Kunstwerke im Miniaturformat

Eine Ausstellung zeigt Künstlerpostkarten der „Brücke“

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Künstlerisch gestaltete Postkarten gibt es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, vor allem nachdem die so genannte „Korrespondenzkarte“ als neues Kommunikations- und Nachrichtenmittel eingeführt wurde. Aber die Expressionisten waren die ersten, die eigenhändig gestaltete Karten zum Bestandteil ihres künstlerischen Gesamtschaffens erhoben haben. Die Künstler der „Brücke“, aber auch die des „Blauen Reiter“, arbeiteten weitgehend unabhängig voneinander, waren oft unterwegs oder verbrachten die Sommermonate getrennt voneinander, und so skizzierten sie ihre Bildideen und optischen Eindrücke auf die Postkarte, die sie an ihre Künstlerkollegen, Freunde und Freundinnen – die ihnen auch Modelle waren –, Lebensgefährten, Sammler und Förderer verschickten. Vor allem wollte die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire ständig über die Arbeit der „Brücke“-Künstler unterrichtet sein, und so war sie eine der häufigsten Adressaten (allein über 100 Karten hat sie empfangen). Die „Kunstkarten“ stellen oftmals Vorarbeiten zu später ausgeführten Werken dar und bieten neben ihrem besonderen künstlerischen Wert auch wichtiges Quellenmaterial zum Leben und Schaffen der Künstler.

Das Brücke-Museum, das neben dem Altonaer Museum in Hamburg die größte Postkartensammlung der Brücke-Künstler ihr Eigen nennt, stellt – ergänzt durch viele Leihgaben – 67 dieser Zeichnungen, Aquarelle und Holzschnitte in Miniaturformat vor (bis 23. September). Der Katalog mit einem umfassenden Text von Janina Dahlmanns, der in die Motive und Bedeutung der Künstlerpostkarten einführt, verzeichnet in großformatigen Abbildungen – der dazu gehörige Text wird jeweils beigegeben – alle sich im eigenen Besitz befindlichen oder als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellten Arbeiten des Museums. Die immer wieder behandelten Themen sind: Blicke in Cafés und Restaurants, Darstellungen aus der Welt des Zirkus, des Varietés und des Theaters, Atelierszenen, Akte, Badende, Köpfe und Bildnisse, Landschaften und Schiffe.

Karl Schmidt-Rottluffs Postkarten sind meist von der oldenburgischen Ostsee oder der Gegend um Dangast inspiriert, wo sich der Künstler zwischen 1907und 1914 wiederholt aufgehalten hat. Rigorose Formverknappung, harte Kontraste sowie Flüssigkeit und Transparenz stark leuchtender Farben verleihen seinen Zeichnungen große Unmittelbarkeit. In „Segelboot an der Küste“ (1910) werden Tuschelinien analog zu den Kreidestrichen gesetzt, während in „Villa mit Turm“ (1911) von der Tuschelinie elementare Bildelemente fixiert werden. Dagegen kennzeichnen herbe Strenge, geschlossen blockhafte Form, unbedingte feste Starre seine Figurendarstellungen „Hockende“ und „Weiblicher Akt mit Pflanze“ (beide 1924). Die raumfüllenden Körpervolumina sind einem linearen Gerüst eingeordnet. Aber die hier vertretenen Pastellarbeiten bilden nur eine Episode in dieser von der Ölmalerei und vom Aquarell bestimmten Periode des Künstlers, die seit 1911 von einem geschlossenen farbigen Flächenstil bestimmt wurde. Wo Holzschnitte auf den Postkarten Verwendung fanden – so Schmidt-Rottluffs „Elbhafen“ – sind sie meist Ausschnitte aus Arbeiten mit größeren Formaten.

