Ab ins Krimi-Fegefeuer

Zoë Beck will in „Das zerbrochene Fenster“ in die Abgründe der Verlustangst eintauchen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Büchern, die mit zweierlei Schrifttypen aufwarten, soll man immer mit Misstrauen begegnen. Zum ersten weil das Ganze ungemein anstrengend ist. Zum zweiten weil man seine Leser nicht für dümmer verkaufen soll als sie sind. Als ob sie einen Medien-, Szenen- und Zeitwechsel nicht mitbekämen, wenn nicht noch eine neue Schrifttype verwendet würde. Und schließlich weil das Ganze allein schon vom Schriftbild ungemein bedeutungsschwanger daherkommt.

Ganz schlimm sind Serienkillerromane, in denen die Binnensicht auf den bösen Kerl und seine abgrundtiefes Gedankengut immer wieder in die Erzählung eingestreut werden. Da sucht der Kommissar dann fleißig und lange vergeblich nach dem Bösen an sich, während man sich zwischenzeitlich mit den hinreichend schlimmen Gedanken des von seinen Trieben bedrängten Kerls befassen soll. Wer das tut, vergeudet seine Zeit. Nun hat Zoë Beck eine Variante dieser Konstruktion vorgestellt: das Tagebuch einer verlassenen Frau.

Das lässt Schlimmes ahnen, aber nein, es kommt noch schlimmer. Ja, es ist diese Kombination von Tagebuch und Frau, die hier ins Extrem getrieben wird – was allein schon deshalb schlimm ist, weil einem Mann kein Tagebuch zugeschrieben würde, der würde vielleicht gleich ein Buch draus machen (Hakan Nessers „Die Perspektive des Gärtners“ aus dem Jahr 2010 wählte diese Variante, war aber auch nicht gut). Gender also ohne Ende.

Der Plot: Die Stiefmutter eines psychotischen schottischen Medienmoguls (Cedric) wird ermordet. Der Mann gerät in Verdacht, der sich aber nicht bestätigt. Dafür kann er aber den Komplott der nun toten Frau entschärfen, die ihn mit Hilfe eines gesunden Sohnes aus dem Erbe drängen wollte. Zwischenzeitich taucht eine Frau auf (Pippa, sehr Hauptmannlike), die ihren vor Jahren verschwundenen Lebensgefährten beschuldigt, der Mörder zu sein. Die Umstände des Mords (bitte nachlesen), mithin die Ungewissheit über die Gründe und Hintergründe motivieren ihn dazu, nachzuhaken und sich am Ende um seinen kranken Halbbruder zu kümmern.

Um die Herleitung dafür plausibel zu machen, lässt uns Beck in das Tagebuch Pippas schauen, das das Verschwinden des Mannes und ihre jahrelange Suche nach ihm dokumentiert. Zugleich soll wohl das abgrundtiefe Leiden der Frau nachvollziehbar gemacht werden. Und so suhlt man sich im Leiden dieser Frau, die sich immer wieder die Frage stellt, warum ihr Mann verschwunden ist. Sie will ihn – ganz Klischee – am Ende nicht einmal mehr zurück –, sie will nur Klarheit darüber, warum der Mann gegangen ist.

Nun gut, er ist weg, und wenn er deshalb weg ist, weil er keine Lust mehr hatte, dann ist das Ganze ganz schön viel Aufwand auf Dauer. Die einzige Figur, die im Roman auftritt und rät, sie solle sich doch einfach nicht weiter drum kümmern, wird denn auch erstmal verprügelt, als ob ‚Klassenkeile‘ das angemessene Mittel wäre, solch despektierlichen Ratschläge loszuwerden.

Geschieht ihm natürlich recht, kann er denn nicht lesen? Denn die Hinweise darauf, dass hier irgendwas im Argen ist, sind ja deutlich genug. Der Vater Cedrics ist vor Jahren verschwunden und wurde später in der Schweiz ermordet. Er wird zudem als Medienmogul im Offiziellen, als großer Krimineller im Geheimen präsentiert. Wer weiß, ob er wirklich tot ist.

Die böse Stiefmutter murmelt am Telefon kurz vor ihrem Tod den Namen des verschwundenen Mannes von Pippa (Sean). Die Ärztin, die ihre Wunschschwangerschaft betreut hat, hat sich aus Schottland abgesetzt. Ihr Mann scheint sogar ins Rüstungsgeschäft eingestiegen zu sein. Beide leben auch noch direkt neben, ja in dem Haus, in dem der Vater Cedrics ermordet worden sein soll.

Merkwürdige Einbrüche geschehen. Pippa selbst verschwindet sogar gegen Ende des Buches. Und so strebt alles mit viel Aufwand der Auflösung zu. Fragt sich nur wozu? Um eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen? Misslungen. Um von den eigentlichen Untiefen der zivilen Welt abzulenken? Muss nicht sein. Um nicht zu früh mit der Lösung rauszukommen? Schade, hätte man weniger Zeit verschwendet, wenn sie sich kürzer gefasst hätte.

Wenn man empfehlen darf: alle in den Jahren vor 2010 spielenden Teile einfach überblättern. Da passiert nichts, das muss man nicht haben, und es ist nicht einmal gut geschrieben. Als Tagebuch-Imitation außerdem misslungen – einfach mal bei Irmgard Keun in die Lehre gehen („Das kunstseidene Mädchen“, immer eine Lektüre wert).

Es gibt eine Todsünde im Unterhaltungsgenre, zu langweilen und dabei auch noch aufdringlich zu werden. Beck hat diese Sünde begangen. Dafür gehört sie mindestens ins Krimi-Fegefeuer.

Titelbild

Zoe Beck: Das zerbrochene Fenster. Thriller.
Bastei Lübbe, Köln 2012.
366 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783404160464

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