Gute Verstecke, für Chamäleon, Maus, Fuchs und Huhn

Zwei neue Bilderbücher von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Na warte, du wirst mir nichts beibringen!“, schreit Bart in einer „Simpsons“-Folge erbost ein Videospiel in einem Geschäft an und schmeißt den Controller hin. Er fühlt sich hintergangen und ertappt, denn durch das virtuelle nukleare Zerstören der Hauptstädte der US-Bundesstaaten schlich sich Allgemeinwissen in sein Hirn ein. Die Aversion gegen diese didaktische Infiltration kann auch der jenige verstehen, der selbst nichts gegen Intellekt hat, aber sehr wohl etwas gegen Bildungsbeauftragte, die das Kind zum Lernen bringen wollen, wie der Dealer den Noch-Nicht-User zum Konsumieren, indem er ihm in der Disco unbemerkt Pillen in den Drink wirft.

Aber: Kann das überhaupt funktionieren? Oder direkter: Werden Kinder anfangen, sich für Bücher zu interessieren, weil und nachdem sie „Pippilothek???“ gelesen haben? „Eine Bibliothek wirkt Wunder“, verspricht ja der Untertitel. Aber was für Wunder?

Ein Fuchs jagt nachts eine Maus. Letztere flüchtet in ein Haus. Ihr Verfolger bleibt dran, und dann befinden sich beide in einer Leihbücherei. Mit den Inhalten der Bücher lenkt die Maus den Fuchs von seinem Fressvorhaben ab, denn der Fuchs beginnt sich für Bücher zu interessieren. Weil er aber nicht lesen kann und die Maus zu sehr damit beschäftigt ist, Zaubertricks zu lernen, kommt er mit einem seiner typischen Beutetiere wieder, einem Huhn. Weil das Huhn seinen Job gut erledigt, kann auch dieses Tier dem Gefressenwerden entkommen. Am Tage sind die drei Tiere nicht mehr unter sich, denn die menschlichen Besucher strömen in die Bücherei. Die Tiere werden an den Rand gedrängt, verstecken sich und beobachten die Entleiher. Einer von ihnen ist der Bauer, dem das Huhn gehört. Was trägt er da unter dem Arm? Ein Kochbuch speziell mit Rezepten für die Zubereitung von Hühnern! Beim Bauer droht dem Huhn der sichere Tod – beim Fuchs nur der potenzielle.

Das Schema ist klar: Bücherlesen könne Leben retten. Nicht nur über Hokuspokus, der die Fressfeinde ablenkt – sondern wer lesen kann, der könne Gefahren frühzeitig erkennen und sich vor ihnen in Sicherheit bringen. So die Moral von der Geschicht. Wird das auch nur ein Kind ans Lesen bringen? Es bleibt zu bezweifeln. Es ist schade, dass Paul & Schärer diesen Weg eingeschlagen haben, denn sowohl ihre bildlichen als auch ihre erzählerischen gestalterischen Stärken haben sie bereits mehrmals bewiesen (vgl. literaturkritik.de 12/2008).

Maus, Fuchs und Huhn sind eine sichere Nummer bei Kinderbüchern, zumal wenn sie von Schärer gemalt werden. Aber wie attraktiv sind Chamäleons? Schrumplig, komische große, asymmetrisch bewegliche Augen, eine roboterhafte Fortbewegung und nicht zuletzt kein Fell sind nicht gerade Charakteristika, die Kuschelreflexe auslösen. Aber sie eignen sich zumindest für ausdrucksstarke Gesichter. Oder ist dies Schärers Genie zu verdanken? Sie glättet die Kuriosität der Tiere nicht, die grotesken Gesichter bleiben. Die Möglichkeit zur asymmetrischen Stellung der Augen zieht sich sogar als nettes Detail durch alle Bilder: Wo schaut das eine Auge der Großmutter hin? So lädt das Buch zum genauen Betrachten ein. Und das lohnt sich.

Wie bereits der Titel „Oma – Emma – Mama“ zeigt, sind in diesem Buch drei Generationen versammelt. Auf der ersten Eben will Tochter und Enkelin Emma Verstecken spielen. Ihre Mutter will nicht, ihre Oma aber doch. Indem Emma ein gutes Versteck sucht, hastet sie von einer Möglichkeit zur nächsten, und wir lernen dabei ihre Umgebung sowie deren Bewohner kennen. Ihre Oma findet Emma, und gemeinsam warten die beiden darauf, dass Emmas Mutter sie beide findet. Spätestens hier wird die zweite Ebene erkennbar: Während sie im Versteck Zeit zum Reden haben, stellen Tochter und Oma einige Gemeinsamkeiten ihrer Lebenssituation sowie bei ihrem Verhältnis zur Mutter fest: Beide werden von dieser nicht ernstgenommen.

Das Buch fällt bei einigen Details auf: Das Format ist annähernd quadratisch, es wechselt zwischendurch die Betrachter-Achse und hat auch ein Suchbild integriert. Letzteres liegt nahe, wenn man sich Chamäleons als Protagonisten ausgesucht hat, doch Pauli & Schärer machen es sich nicht so leicht, den Leser einfach ein Chamäleon suchen zu lassen, das vor seinem Hintergrund verschwindet. Statt dessen ist ihnen ein äußerst ansprechendes Kinderbuch gelungen, bei dem man durch die für die Autoren charakteristischen Naheinstellungen (eine wie immer vor rotem Hintergrund) mitten im Geschehen ist.

Titelbild

Lorenz Pauli / Kathrin Schärer: Pippilothek??? Eine Bibliothek wirkt Wunder.
atlantis - orrell füssli verlag, Zürich 2011.
32 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783715206202

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