Trilogie des Bösen

Zum ersten Teil „Auftakt“ einer Trilogie von Robin Jarvis

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch als allgemein wertvolles Kulturgut ist in westlichen Demokratien ein kaum hinterfragtes, positiv belegtes Gut. Diesen vor allem auch ideellen Wert stellt Robert Jarvis in seinem Horrorroman „Dancing Jax“ grundlegend in Frage. Im Zentrum seines Romans steht ein Buch, das von einem Okkultisten in den 1930er-Jahren geschrieben wurde und seit dieser Zeit auf seine Verbreitung wartet. Dabei gehen seltsame, bösartige Wirkungen von dem Inhalt des Buches aus. Eigentlich beschreibt es nur eine fantastische Welt, geprägt von mittelalterlichen Vorstellungen, in denen Ritter und Knappen, Könige und Vasallen den abenteuerlichen Alltag bestimmen. Um einen Eindruck von diesem Buch zu vermitteln, stellt Jarvis Ausschnitte aus dem Buch als Motto vor die Kapitel und begleitet an einigen Stellen die Lektüre einzelner Protagonisten, die in dem Buch lesen: „Magie und Zauberei sind im Königreich des Prinzen der Dämmerung so natürlich wie duftende Sommerwinde oder die Musik der Flüsse. Dennoch weilen inmitten der umliegenden Berge manche, über welche die Alten Bräuche keine Macht haben. Diese Missgeburten müssen ausgemerzt werden. Sie sind eine Bedrohung für dieses herrliche Land. Findet sie, meldet sie – sie sind eine Krankheit, die wir ausrotten müssen. Ihr, mögen sie auch euer Busenfreund oder sogar euer Bruder sein, Ihr müsst sie anzeigen! So lautet der Erlass des Ismus.“

Allerdings sind die Leser des Buches nach der Lektüre seltsam abwesend und stieren apathisch vor sich hin. Man wird an Computerrollenspieler erinnert, die gerade mehrstündige Spielsitzungen am PC hinter sich gebracht haben. Die Leser sind einerseits nicht ansprechbar und reagieren andererseits befremdlich aggressiv. Das Buch, das Ausgangspunkt für die Lektüre ist, wird von einer kleinen Gruppe ehemals Obdachloser, die eine große Anzahl des Buches in einem einsamen Haus aufgefunden hat, auf dem wöchentlichen Flohmarkt einer englischen Kleinstadt verkauft. Die Auswirkungen der Lektüre auf die Stadtbewohner zeigen sich in den darauffolgenden Tagen. Erste Konfrontationen treten in der Schule auf. Die Aggressionen der Schulkinder nehmen „Nichtlesern“ gegenüber sukzessiv zu. Das etablierte Autoritätssystem bröckelt: „Miss Smyth blieb der Mund offen stehen. Noch nie hatte jemand so mit ihr gesprochen, vor allem kein Siebtklässler. Anthony wandte den Blick nicht ab. Das hier war mehr als nur fehlender Respekt. Es war verstörend. Erschrocken stellte sie fest, dass seine Augen glasig waren, beinahe leblos – wie die Augen einer Puppe.“

Die Reaktionen der noch nicht von der „Epidemie“ Betroffenen sind zunächst verstörend und treffen nicht das eigentliche Problem: „‚Ein weiterer Tag im Land der kaputten‘, murmelte Paul. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis seine Freunde auftauchten, nahm er das Handy aus der Tasche und schickte seiner Mutter eine SMS, einfach nur um Hallo zu sagen und zu fragen, ob sie seinen Sportanzug für morgen mitwaschen könnte.“ Sein „Stiefvater“ Martin Baxter, Mathematiklehrer an der örtlichen Schule, ist der eigentliche Protagonist des Romans. Die Veränderungen werden vor allem aus der Perspektive von Baxter geschildert, der aber mit seinem rationalen Verständnis von Wirklichkeit die mysteriösen und unheimlichen Aspekte der Veränderungen ignoriert beziehungsweise nicht bemerkt oder falsch interpretiert. Auch als Paul versucht, seine Eltern vor dem Buch zu warnen, ignorieren Martin und Carol die Hinweise. Doch die Lebenssituation in dem kleinen Ort wird zunehmend bedrohlicher. Robin Jarvis hält sich in seiner Geschichte zunächst mit dem Horror etwas zurück. Dieser zieht erst langsam und schleichend in die Personen und in den Ort ein.

Dabei sind die Veränderungen eigentlich offensichtlich – aus der Sicht des Lesers. Jarvis erzeugt eine Spannung, die sich aus den verschiedenen Perspektiven auf die Ereignisse ergibt. Man wird an das B-Movie „Die Körperfresser kommen“ von 1978 und einige andere SF-Filme erinnert, in denen sogenannte „Aliens“ die Kontrolle über ,normale‘ Menschen übernehmen. Besonders auffällig ist die Verwandlung der Kinder. Nicht ohne Grund wird im Buch der Klassiker des Horrorgenres zitiert, die „Kinder des Zorns“: „‚Sie standen vor mir wie… wie die Teufelsbrut aus Kinder des Zorns‘, berichtete sie. ‚Es war nicht nur völlig respektlos – sie waren irgendwie nicht normal. Und so gemein. ich konnte es nicht ertragen, sie anzuschauen. Eigentlich – nein, ich konnte es nicht ertragen, wie sie mich angeschaut haben.‘“ Martin Baxters Vorliebe für das SF-Genre wird charmant in das Buch integriert, etwa wenn Paul, eines der Kinder, die die Gefahr erkannt haben, sagt: „‚Es ist die einzige Lösung, die auch wirklich sicher ist.‘, zitierte er Sigourney Weaver aus Aliens – die Rückkehr.“ Allerdings ändern sich diese Reaktionen, nachdem er zwangsweise dem Inhalt des Buches ausgesetzt wird. Er verschwindet und seine Eltern versuchen, ihn zu finden. Kurzfristig gelingt ihnen dies, die Auswirkungen sind aber erschreckend: „Als sie [Paul und seine Mutter, A. d. V.] schließlich in ihre Einfahrt rollten und sich die Türen entriegelten, wollte Paul sofort das Weite suchen, doch Carol erwischte ihn und schubste ihn ins Haus. ‚Schurke!‘, plärrte er los, während er an ihr zerrte und sie immer wieder boxte. ‚Du stehst im Dienste von Haxxentrot, der Hexe. ich hasse dich! Ich hasse dich und deine ärmlich miefende Kloake!‘ Er spuckte sie an.“

Die absurden Reaktionen auf die Veränderungen haben konkrete Auswirkungen. Über vierzig Menschen sterben, eine Frau wird mit Benzin überschüttet und in Brand gesteckt. Und dann tritt die Geschichte auch noch aus dem Buch hinaus in die Wirklichkeit des Lesers. Wie Jarvis dies erreicht, das kann man in diesem Pageturner nachlesen. Und wenn es einem gefallen hat, dann darf man sich auf die Fortsetzung der Trilogie freuen. Denn die Protagonisten haben am Ende des ersten Teils eine klare Mission: Die Welt zu retten!

Titelbild

Robin Jarvis: Dancing Jax. Auftakt.
Übersetzt aus dem Englischen von Nadine Mannchen.
script5, Bindlach 2012.
542 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783839001349

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