Ein exemplarischer Lebenslauf

Heinz Erhardts Töchter haben ihrem Vater eine schmale, aber beeindruckende Biographie gewidmet

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was soll das, eine Rezension über ein Buch mit diesem Titel? Da könnte man ja gleich über Heintje schreiben, aber dann nur für Massenblätter. Wer diesen älteren Herrn gern in einer seiner unsäglichen Rollen in einem dieser furchtbar lächerlichen Filme auf dem Bildschirm sieht, bitteschön." So stelle ich mir eine exemplarische Reaktion unter literarisch Gebildeten auf diesen Buchtitel vor - sollte ich damit jemandem Unrecht tun, bitte ich um Verzeihung! Eigentlich sollte nur ein Einstieg gefunden werden, der trotz des volkstümlichen Bildes von Heinz Erhardt dazu anregt, zunächst die Rezension und dann das Buch zu lesen, das Buch jedenfalls ist es wert. Aus verschiedenen Gründen:

(1) Heinz Erhardt hat nicht nur in vielen schlechten Filmen mitgespielt, die er zum größten Teil übrigens selber schlecht fand, sondern auch Bleibendes hinterlassen. Damit sind ein paar Filme, vielleicht auch einige Kompositionen (er wollte eigentlich Musiker werden und hätte auch das Zeug dazu gehabt), vor allem aber seine Gedichte gemeint. Sie sind bei aller Komik auch ein bisschen tragisch oder melancholisch, und sie zeugen stets von der stilistischen Virtuosität ihres Schöpfers. Es kann sein, dass es gerade der Hang zum Spielerischen und zur Selbstironie ist, der dafür sorgt, dass Erhardt zeitlos ist und bleibt. Wer könnte an der Wahrheit der folgenden lyrischen Miniatur zweifeln: "In nur vier Zeilen was zu sagen / erscheint zwar leicht, doch ist es schwer! / Man braucht ja nur mal nachzuschlagen: / die meisten Dichter brauchen mehr..."

Erhardts Gedichte sind, wie die jedes Autors, von unterschiedlicher Qualität. Dennoch haben wir hier einen der seltenen Fälle vor uns, in denen Autoren hohe Auflagen verzeichnen (das "Große Heinz Erhardt Buch" brachte es auf über 2,5 Millionen Exemplare!) und gleichzeitig als Dichter ernstzunehmen sind. Doch wie schon bei Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Mascha Kaléko und anderen - erstaunlicherweise nicht bei Robert Gernhardt - zeigt sich die Literaturwissenschaft, um einen Spruch von Kästner zu adaptieren, auf diesem Auge blind. Der scheinbar so biedere Heinz hat Gedichte auf Lager, die sich durchaus mit dem Spott und der Drastik Gernhardts messen können. Ein Beispiel mit dem anspielungsreichen Titel "Sehnsucht": "Ich sehne mich nach / einem Häuschen / in Bayern oder an der Spree. / Ein Zimmer braucht es nur / zu haben, / dazu ein Bad und ein WC. // Im Zimmer würde ich / notieren, / was ich beim Baden grad / gedichtet, / und im WC würd dann / das Machwerk / von mir gleich hinterrücks / vernichtet."

