert, und die Menschlichkeit ist dabei völlig auf der Strecke geblieben. Immer wieder muss Dr. Siri resigniert feststellen, dass sie durch die Revolution ein Regime gegen ein anderes eingetauscht haben, das auch nicht besser ist, das mit Gewalt regiert, Minderheiten unterdrückt und sich einen Dreck um Menschenrechte schert, wenn das, was es tut, der Machterhaltung dient.

Dabei hat die Krimireihe aus dem exotischen Laos in ihren guten Momenten viel Wortwitz und eine unglaubliche Ironie, die Charaktere sind diesmal wieder lebendig und unaufdringlich geschildert und ihre kleinen Schwächen mit einem liebevollen Augenzwinkern. Und selbst die abstrusesten Details wirken meistens glaubhaft, auch wenn sich Cotterill manchmal einer gewissen Überzeichung nicht enthalten kann.

Und der Geisterglaube, den wir aufgeklärten Europäer so gerne als puren Aberglauben abtun? Vielleicht hilft den Kritikern ein Satz, der fällt, als eine Weissagung einer Wahrsagerin sich bewahrheitet, die Siri nie geglaubt hat: „Aus der Wahrsagerei war eine Wissenschaft geworden. Nicht mehr lange, und das Einzige, was sich mit Bestimmtheit als kompletter Humbug abtun ließ, war die Politik.“

Titelbild

Colin Cotterill: Der Tote im Eisfach.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Mohr.
Manhattan Verlag, München 2012.
284 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783442546817

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