Aufsteiger

Nachfolgeprobleme sind auch unter Kriminellen ein Problem. Howard Linskey weiß davon in „Crime Machine“ zu erzählen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fragilität krimineller Existenzen gerät in den kurrenten Bedrohungsszenarien immer wieder aus dem Blick. Aus der Perspektive der zivilisierten Bürger sind Kriminelle eine existenzielle Bedrohung, die Grundelemente der Zivilgesellschaft wie Vertrauen oder Gewaltfreiheit grundsätzlich in Frage stellen.

Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, sich darauf zu verlassen, dass ein Gang in die Stadt glimpflich vonstatten geht, sondern mit einem echten Risiko verbunden ist, dann ist es nicht mehr weit bis zum Untergang der Menschheit. Wenn dann am Ende nur noch Stämme überleben, dann gute Nacht mit all den Annehmlichkeiten, die so ein Leben mit geregelter Arbeit, regelmäßigen Mahlzeiten und rechtmäßigem Liebesleben mit sich führt.

Solch ein Blick lenkt allerdings davon ab, dass auch Kriminelle ihre Gewohnheiten haben, jenseits der sehr üblen, alle möglichen Leute über den Haufen zu schießen oder seiner Freude am Gewaltexzess zu frönen. Auch der gewöhnliche Verbrecher liebt sein Feierabendbier, das Wochenende und die Ferien mit der Gemahlin und freut sich über das, was er sich hart erarbeitet hat. Auch er will Ruhe im Geschäft, wenig Ärger mit der Polizei und ein geregeltes Einkommen.

Deshalb ist eine Konsolidierungsphase nach dem brutalen Aufstieg höchst willkommen. Solange der Kampagnenfürst noch glaubhaft machen kann, dass er immer noch eine wirkliche Bedrohung ist, wird ihm weder einer der eigenen Leute noch ein externer den Rang streitig machen wollen.

Allerdings liegt genau hier das Problem: Mit den Jahren werden auch ehemalige Exzessbolzen ein bisschen bequemer. Sie haben vielleicht Familie und Kinder, die anders aufwachsen sollen, sie haben vielleicht schon ein bisschen fettere Hüften, die davon zeugen, dass es auch anderes gibt im Leben als zu meucheln, sie haben vielleicht schon lange etwas zu verlieren, und vor allem keine große Lust mehr auf die Eskalation, die ein Eindringling oder ein Aufsteiger mit sich zöge. Sie sind immer noch brutal, sie flößen immer noch Angst ein, aber es fehlt so etwas wie das letzte Engagement, die letzte Leistungsbereitschaft, auch im Gewalttätigen.

So wenigstens geht es Bobby Mahoney, dem lokalen Gangster-Boss von Newcastle. Mahoney hat sein Geld in legale, semilegale und kriminelle Investments angelegt. Er hat seine Finger in allen wichtigen Geschäften der Stadt, er ist so eine Art Unterweltregierung mit Steuerprivileg. Seine Steuerbehörde ist ein wenig direkter in den Mitteln. Aber auch hier gilt der Grundsatz, dass man sich besser nicht mit ihr anlegt.

Sein wichtigster Berater David Blake ist da aus anderem Holz geschnitzt: Er versteht was von Geschäften und nicht von Prügeln und Töten, weshalb er bei den alten Hasen nicht gänzlich akzeptiert ist. Schlimmer noch, er gilt als Weichei, das sich ohne die Ochsentour eingeschlichen hat, was keiner darf, zumal wenn er auch noch so viel verdient wie Blake.

Geschieht ihm also recht, dass er Mahoneys Gunst zu verlieren droht, weil eine Zahlung an die übergeordnete Kriminellenorganisation misslingt. Es gibt immer noch einen größeren Fisch, auch hier. Der Bote, der an Stelle von Blake die Übergabe machen soll, ist verschwunden, und mit ihm das Geld. Blake hat drei Tage, Geld und Boten herbeizuschaffen. Boten schafft er, Geld nicht.

Aber bei diesem Problem bleibt es nicht: Die Vorfälle und Übergriffe häufen sich, irgendjemand hat anscheinend nicht mehr die notwendige und gewohnte Angst vor Mahoney, dessen Organisation sich mit einem Mal einem unsichtbaren Gegner ausgesetzt sieht, dem sie völlig ausgeliefert ist.

Die Angst, die sonst ein so wirksamer Schutz ist, ist verflogen: Es trifft nun einen nach dem anderen der Funktionäre Mahoneys, auch Blake. Die Organisation zerbricht, ohne dass irgendjemand dazu imstande wäre, diesen Prozess aufzuhalten. Bis eben auf Blake. Aus dem gewaltfreien Geschäftsmann schlüpft der adäquate Nachfolger Mahoneys, der nicht weniger brutal und gnadenlos ist als sein alter Chef, der beinahe ohne Gegenwehr seinem Angreifer zum Opfer fällt. Blake aber entgeht dem, gerade weil er das Weichei ist, das alle unterschätzen, das als Gangster nicht ernst genommen wird.

Eine Chance, und Blake nutzt sie, auch wenn er das Geschäft hinterher anders weiter führt. Soviel Freiheit muss schon sein.

Das alles erzählt Linskey mit einer bravourös durchgehaltenen Dynamik und Konsequenz, die den Leser in Atem hält. Der Unentschiedene, der sich für das Böse entscheidet, und dabei immer noch als Identifikationsfigur herhält? Natürlich, das Ganze lässt sich als Allegorie auf das Geschäftsleben insgesamt lesen. Das aber ist überhaupt nicht nötig. Linskeys Krimi besteht auch so.

Titelbild

Howard Linskey: Crime machine. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2012.
380 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426510360

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