Geschichte ist eine Wunschmaschine

Zu zwei Poetikvorlesungen von Felicitas Hoppe

Von Kristin SteenbockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristin Steenbock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Protagonisten des Mittelalters verhandelt Felicitas Hoppe in ihren beiden 2010 in Göttingen gehaltenen Poetikvorlesungen, die im Wallstein-Verlag unter dem Titel „Abenteuer – was ist das?“ erschienen sind. Die beiden Figuren sind nicht willkürlich ausgewählt, sondern spielen im jungen Werk Hoppes eine gesonderte Rolle. Es handelt sich zum einen um Johanna von Orleans, die Hoppe in ihrem Roman „Johanna“ literarisiert hat, und zum anderen um die Figur Iwein, die sie von Hartmann von Aue in ein Kinderbuch mit dem Titel „Iwein Löwenritter“ übertragen hat.

Hoppe stellt zunächst die Frage nach dem literarischen Umgang mit diesen beiden Figuren. Wie wurden sie in der (Literatur-)Geschichte behandelt und was zeichnet sie als mittelalterliche Figuren aus? Johanna von Orleans, so stellt sich heraus, macht durch ihre eigentümlich starke Persönlichkeit nicht nur den Dichtern, sondern ebenfalls den Historikern in der Geschichtsschreibung einige Probleme. Schiller versuchte ihr durch die romantische Tragödie beizukommen, George Bernard Shaw über eine dramatische Chronik und Bertolt Brecht mithilfe eines Lehrstücks, das zu einem marxistischen Erbauungsstück wurde.

Beinahe zweifelhaft erscheit Hoppe das Unterfangen, sich in unserem Jahrhundert erneut Johanna anzunehmen und sie zu verdichten. Allzu leicht verkommt sie zu einer Projektionsfigur, die ob ihrer Mittelalterlichkeit zudem vollkommen falsche Vorstellungen hervorruft. Das Mittelalter jedoch war „weder wagnerianisch, noch war Johanna Isolde oder Walküre. Es sind wir selbst, die sich so sentimental wie selbstmitleidig in diesen Bildern vermeintlich großer und echter Gefühle spiegeln, die es niemals gegeben hat.“ Wie aber, so fragt Hoppe, lässt sich jenseits der geschichtlichen Wunschmaschine, jenseits retrospektiver Sehnsüchte, jenseits der florierenden Mittelaltermärkten des einundzwanzigsten Jahrhunderts und medialer Vermarktung von Minne und Turnier eine Zeit verstehen, deren Kategorien uns ansonsten vollkommen abgehen?

Hätte ich mir Johanna erfunden, so Hoppe, hätte mein Lektor sie mir um die Ohren gehauen: Liebe Frau Hoppe, entscheiden Sie sich, wen wollen Sie zeigen? Amazone oder Nonne? – So kommt es, dass Felicitas Hoppe ihre ganz eigene Weise präsentiert, mit diesem Stoff umzugehen. Ihre Lösung ist der Roman als Gespräch. Als Dialog. Das klingt nach Michail Bachtin, ist aber sehr viel pragmatischer gemeint. Hoppe will sich damit einfach fernhalten von jeglichen Interpretationsversuchen und sucht ihre Gesprächspartnerin weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern hier und jetzt in der Gegenwart.

Als Gegenwartsliteratur nimmt sie auch Hartmanns Iwein wahr. Schließlich ist der nicht retrospektiv, sondern geradezu deskriptiv, die reinste Gegenwart beschreibend, angelegt. Hartmann erzählt kein Märchen, sondern geht der einfachen Frage nach, wie sich ein Ritter in seiner Zeit zu verhalten hat. Und dies ist wohl auch die Kernthese der beiden Poetikvorlesungen: Geschichte ist eine Wunschmaschine und insbesondere das Mittelalter nur in Form von Gegenwart zuhaben, weshalb wir es nur im Gespräch erfahren, im Gegenüber behaupteter Gleichzeitigkeit.

Wer die beiden Romane „Johanna“ und „Iwein Löwenritter“ kennt, wird seinen Gefallen an dem schmalen Bändchen haben. Er begründet einige Entscheidungen, die Hoppe angesichts der Problematik von Übertragung und Adaption getroffen hat und gewährt einen Einblick in ihr eigenes Schreiben. Wer den titelgebenden Ausspruch „Abenteuer – was ist das?“ jedoch nicht dem wilden Mann in der Iweingeschichte zuordnen kann, wäre besser beraten, sich zunächst, wenn auch nicht mit dem mittelhochdeutschen Original, so doch wenigstens mit „Iwein Löwenritter“ von Felicitas Hoppe zu vergnügen.

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Felicitas Hoppe: Abenteuer - was ist das?
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
56 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783835307391

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