(2) Die Familiengeschichte der Familie Erhardt (um eine solche handelt es sich eigentlich) ist alles andere als bieder, oberflächlich oder kitschig, sondern genau das Gegenteil. Drei der Autorinnen sind die Töchter des Komikers. Ihr Stil ist nüchtern, sie beschönigen nichts, und es gibt viele Stellen, an denen man ergriffen ist. Heinz Erhardt entpuppt sich als jemand, der es im Leben nie einfach hatte. Seinen Geburtsort Riga musste er verlassen, um Geld für seine junge Familie zu verdienen, die jahrelang nicht wusste, wie sie überhaupt das tägliche Essen finanzieren sollte. Hier dürften die Wurzeln für die Arbeitswut Erhardts gelegt worden sein - heute würde man von einem 'Workaholic' sprechen. Ein weiterer psychischer Grund schimmert deutlich zwischen den Zeilen hervor. Erhardts Eltern trennten sich früh, er wurde von einem zum anderen geschoben, wuchs bei Großeltern auf. Weil er im Kindesalter nicht erfüllbar war, dürfte der Wunsch, geliebt zu werden, später übergroß geworden sein. So groß, dass Erhardt seine eigene Familie, die bedingungslose Liebe seiner Frau und Kinder nicht ausreichte und er ohne den täglichen Beifall seines Publikums nicht leben konnte. Das dokumentieren eindrucksvoll die zahlreichen Alben, die er im Laufe seiner Laufbahn anlegte und in denen er jeden noch so kleinen Zeitungsartikel, einfach alles sammelte, in dem sein Name erschien - den er dann unterstrich.

Seine geliebte Frau Gilda nahm er auf seine Tourneereisen mit, wenn er konnte. Die vier Kinder aber blieben zuhause, bei der Großmutter. Wenn eines der mittlerweile selbst ins 'reife' Alter gekommene 'Kinder' mit Zurückhaltung davon erzählt, wie der einzige Urlaub, den die Familie je plante, buchstäblich ins Wasser fiel (es regnete), dann erscheint Erhardt plötzlich in einem ganz anderen Licht - und in keinem angenehmen. Erhardt war allerdings viel zu intelligent, um das nicht selber einzusehen, seine Aufzeichungen geben darüber Aufschluss. Er muss sehr unter seiner psychischen Situation gelitten haben, schaffte es aber wohl aus den genannten Gründen nicht, sich und seiner Familie eine Pause zu gönnen. Das Ende ist tragisch. Ende 1971 hat der 62jährige einen Schlaganfall, er ist halbseitig gelähmt, lernt mit Mühe die elementarsten Bewegungen wieder. "Vor allem aber war das Schlimmste passiert, was er sich je vorstellen konnte: Das Sprachzentrum in seinem Gehirn war unwiederbringlich geschädigt." Nun konnte der Komiker nicht mehr komisch sein und war ans Haus gefesselt. Seine Familie aber hatte nichts mehr davon, dass "Papi" nun zuhause war.

(3) Nicht zuletzt ist die Biographie Heinz Erhardts ein Zeugnis von den mentalen Folgen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Hier liegt uns ein exemplarischer Lebenslauf vor, nicht der eines Politikers oder einer sonstigen Identifikationsfigur, sondern der eines "privaten" Menschen; eine Biographie mit allen Brüchen und Unstimmigkeiten, die gleichzeitig Zeugnis von dem Lebenswillen und der großen menschlichen Güte ablegt, die jemand, der hart für seine Existenz kämpfen musste, jederzeit gegenüber seinen Mitmenschen bewies (oder zumindest beweisen wollte).

Der Band wirkt nicht nur durch den Text, sondern auch durch seine bibliophile, gleichzeitig den neuesten Stand der Technik eindrucksvoll demonstrierende Gestaltung. Das sollte aber nicht das Schlusswort sein, ein solches gebührt selbstverständlich nur dem - in seiner echten und unverfälschten Komik weit unter Wert gehandelten - Dichter Erhardt. Das folgende Gedicht trägt den Titel "Kinder":

"Kinder haben / es so leicht, / haben keine Sorgen, / denken nur, / was mach ich jetzt, / nicht, / was mach ich morgen. // Kinder haben / es so leicht, / naschen aus der Tüte, / glauben an / den lieben Gott / und an dessen Güte. // Kinder haben / es so schwer, / müssen / Händchen geben / und auf dieser / blöden Welt / noch so lange leben."

Titelbild

Grit Bertholt / Verena Haader / Marita Malidee: Heinz Erhardt Privat.
Lappan- und Fackelträger - Verlag, Oldenburg 2000.
160 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 377162164X

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