Abgesang eines Talents

Stefan Weidle gibt Heinrich Hausers Roman „Zwischen zwei Welten“ aus dem Nachlass heraus

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er war wohl einer der talentiertesten und ruhelosesten Geister seiner Generation, mit der das Jahrhundert eingeleitet wurde. Der 1901 geborene Heinrich Hauser war Anfang der 1930er-Jahre eine Größe. Der Roman „Donner über Meer“ zeigte sein Talent, aber vor allem die Reportagebände über das Ruhrgebiet („Schwarzes Revier“) und die USA, über eine Fahrt mit dem Segelschiff, der Pamir, oder darüber, wie man um 1930 das Fliegen lernte, machten ihn berühmt. Dass er neben den Texten auch Fotos machte und Filme drehte – der über die Fahrt mit der Pamir hat beinahe legendären Status – zeigt ihn als einen medial versierten, auf der Höhe seiner Zeit agierenden Autor.

Vieles von dem, was Hauser machte, ob er schrieb, fotografierte oder filmte, zeigt ihn als engagierten Dilettanten im besten Sinne. Der Blick Hausers auf seine Gegenstände war inspirierend und ist es bis heute, gerade weil Hauser mit seinen Gegenständen nicht fertig wurde, gerade weil er keine feste Form hatte, in die er alles pressen konnte. Die inhaltliche und formale Unsicherheit eben beförderte den suchenden Blick, der nicht vorschnell urteilen konnte, weil er kein festes Beurteilungsschema hatte.

Das hat Hauser immer wieder harsche Kritik eingebracht, nicht zuletzt als einer jener Autoren, die – gewollt oder ungewollt – der Tendenz zum Faschismus zu Beginn der dreißiger Jahre nichts entgegensetzten. Ein Schicksal, das aber auch Kollegen wie Erich Kästner, Kurt Tucholsky oder später sogar Heinrich Mann traf.

Die unentschiedene, ja unklare Haltung Hausers wird besser erkennbar, wenn man ihn mit Kollegen wie Egon Erwin Kisch vergleicht, der ja nicht nur einer der Protagonisten der Neuen Sachlichkeit war (der Hauser nur schwer zuzuordnen ist), sondern der sich auch politisch klar entschieden hatte. Wo Kisch zu erklären wusste, war Hauser orientierungslos und damit eben auch offener für die widersprüchlichen Phänomene, mit denen sich ihm seine Zeit zeigte. Gerade das macht seine Qualität aus – die Text-Bild-Kombinationen der Ruhrgebietsreportage „Schwarzes Revier“ (1930) zeigen das ebenso wie der Bericht zur USA-Reise „Feldwege nach Chicago“ (1931). Beides heute Klassiker des Genres und immer noch höchst lesenswert.

Allerdings ist das Jahr 1933 nicht nur politisch folgenreich, sondern auch für das Werk Hausers. Ergebenheitserklärungen wie die Widmung der Reportage „Ein Mann lernt fliegen“ (1933) an Hermann Göring (und das in einem Buch des jüdischen S .Fischer Verlags) oder der sich autobiografisch gebende Roman „Kampf“ (1934), mit dem sich Hauser in die „Bewegung“ hineinzuschreiben versuchte, zeigen ihn eben als anpassungsfähig und anpassungsbereit wie viele andere auch.

Gerade diese Texte machen zahlreiche Passagen früherer Arbeiten verdächtig: Als Kolonisationsschrift ist „Schwarzes Revier“ verstanden worden, die Wendungen, die Hauser aus dem bürgerlichen Bildreservoir entlehnte, erhielten mit einem Mal eine schwere Schlagseite. Die Sehnsucht des unbehausten Hauser nach Heimat und Verankerung, die zentrale Rolle der Erde in seinen Texten, die Sicherheit und Beständigkeit, ja Verankerung zu versprechen schien, wurden damit verdächtig.

Dass das alles ein Missverständnis ist, lässt sich annehmen: Die Veränderungsgeschwindigkeit von Gesellschaft, die Dynamik der industriellen und technischen, ja auch gesellschaftlichen Entwicklung provozierten auf breiter Front solche Kompensationsformen. Sicherheit zu wünschen war noch lange kein Indiz für eine Zuordnung zum Faschismus.

