Als Catwoman Batman tröstete

Weiblichkeit als Maskerade in Christopher Nolans „The Dark Knight Rises“

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Vorsicht, diese Rezension beginnt mit einem Spoiler: Am Ende von „The Dark Knight Rises“ entpuppt sich der Bösewicht als Frau. Dass dies den Zuschauer noch überrascht, ist Indiz für lang etablierte Sehgewohnheiten. Zur rezeptionsästhetischen Norm zählt immer noch die klassische geschlechtsspezifische Konnotation des Weiblichen mit dem Guten. „The Dark Knight Rises“ macht sich dies gekonnt zunutze und lädt den Zuschauer zum attraktiven Verwirrspiel der Geschlechter ein.

Christopher Nolans Finale der Batman-Trilogie steht im Zeichen der Maske. Das Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht, provoziert ein unterhaltsames Spiel mit wechselnden Identitäten. Der Protagonist Bruce Wayne (Batmans alter ego) und immer noch Gotham Citys prominentester Milliardär, begegnet uns am Beginn der Handlung als gebrochener und sichtlich gealterter Mann. Als Batman hatte er acht Jahre zuvor die Schuld am Tod Harvey Dents und dessen Verbrechen auf sich genommen, um Gotham City, einem von New York inspirierten und in dunklen Farben inszenierten Moloch an Großstadt, den Glauben an einen Vorzeigehelden nicht zu nehmen. Der Zuschauer weiß, dass sich hinter dem netten Lächeln des Staatsanwaltes Dent das Böse verbarg. Die Bürger Gothams jedoch gedenken dem blonden Schönling nach wie vor, verweilen in der Lüge, weil die Eingeweihten ihnen die Wahrheit vorenthalten. Manchmal, so scheint es, ist diese zu grausam, um ausgesprochen zu werden. Doch Bruce Wayne leidet unter dieser falschen Version der Geschichte. Zurückgezogen haust er in seinem Herrenhaus, hat sich abgekapselt, ist in einen Zustand der Verwahrlosung regrediert. Wayne hat die Maske, die ihn zum Helden macht, abgelegt. Er ist nicht länger Batman und somit kein Übermensch mehr – doch auch Bruce Wayne und einfach nur Mensch kann er nicht sein. Dem Milliardär, der sich einst mit schönen Frauen, schnellen Autos und phallischen Hochhäusern schmückte, ist sein Glanz abhandengekommen. Bruce Waynes Identität ist zerrissen.

Als eines Abends das attraktive Zimmermädchen Selina Kyle, gespielt von Anne Hathaway, lasziv in den Flügel des Hausherren eindringt, dabei die Perlenkette seiner Mutter stiehlt und sich als Catwoman entpuppt, ist dies für Wayne eine Art Weckruf aus dem Dornröschenschlaf. Wayne und Kyle sind zwei analog konstruierte Figuren: Nicht nur in ihrer Doppelrolle als Mensch und maskierte Kunstfigur ähneln sich die beiden, sondern auch in ihrer moralischen Ambivalenz. Batmans Attraktivität liegt in seiner Tiefgründigkeit, die Christian Bale in jedem der drei Filme überzeugend darstellt. Batman ist kein glatter, kein eindeutig guter Charakter, der sich in ein klassisches Gut-Böse-Schema pressen lässt – und genau das macht ihn interessant.

Christopher Nolan malt seine Leinwandbilder nicht nur in schwarz-weiß, sondern in zahlreichen Grautönen. Wer das Abgründige liebt, muss diesen cineastischen Schattenbildern verfallen. Und so ist Catwoman keine wirklich böse Diebin; und dennoch ist die Katzenfrau weit davon entfernt, als moralisch integer zu gelten. Catwomans Auftritt erinnert Bruce Wayne daran, dass es ein Leben jenseits seiner Privatgemächer gibt, dass diese Stadt ihn braucht und der Lockruf, dem er folgt, ist der Singsang einer betörenden Sirene. Catwomans Maske, gestaltet in der Form von Katzenaugen, ist eine Maske des Erotischen, sie thematisiert den Sexappeal des Verhüllens, der mit dem Maskenmotiv unweigerlich verbunden ist. Catwoman entzieht sich durch ihre Verschleierung – zumindest teilweise – dem männlichen Blick, der immer noch kulturelle Norm und Standard medialer Inszenierung ist. Wer ist diese Frau? Gerade weil Catwoman unnahbar, ihre Identität hinter der Maske verborgen und zwiespältig bleibt, umweht sie der reizvolle Hauch des Sexuellen. Bevor Batman und Catwoman jedoch ein Team werden können, muss Wayne einen Heldensturz par excellence durchleben. Aus Angst vor Bane – Batmans Widersacher und der Dritte im Bunde der Maskenträger – verrät sie Wayne, der daraufhin in Gefangenschaft gerät, noch einmal körperlich gebrochen wird und noch einmal auferstehen muss, um das Böse zu besiegen.

Dass Bane, optisch mehr Monster als Mensch, das Böse verkörpert, scheint zunächst für den Zuschauer klar zu sein. Der Söldner verfrachtet eine scharfe Atombombe nach Gotham City und gibt den Bürgern, so seine Worte, die Macht und damit die Freiheit zurück. Mehr laut als leise schwingt hier die Kritik an den Occupy-Bewegungen mit und wer die fatalen Folgen der Bürgerherrschaft in „The Dark Knight Rises“ beobachtet, wird dem westlichen Kapitalismus wieder gnädiger gesonnen sein. Von Krankheit entstellt ist Bane gezwungen, vor Mund und Nase eine Maske zu tragen, um mit Sauerstoff und Schmerzmittel versorgt zu werden. Banes Maske wirkt hochgradig zitathaft. Die Atemgeräusche erinnern an Darth Vader, die Optik an eine große Spinne, oder, und hier kann man sich als deutscher Zuschauer der unfreiwilligen Komik kaum erwehren, an den Rapper Sido, der sich die Aufmerksamkeit zu Beginn seiner Karriere durch das Tragen einer silberfarbenen Totenkopfmaske sicherte. Banes Maske soll nicht verschleiern, sondern kommunizieren: Hier ist das Böse. Das Böse bin ich. Und der Zuschauer glaubt ihm.

