Endzeiten

Dominique Manottis kleine Roman-Studie zum Untergang des Deutschen Reiches in Paris: „Das schwarze Korps“ besticht durch erzählerische Präzision und Gnadenlosigkeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die menschliche Genusssucht ist womöglich ebenso wenig zufrieden zu stellen wie der Geltungsdrang und die Gewissenlosigkeit, mit der das eigene Interesse bei Bedarf durchgesetzt werden kann. Dominique Manotti hat dazu eine kleine erzählerische Studie geschrieben, die auf der Folie der Endzeit der deutschen Besatzung Frankreichs die Unmöglichkeit vorstellt, moralisch richtig und klar zu handeln, wenn es die Situation nicht erlaubt, auch wenn das moralisch und politisch indiskutable Verhalten einer Vielzahl ihrer Figuren damit nicht suspendiert wird. Was daraus zu lernen ist? Eine alte Lehre (absolutes Urteilen ist Kennzeichen der Sith?, so in der Art), und eine neuere: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.

Dabei ist ihr Ansatz politisch brisant – vielleicht heute nicht mehr so brisant wie noch vor 20 Jahren, aber immerhin: Basis des Entwurfs ist die Schlussphase der deutschen Besatzung in Frankreich. Die Alliierten landen im Juli 1944 an der Atlantikküste. Binnen weniger Wochen rücken sie gegen Paris vor, während die Sowjets an der Ostfront ihre Angriffe verstärken und die deutsche Front aufrollen.

In Paris sitzt die deutsche Besatzung Mitte 1944 noch fest im Sattel. Allerdings hat nicht die Wehrmacht das Sagen, deren Putsch Ende Juli 1944 kläglich scheitert, sondern die SS. Sie bedient sich in ihrem Regime der Kollaboration nicht nur der Regierungsbehörden, darunter naheliegende der Polizei, sondern auch Vertretern von Politik, Wirtschaft und Industrie. Und sie hat eine Reihe von französischen Helfern rekrutiert, die sich im Namen der deutschen Besatzer durch das Paris dieser Monate mordet.

Es ist die von ihnen praktizierte Brutalität und Gewissenlosigkeit, die besonders ins Auge fällt und die die Eindringlichkeit dieses Romans verstärkt. Die Kollaborationsthematik ist abstrakt gesehen schon schwierig genug, in der konkreten Anschauung entfaltet sie erst ihre wahre Nachdrücklichkeit, um nicht zu sagen Fassungslosigkeit angesichts des Verfalls ziviler Standards und der Beiläufigkeit, mit der die Hilfstruppen Morde an x-beliebigen Opfern verüben. Fassungslosigkeit auch angesichts der Bedingungslosigkeit, mit der die Gangster – die Deutschen und diejenigen Franzosen, die im Namen der Deutschen agieren – ihre eigene Bereicherung betreiben, auch und gerade dann, als klar wird, dass sich die ehemals so stolzen und arroganten Besatzer nicht mehr halten werden.

Zugleich werden allerdings auch die ersten Absetzbewegungen und Versuche erkennbar, sich auf die Zeit nach der Verjagung der Deutschen einzustellen. Die Resistance bekommt Zulauf, manchmal ungeliebten, der mit bösen Überraschungen verbunden ist. Aber auch die Politiker, Unternehmer, sogar die Polizei, die ansonsten nur durch ihre bedingungslose Kollaboration auffällt, versuchten sich auf den Tag danach einzustellen. Es wird auch danach noch Reiche geben, es wird auch danach noch Unternehmer und Verwaltungsleute geben müssen, und es werden auch danach noch Geschäfte gemacht werden müssen. Es kommt nur darauf an, sich zum richtigen Zeitpunkt richtig zu positionieren.

Das ist insgesamt eine wenig erquickliche Szenerie, die nicht einmal durch Überziehungen ironisch gemildert werden kann. Was bei „Inglourious Basterds“ noch als Pulp durchging, ist hier politische Realität mit den bekannten Problematiken der postfaschistischen Gesellschaften, auch wenn sie Opferstatus beanspruchen konnten. Frankreich, die Niederlande, Österreich – alles Länder, die ohne die Kollaboration nicht mehr hätten funktionieren können unter der deutschen Besatzung und die sich anschließend über Jahrzehnte an diesem Trauma abarbeiteten, in das sie sich nicht selbst gebracht hatten.

In dieser Gemengelage agieren zwei Spieler, die auf entgegengesetzten Seiten anzusiedeln sind: Da ist der deutsche SS-Mann Bauer, der sich im Kriegsparis fett eingenistet hat, für den aber die deutsche Oberherrschaft nicht (nur) Gelegenheit ist sich zu bereichern, sondern der darüber hinaus von der Suprematie der Deutschen überzeugt ist. Seine Schreckensherrschaft, von der allerdings auch seine französischen Handlanger profitieren, nimmt erst mit der Flucht aus Paris ein Ende.

Ihm gegenüber Domecq, angeblich ein Polizist im Sittendezernat, tatsächlich aber ein britischer Agent, der für die Alliierten die Pariser Verhältnisse ausspäht. Beide lieben dieselbe Frau, die Geliebte mithin ein SS-Mannes und die Freundin und Informantin eines britischen Spions. Sie verlieren die Frau schließlich beide – Kollateralverluste gibt es gerade in solchen Zeiten ohne Zahl. Und Domecq kann froh sein, dass er nicht einer von ihnen ist.

Manotti erzählt die Geschichte dieses Dreiecks und der sie umgebenden Figuren mit großer Prägnanz und mit gebotener Zurückhaltung. Die Empörung ist nicht das Ihre, sondern die Erzählung. Und zu einer erzählenden Studie gehört eben auch, dass man die Sache selbst sprechen lässt und die ist sprechend genug. Und genau das macht die Größe Manottis aus.

Titelbild

Dominique Manotti: Das schwarze Korps.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2012.
280 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783867542067

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