Dennoch lässt sich Hausers spätere Emigration in die USA in diesem Kontext nicht einfach als Ausdruck einer durchgängig antifaschistischen Haltung erklären, auch wenn Hauser faktisch vor den Nationalsozialismus geflohen ist. Immerhin, auch wenn noch nach seiner Emigration Bücher Hausers in Deutschland erschienen, er hatte das Land verlassen – und befand sich mit einem Mal erneut in einer Situation, die dringend der Erklärung bedurfte, die naheliegend auch literarisch zu liefern war. Wie sich Hauser mit „Kampf“ in den Nationalsozialismus hinein schrieb, so erklärte er sich nun in die freie Welt hinein. Das ist eine wacklige Geschichte, und „Zwischen zwei Welten“ erzählt davon.

Stefan Weidle hat den Roman aus dem Nachlass herausgegeben, und damit eine Lücke geschlossen, die in der Werkbiografie Hausers noch bestand (wenngleich seine späten Texte, vor allem seine SF-Romane wie „Gigant Hirn“, noch kaum das Interesse auf sich gezogen haben). Der vom Herausgeber als autobiografischer Roman klassifizierte Text behandelt im Wesentlichen die Geschichte eines Mannes (Henry), der aus Deutschland auswandert, weil er dort gefährdet ist, um in den USA Fuß zu fassen. Frau und Kinder sind bereits dort und haben sich einigermaßen eingelebt.

Die Versuche, im bürgerlichen Leben Fuß zu fassen, scheitern. Der Mann findet keinen Job, die Frau verliert ihren, weil sie an einer Fleischvergiftung erkrankt. Während sie Trost in der Religion sucht, wendet sich Henry kurz seinem alten Boheme-Leben zu, das ihn allerdings nicht zu befriedigen weiß.

Was tut also der Mann in Amerika, vor allem wenn er urplötzlich zu Geld kommt (eine verspätete Tantiemenauszahlung)? Er kauft sich eine Farm. Mit Frau und Kindern gehts ab in den Norden des Staates New York. Hier werden dann fleißig Wurzeln geschlagen und es wird ums Überleben gekämpft – kein Zuckerschlecken, wie man lesen kann. Die Bedingungen, unter denen Henry und Familie leben müssen, sind erbärmlich. Aber dank harter Arbeit, ein wenig Geschick und hilfsbereiter Nachbarn schaffen sie es einigermaßen über die Runden, und dürfen das Glück der Sesshaftigkeit erleben (was Mann, Frau und Kindern gleichermaßen gut tut). Handlungszeit, ungefähr die Jahre 1939 bis 1943. Das passt in der Tat zur Biografie Hausers, und es ist auch anzunehmen, dass er sich stark ans gelebte Leben angelehnt hat.

Allerdings hat der Roman doch das, was man ein Geschmäckle nennen kann: Denn eingebettet ist diese Geschichte eines Mannes, der in der Fremde zu sich findet, in zahlreiche Reflexionen über die ältere und jüngere Geschichte und ihre Fehlgänge, über deren Qualität man kaum geteilter Meinung sein kann.

Der Exkurs in die Urgeschichte der Menschheit und die Feier der Ur-Menschen, die sich nicht mit dem bequemen Hordenleben begnügten, sondern sich dem Kampf mit der Kälte stellten, um daraus Kenntnisse und gar die Zivilisation zu entwickeln? Während im Innerste Afrikas und sonstwo noch die alten Horden hausen? Ein denkwürdiges Stück Text, offensichtlich vor dem Postkolonialismus geschrieben, ohne Funktion für den Roman. Die Identifizierung solcher Dschungel mit den Städten der Moderne? Wenn wir da mal nicht schon wieder in die arg selbstherrliche Zivilisationskritik abdriften und in eine Apotheose des neuen, alten und wachen Menschen.