Von zentraler Bedeutung ist selbstverständlich Batmans Fledermausmaske. Wenn Bruce Wayne diese aufsetzt, verschwindet zum einen der Mensch hinter dem Symbol. Die Rolle des schwarzen Rächers könne, so Batman, jeder füllen. Das Tragen der Maske bringt Verantwortung, ja Pflicht mit sich. Doch der Held offenbart in „The Dark Knight Rises“ noch einen weiteren, den eigentlichen Grund für das Tragen der Maske: Er wolle damit die Menschen, die er liebt, schützen. Die Maske ist damit nicht nur Mittel zum Selbstschutz, sondern vor allem Symbol für Batmans Altruismus. Dass dieser nicht nur retten, kämpfen und leiden, sondern auch lieben kann, beweist zudem sein Verhältnis zu der von Marion Cotillard gespielten Geschäftsfrau Miranda Tate.

Tate trägt keine künstliche Maske und erscheint insbesondere im Vergleich mit den anderen Hauptfiguren wie das personifizierte Gute. Cotillard, die mit Christopher Nolan bereits in „Inception“ zusammenarbeitete, interpretiert die Rolle stark im mutterarchetypischen Sinn und dies wirkt umso glaubwürdiger, als dass die Oscarpreisträgerin nach der Geburt ihres ersten Kindes auch optisch weicher und weiblicher wirkt. Tate sucht die Zusammenarbeit mit Wayne, um die Welt mit einem Fusionsreaktor energetisch zu versorgen. Nolan lässt hier eine nach Fukushima hochgradig brisant gewordene Ökoproblematik einfließen. Tate gibt sich als Umweltschützerin aus und rückt somit in die Nähe des Ökofeminismus, der Weiblichkeit und Natur untrennbar voneinander denkt. Wenn Wayne sich der schönen Miranda auch noch sexuell hingibt und für einen Moment Wärme und Geborgenheit empfindet, so will man dem geschundenen Helden dieses Glück gönnen.

Die Geschichte jedoch will es nicht. Am Ende des Films entpuppt sich Tate als Verbündete Banes, als eigentliche Bösewichtin (und dass dieses Nomen im Femininum recht holprig klingt, spricht für sich). Tate alias Talia ist die Tochter von Batmans Gegenspieler R’as al Ghul und ist gekommen, um mit der Vernichtung von Gotham City das Werk ihres Vaters zu vollenden. Nach all den Kämpfen und teils langatmigen Verfolgungsjagden ist Tates Dolchstoß eine Überraschung im Plot. Christopher Nolan macht sich hier lang etablierte Sehgewohnheiten zunutze: Zwar ist das antike Ideal der Kalokagathia, das den Zusammenhang von optischer Schönheit und innerer Güte propagiert, längst nicht mehr aktuell. Dennoch wirkt es nach. Der Zuschauer lässt sich immer noch täuschen, auch wenn Filme das Spiel mit den physiognomischen Erwartungen schon seit geraumer Zeit für sich entdeckt haben.

Der schöne Bösewicht ist innerhalb der Kulturgeschichte ein noch relativ neuer, aber spannender cineastischer Figurentypus. Doch auch das Böse hat sich emanzipiert. Im Märchen noch waren die Hexen einst hässlich. Heute dürfen auch die schönen Frauen Schurkinnen sein. Dass dies trotzdem noch überrascht, zeugt von der rezeptionsästhetischen Erwartungshaltung, das schöne Mütterlich-Weibliche mit dem Guten zu assoziieren. In „The Dark Knight Rises“ braucht Miranda Tate keine Maske. Ihre Weiblichkeit ist die eigentliche, ja effektivste Maskerade des ganzen Films. Christopher Nolan hält dem postmodernen Zuschauer damit effektiv den Spiegel vor, entlarvt die stereotypischen Rezeptionserwartungen und die hochgradig bedenkliche (wenngleich auch unbewusste) Beurteilung der Helden nach physiognomischen Prinzipien, nach oberflächlichen Äußerlichkeiten.

Am Ende des Films betrachtet man auch die zahlreichen Rückblenden mit neuen Augen, in denen einem Kind die Flucht aus dem Gefängnis, dem auch Wayne entkommen muss, gelingt. Kahlgeschoren und asexuell wirkt das kindliche Gesicht, doch es ist kein Junge, sondern Talia, die alle an Tapferkeit übertrifft. Bane im Gegenzug wird als liebender Mann gezeigt, der das kleine Mädchen beschützt und zur Flucht verhilft. Spätestens hier wird deutlich, wie leicht man sich von geschlechtsspezifischen Vorurteilen täuschen lässt. Auf jeden Fall sollte der Zuschauer aufmerken. Ein Gesicht, und sei es auch noch so hübsch, ist trügerisch. Es könnte mehr Miranda Tates in dieser Welt geben.

„The Dark Knight Rises“. R: Christopher Nolan. USA/Vereinigtes Königreich 2012. 165 Minuten.

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