Liegt die formale Konzentration bei Schmidt-Rottluff in einer großzügigen Strenge und Festigkeit, so bei Ernst Ludwig Kirchner in einer knappen Bewegungsformel. Sein späterer Begriff der Hieroglyphe hat hier schon seine Vorzeichen gefunden. Seine Figuren erscheinen wie von ungefähr umrissen und doch präzise charakterisiert und lebendig in Fläche gesetzt. Die Postkarten-Zeichnung „Badende an den Moritzburger Teichen“ (1909) steht in Beziehung zu dem im gleichen Jahr entstandenen Ölbild „Im See badende Mädchen“, und es bleibt dahingestellt, ob Kirchner auf der Grundlage der Zeichnung später das Gemälde schuf oder ob das Ölbild direkt an den Moritzburger Teichen entstand und der Künstler mit der Postkarte einen Eindruck des Gemäldes vermitteln wollte. Eindeutig ist dagegen, dass das Karten-Motiv der Farbkreidezeichnung „Badende am Teich“ (1909) auf den Farbholzschnitt „Badende, sich waschend“ seitenverkehrt übertragen worden ist. Die Verwandlung von Linie in Fläche ergibt sich hier aus der anderen Technik. Die „Tanzenden“ (1911) in rhythmischem Stakkato deuten dann schon die nervöse Hektik der Großstadtszenen an, die Kirchner nach seiner Übersiedlung nach Berlin schuf. Die Linie ist mit Energie und Dynamik, geradezu mit Elektrizität geladen. Kirchner erfand schon 1910 Bildzeichen, summarische Strichgebilde, stieß zu immer schroffeneren Formen vor, gelangte vom weichen zum harten Stil. Dieses Reservoir an Zeichnungen hat Kirchner wohl als „Form- und Ideenspeicher“ gedient, es sollte ihm die thematische Breite und gestalterische Vitalität vergegenwärtigen, ihn immer wieder zum „Neuschaffen früherer Erlebnisse“ anregen.

Heckel nähert sich manchmal der Monumentalität Schmidt-Rottluffs, manchmal der vehementen Linienführung Kirchners, mit der dieser den Betrachter suggestiv ins Bild einbeziehen wollte. Das weist Heckel als Mittler aus, der die unterschiedlichen Temperamente zusammenhalten konnte. Von besonders geschlossener Bildwirkung und den Moment gesteigerten Bewusstseins einfangend die Szenen „Theaterbalkon“ (1911) und „Konzert“ (1912). Heckel lässt sich durch das Motiv entzünden, um sich einer ungezügelt dahin schießenden Farbe anzuvertrauen, einer Farbe als Materie, als noch ungerichtete Kraft, als dynamisches Element, das die Bildfläche in brodelnde Erregung versetzen kann. Gerade an seine Freundin und spätere Frau Siddi schickte er solche über das Skizzenhafte hinausgehende Karten, so das in Mischtechnik ausgeführte Selbstporträt von 1921, das sich bewusst auf das zwei Jahre zuvor an derselben Stelle im Osterholzer Atelier entstandene Bildnis eines bärtigen Mannes bezieht.

Alle Themenkreise sind in der Postkarten-Sammlung Max Pechsteins vertreten. Die Badenden und Akte im Freien, die exotischen Interieurs und Landschaften, die Darstellungen vom ursprünglichen Leben ebenso wie die Stillleben, Bildnisse, Fischerboote und einsamen Bauerngehöfte. Im Gegensatz zur sperrigen Festigkeit Schmidt-Rottluffs fällt die Eleganz und Gefälligkeit von Pechsteins Tuschfederzeichnungen auf, der in der Farbe auch des kräftigen Zugriffs fähig war. 1908 in Paris mit den Bildern von Matisse und den Fauves bekannt geworden, vermochte er nunmehr seinen farbig durchglühten Bildern eine ungeheure Leichtigkeit des Ausdrucks zu verleihen. Was mit den „Viertelstundenakten“ begonnen hatte, den Akt in ungekünstelten Stellungen zu erfassen, vollendete sich im Sommer 1909, an den Moritzburger Teichen, die Darstellung des nackten Menschen in freier Bewegung, verschmolzen mit der Landschaft. Fast unmerklich gehen die Akte im Freien dann in die Tanz- und Varietészenen der Berliner Zeit über. Der flexible Tuschpinsel fängt im Porträt Schmidt-Rottluff oder im „Selbstbildnis mit Zigarre“ (beide 1909) ganz die Spontaneität des Augenblicks ein, die schwarze Tusche ist von leuchtender Farbigkeit. 1912 verliess Pechstein die „Brücke“ und ging zu einer kubo-expressionistischen Formsprache über.

„Brücke gratuliert“ heißt es auf einer Postkarte, die Heckel Rosa Schapire 1909 zu ihrem 35. Geburtstag schickte: Vier Gestalten – es dürfte sich um Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff und Pechstein handeln – bewegen sich im Gänsemarsch über eine Brücke auf das andere Ufer zu. Ein verheißendes Symbol, zu einem Zeitpunkt, als die „Brücke“-Künstler noch fest zusammenhielten.

Titelbild

Magdalena Moeller (Hg.): "Besten Gruß ...". Künstlerpostkarten der "Brücke".
Hirmer Verlag, München 2012.
148 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783777451213

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