Das einfache Leben als Soldat? Was gäbe es Schöneres. Die Klage um die geistige Katastrophe? Irrt auch schon länger in der Welt herum (noch in jüngerer Zeit, wie man an den Diskussionen um das künftige Europa nachlesen kann. Das kann man nämlich auch nicht kaufen). Die Zitate und zweifelhaften Stellen lassen sich einigermaßen beliebig vermehren, und zeugen vom Verfall eines der großen Talente der späten Weimarer Republik. Was nämlich um 1930 noch offen zwischen all den neuen Phänomenen herumirrte und sie sich nicht zu erklären wusste, gerät jetzt zum pseudophilosophierenden, intellektuellen Spießertum. Keine Verarbeitung von dem, was man Moderne nennt, sondern das Lamento eines Mannes, der in ihr nicht ankommen mag, weil sie ihm schlicht zu anstrengend ist, auch wenn seine eigene unbehauste Existenz untrennbar mit ihr zusammenhängt. Da geht man doch lieber auf die kleine Farm und baut sich seine zeitweilige Idylle (so anstrengend sie auch sein mag).

Freilich, Spott ist gar nicht angesagt, sind Hausers Exil-Probleme doch die seiner Generation, jenes Jahrgangs „Neunzehnhundertundtraurig“ (Peter Huchel), der den ersten Krieg verpasste und im zweiten auch nicht glücklich wurde, um sich dann von den „Schlacken der materialistischen Vergangenheit zu reinigen“. Was nicht lange vorgehalten hat, zum Glück.

Die magischen Realisten gehören in diese Gruppe, oder auch ein Ernst von Salomon oder Günter Eich, so unterschiedlich die Autoren auch sein mögen. Statt sich also in der sich rasch ändernden Welt zurecht zu finden, wählt diese Gruppe lieber den Weg des ewigen Lamentos, das als Lösung nur die Rückkehr zu einem Status quo ante kennt, der so nie bestanden hat. Statt Altersweisheit hier also Blindheit des Manns in den mittleren Jahren für die Bedingungen der Moderne ohne Aussicht auf Besserung? Das mag alles sein und dazu kann man sich fast mit Belieben und je nach Anschauung positionieren.

Nur schlecht schreiben darf man es nicht, und im Stil liegen die eigentlichen Probleme des Textes. Er mag im Manuskript seine amerikanisierten Eigenheiten haben, von denen Weidle berichtet und die er anscheinend aus dem Manuskript getilgt hat. Geblieben aber ist die mittlere Stillage, die dem Text seinen zeittypischen, aber eben auch behäbigen Ton gibt. Von den stilistischen (und inhaltlichen) Suchbewegungen der frühen Texte ist dabei wenig geblieben. Statt dessen wird der Leser von Klischee zu Klischee geführt: Der Mann, der sich im neuen System nicht zurecht findet? Die orientierungslosen amerikanischen reichen Frauen? Die notwendige Bodenhaftung der Kinder? Der Nutzen körperlicher Arbeit? Die Freuden der nachbarschaftlichen Solidarität? Der Dank an das Gastgeberland, das den Dank nicht entgegen nehmen will? Der Wunsch zu kämpfen und das einfache Soldatenleben zu genießen statt des komplizierten zivilen? Das sind Themen und Motive, die sich in den zivilisations-und modernekritischen Texten des frühen 20. Jahrhunderts zuhauf finden. Und wenn es ein Problem der Zivilisation gibt, dann seine vermeintlichen Kritiker, die voneinander abzuschreiben scheinen.

„Zwischen zwei Welten“ wird damit zum Abgesang auf einen Autor, der aus seinem Talent und seiner Unrast nicht das Beste zu machen vermochte und sich aufs lamentieren verlegte. Es mag sein, dass Hauser diesen Mangel von „Zwischen zwei Welten“ gesehen hat und deshalb den Text nicht mehr anrührte. Anderes wartete auf ihn, die zahlreichen Gebrauchstexte und Auftragsarbeiten, die ihm das Überleben sicherten, eine zweite Farm oder auch die Rückkehr nach Europa, das ihn freilich wenig freundlich empfing.

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Heinrich Hauser: Zwischen zwei Welten. Roman.
Weidle Verlag, Bonn 2012.
252 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783938803455

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