Wissenschaft unterm Mikroskop

Bernhard Kegels neuer Science-Thriller „Ein tiefer Fall“ kann nicht vollends überzeugen

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wissenschaft ist ein mühseliges und bisweilen auch unbefriedigendes Tagwerk. So spricht sicherlich auch der promovierte Biologe Bernhard Kegel aus seinem Protagonisten Hermann Pauli, der in seinem Büro an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel den folgenden Gedanken formuliert: „Zweifellos leisteten er und seine Kollegen solide wissenschaftliche Arbeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ihre Ergebnisse tilgten – einen nach dem anderen – die zahllosen weißen Flecken auf der Landkarte des Wissens, wodurch nicht selten viele neue sichtbar wurden.“ Pauli, der bereits aus Kegels Vorgängerroman „Der Rote“ bekannt ist, sinniert zudem weiter, dass nichts davon ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangen und nichts davon die Welt nachhaltig verändern würde.

Erstaunlich, wie einfach sich dieser Gedanke auch auf den Literaturbetrieb anwenden lässt. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass dem Leser bei der Lektüre eines Romans jederzeit bewusst ist, ein fiktives Ereignis zu verfolgen. Doch wie verhält es sich mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen? Entsprechen diese der Wahrheit oder ist doch alles nur Science-Fiction? Eine nicht gerade neue, aber nach wie vor spannende Frage, deren Aktualität sich auch in den medial ausgewalzten Plagiats- und Urheberschaftsdiskussionen der letzten Jahre bemerkbar macht. Und es ist ein schockierendes Erlebnis, das dieser Frage im Roman zusätzliche Brisanz verleiht.

Im Hochhaus des Biologiezentrums werden zwei Leichen und ein völlig zerstörtes Labor entdeckt. Waren es rein persönliche Gründe, die zu den tragischen Todesfällen führten, oder hat das Unglück etwas mit ihrer aktuellen Forschungsarbeit zu tun? Tatsache ist, dass beide Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Frank Moebus, dem neuen Aushängeschild der deutschen Forschung, tätig waren. Diesem gelang tief unter dem Polareis im Umfeld eines Schwarzen Rauchers eine spektakuläre Entdeckung: Eine ausschließlich auf RNA basierende Zelle, die laut Moebus sogar den ersten Nachweis einer Schatten-Biosphäre liefern könnte.

Auch Leser, denen diese Fachtermini zum ersten Mal unter die Augen kommen, können sich bei Kegel gut aufgehoben fühlen, denn dem Autor gelingt es, ohne belehrend zu wirken, ausreichende Informationen zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig aber auch Neugier zur eigenen Recherche zu wecken. Gerne wurde daher nach seinem Vorgängerroman schnell der Vergleich zu Michael Crichton gezogen. Der große Unterschied ist jedoch, dass die wissenschaftlichen Aspekte in den Romanen Crichtons im Allgemeinen eine fundamentale Bedeutung für den Handlungsverlauf bieten. Kegel benutzt das dargestellte Szenario aber vielmehr als Objektträger, während er das Objektiv auf eine andere Sache richtet, nämlich auf den Wissenschaftsbetrieb an sich: Denn entgegen der Gepflogenheiten weigert sich Moebus, seinen Fund sofort mit den Kollegen anderer Forschungsstätten zu teilen. Vielmehr verschließt er sie in seiner „Schatzkammer“, zu der nur wenige Personen Zugang haben, und vertröstet Interessenten auf vorerst unbestimmte Zeit.

Die Einblicke in die Mechanismen des Systems sind zwar durchaus interessant und die Grundbotschaft des Romans ist löblich – wenn auch bisweilen etwas penetrant. Bedauerlich ist allerdings, dass die gewählte Fokussierung den dramaturgischen Rahmen merklich einschränkt. Und obwohl Kegels Fähigkeiten, einen grundsoliden Roman abgeliefert zu haben, nicht abgestritten werden können und dieser durchaus die Qualitäten eines ‚page-turners‘ besitzt, beschleicht den Leser beim Umblättern immer häufiger das Gefühl, nicht richtig vorangekommen zu sein. Der erstaunte Blick auf die sich stetig reduzierenden Restseiten lässt zudem den Gedanken aufkommen, dass nun nicht mehr viel folgen kann. Dieser Gedanke bewahrheitet sich leider, denn im Eilverfahren wird die Handlung zu einem wenig befriedigenden Ende gebracht – oder ist es vielleicht doch eher erst ein Anfang?

Nun, es würde nicht verwundern, wenn der Autor bereits eine Fortsetzung in der Schublade hätte, denn auch in diesem hart umkämpften Business gilt: „Publish or perish!“

Titelbild

Bernhard Kegel: Ein tiefer Fall. Roman.
Mare Verlag, Hamburg 2012.
508 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783866481657

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