In den dunklen Stuben unter den alten Buchen

In einem ersten Band werden Ausschnitte aus den Tagebüchern von Erwin Strittmatter aus den Jahren von 1954 bis 1973 zugänglich gemacht

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kein zweiter Schriftsteller verkörpert Erwin Strittmatter die deutsche Teilung. In den neuen Bundesländern verfügt er über eine ungebrochen treue Leserschaft, während er in der alten Bundesrepublik, einer mehrteiligen Verfilmung seiner Romanbände „Der Laden“ zum Trotz, lediglich einem eingeschränktem Kreis von Experten geläufig ist. Auch damit stellt Strittmatter eine Herausforderung dar.

In der DDR hatte er seine Bücher veröffentlichen können und war mit Preisen bedacht worden. Strittmatter hatte dem Regime nicht öffentlich opponiert, wenngleich er sich von seinen offiziellen Funktionen im Schriftstellerverband nach und nach zurückgezogen hatte. Die Aufbereitung seiner Tagebücher verspricht hier neue Einblicke in Hintergründe seiner denkerischen wie auch seiner literarischen Entwicklung. Der vorliegende erste Band deckt die Jahre von 1954 bis 1973 ab und ist in seiner inneren Dynamik derartig spannungsgeladen, dass der zweite Band zurecht mit Ungeduld erwartet werden wird.

Eine bestimmende Rolle für Strittmatters Anpassung an die Verhältnisse in der DDR mag seine Teilnahme als junger Soldat am Zweiten Weltkrieg gespielt haben. Dieser Aspekt wird in seinen Tagebüchern jedoch kaum angesprochen, eine offene Reflexion des Geschehenen findet nicht statt. Aufrichtig bemüht sich Strittmatter hingegen, den Aufbau einer antifaschistischen Republik mitzutragen.

Die junge DDR hatte dem aus dem Kleinbürgertum stammenden Strittmatter ermöglicht, seine Texte zu publizieren. Immer wieder finden sich in seinem Tagebuch Erinnerungen an die Begegnungen mit Bertolt Brecht, die ihm seinerzeit neue Perspektiven eröffnet hatten. Faszinierend zu lesen ist eine über die Jahre hinweg immer deutlicher herausgearbeitete Distanzierung von seinem ehemals geschätzten Meister. Ebenso werden angesichts Strittmatters Aktivität für den Schriftstellerverband etliche ungeschminkte Einblicke in interne kulturpolitische Abläufe gegeben.

Strittmatter hatte bald schon, 1954, seinen Lebensmittelpunkt auf seinen „Schulzenhof“ bei Gransee in der Mark verlegt. Hier bewies er eine gute Hand als Pferdezüchter und betrieb seine Schriftstellerei wie ein diszipliniertes Handwerk, dem er aber alles andere unterordnete. Konflikte mit der Familie blieben da nicht aus und immer wieder ist in den Notizen von Spannungen, von Streit und sogar von Selbstmordgedanken die Rede. Strittmatter leidet unter seinem Jähzorn. Zugleich ist ihm der Halt durch seine Frau und Gefährtin, der Dichterin Eva Strittmatter (1930-2011) sehr wohl bewusst.

Erwin Strittmatter kam aus kleinen Verhältnissen, er war Bäckerlehrling, Hilfsarbeiter, Kellner, Ortsvorsteher und Redakteur. Vom Leben hatte er genug gesehen, um darüber schreiben zu können. Die ihn umgebende Natur im Schulzenhofer Wiesental inspirierte Strittmatter immer wieder aufs Neue und prägte traumhafte Impressionen. Am 11. August 1967 notierte Strittmatter: „Ich ritt um 5h morgens aus dem Hof, ritt an den Nehmitz-See und es war mir dort in den dunklen Stuben unter den alten Buchen sehr wohl“.

Während der Jargon der frühen Jahre in seinen Tagebüchern gerade im Hinblick auf politische Einschätzungen eine unkritische Haltung zur DDR auszeichnet, finden sich spätestens in den 1970er–Jahren immer mehr Anzeichen einer inneren Ablösung von der vorgegebenen Weltsicht. 1958 hatte sich Strittmatter noch selbstgefällig davon überzeugt, dass es „ein guter Beruf (ist), Schriftsteller in unserer Zeit und in einem sozialistischen Land zu sein!“. Dabei wusste er davon, dass zeitgleich ein Schriftsteller wie Erich Loest grundlos auf Jahre im Zuchthaus einsaß.

In späteren Jahren überkam ihn immer mehr Ekel vor dem Phrasengedresch rastloser Genossen. In einem Eintrag aus dem Jahr 1972 denkt er sogar über einen Parteiaustritt nach. Aber es gefährdet sein literarisches Werk, das er zuende bringen möchte, koste es, was es wolle. Geradezu beschwörend bestätigt er sich selbst in seinem Rat: „Ausharren, ausharren, ausharren“.

Es wäre eine grundlegende Fehleinschätzung, wenn man Strittmatters Romane und Erzählungen als unpolitische Szenarien gebrochener Idyllen abtäte. In einer „Bilanz“ hält Strittmatter 1962 fest: „Der Tag fragt dich: ‚Lebst du dein Leben, lebt das Leben dich?‘ Du mußt ihm Antwort geben“. Eine vitalistische Lust am Leben, an der Natur und den Menschen verleiht Strittmatters Büchern ihren anhaltenden Wert. Die Tagebücher gewinnen ihre Intensität nicht zuletzt aus einem langsam erwachenden Bewusstsein über unweigerliche Misshelligkeiten im Windschatten von Diktaturen. Ein Nachdenken, inwieweit dabei unweigerlich persönliche Schuld auf sich geladen wird, findet hingegen nicht statt. Aufschlussreich ist dabei Strittmatters Haltung zu Alexander Solschenizyns Enthüllungen über die sowjetischen Straflager, 1969 im Tagebuch – bezeichnenderweise in Klammern geschrieben – festgehalten: „Das Leben verlangt, daß man Grausamkeiten, die einzelnen Menschen widerfahren, vergißt. Man kann nicht leben, wenn man beständig gebannt auf solche Grausamkeiten starrt!“.

Titelbild

Almut Giesecke (Hg.) / Erwin Strittmatter: Nachrichten aus meinem Leben. Aus den Tagebüchern 1954-1973.
Aufbau Verlag, Berlin 2012.
530 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783351033927

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