Der Linguist Juliane Schröter

Susanne Günthner, Dagmar Hüpper und Constanze Spieß haben einen Tagungsband zur sprachlichen Konstruktionen von Geschlechtsidentität herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte der 1980er-Jahre wurde die damalige Leipziger Studentin Kathrin Kunkel-Razum auf einen Aufsatz der Linguistin Luise F. Puschs aufmerksam. Er trug den Titel „Sie sah zu ihm auf wie zu einem Gott – Das Duden-Bedeutungswörterbuch als Trivialroman“ und hinterließ „einen tiefen Eindruck“ bei der jungen Frau. Zwanzig Jahre später leitete sie selbst die Bearbeitung für die 3. Auflage des Wörterbuchs. Für den nun von Susanne Günthner, Dagmar Hüpper und Constanze Spieß herausgegebenen Sammelband, der sich unter dem Titel „Genderlinguistik“ mit der „sprachlichen Konstruktion von Geschlechtsidentität“ befasst, hat sie nun einen von zwei „Werkstattberichten aus der Duden-Reaktion“ verfasst. Den anderen hat Birgit Eickhoff beigetragen. Kunkel-Razum legt in dem ihrigen dar, „wie die langjährigen theoretischen Diskussionen der Gender Studies Konsequenzen bei der Wörterbucharbeit oder beim Schreiben von Grammatiken zeitigen.“ So wurde etwa ein „ganz besonderes Augenmerk auf die Umsetzung von Leitlinien der Political Correctness gerichtet“. Da hätte man doch gerne gewusst, wer die Leitlinien dieser ominösen Political Correctness erlassen hat und wo sie nachzulesen sind, handelt es sich bei ihr doch um einen von konservativer Seite besetzen Kampfbegriff. Jedenfalls galt es der Autorin zufolge „in erster Linie“, „zu allen männlichen Personenbezeichnungen auch die weiblichen Formen aufzunehmen“, die nun „komplett verzeichnet“ seien. Die „einzige Form, die fehlt“, sei „die Päpstin“. Des Weiteren wurden „vor allem Veränderungen an der Beispielsubstanz“ vorgenommen.

Die Werkstattberichte aus der Duden-Redaktion sollen den Herausgeberinnen zufolge gemeinsam mit den anderen Beiträgen des Bandes „eine Basis für weitere anregende und fundierte Debatten im Bereich der Genderlinguistik liefern“. Dies heiße nicht nur eine „aktuelle Bestandsaufnahme der linguistischen Gender Studies“ zu unternehmen, sondern eben sowohl „aktuelle Fragestellungen und neue Perspektiven zur sprachlichen Konstruktion von Gender zu diskutieren“, wobei die Genderlinguistik nicht etwa als eine „alternative Form von Linguistik“ oder als „von anderen linguistischen Bereichen abgetrennter Forschungsbereich“ aufgefasst wird, sondern als „Perspektive“, „die innerhalb der vorhandenen Forschungsteilbereiche zur Geltung kommt oder auch Verknüpfungen zwischen den Teilbereichen herstellt.“

Die Herausgeberinnen des auf eine Ende 2008 an der Westfälischen Wilhelms-Universität abgehaltenen Tagung zurückgehenden Bandes haben die Beiträge vier „Themenblöcken“ zugeteilt: „theoretische Hintergründe und methodische Implikationen“, „Geschlechter in medialen Zusammenhängen“, „Geschlechter in der Interaktion“ sowie „das Zusammenspiel von Sprachsystem und Sprachgebrauch“.

Bekanntlich kam dem Generischen Maskulinum die Ehre zu, eines der Ursprungsthemen der feministischen Linguistik zu sein. Juliane Schröter, Angelika Linke und Noah Bubenhofer bieten mit ihrem Beitrag nun eine „empirische Studie“ zu seiner „Einschätzung und Verwendung“, während Janet Spreckels „Geschlechtsidentitäten zwischen Medien und Alltag“ beleuchtet. Damaris Nübling befasst sich hingegen mit Androgynisierung und Infantilisierung der Rufnamen seit dem Zweiten Weltkrieg und weist nach, dass die Rufnamen für Männer und Frauen einander seit 1945 strukturell noch nie so ähnlich waren wie es derzeit der Fall ist. Der umfangreichste Aufsatz aber findet sich gleich im ersten der vier Blöcke. Heiko Motschenbacher hat ihn verfasst. Unter dem Titel „Queere Linguistik“ stellt er „theoretische und methodologische Überlegungen zu einer heteronormativitätskritischen Sprachwissenschaft“ an. Ziel seines Beitrags ist es, „drei Hauptkritikpunkte“ an der Queeren Linguistik zu widerlegen: ihre „angeblich begrenzte Relevanz“, die Kritik „in Sachen politischer Handlungsfähigkeit“ und ihre „hohe Theorielastigkeit“.

Mit Marie-Louise Bukop und Dagmar Hüpper zeichnen gleich zwei Autorinnen für einen Beitrag zu „Geschlechterkonstruktionen im deutschsprachigen Porno-Rap“ verantwortlich. Das Autorinnen-Duo setzt sich aus einer Studentin und ihrer Professorin zusammen. Der Aufsatz selbst fußt auf der Abschlussarbeit ersterer. Als Quellenkorpus dienen jeweils drei Texte der Porno-RapperInnen King Kool Savas und Lady Bitch Ray, anhand deren untersucht wird, „ob – und wenn ja, wie – die ursprünglich und wesensmäßig männlich dominierte Sprechpraxis von Lady Bitch Ray adaptiert und in einen geschlechtsklassenübergreifenden kommunikativen Haushalt überführt wird.“ Wie die Autorinnen zeigen, wird die „im Ausleben der Sexualität gespiegelte ‚asymmetrische Beziehung‘ der Geschlechter“ in den Texten des King Kool Savas’ von Lady Bitch Ray nicht etwa subvertiert, sondern „in Form ‚mimetischer Angleichung‘ perpetuiert.“ So zielt das Dissen sowohl bei ihm als auch bei ihr „vor allem auf Frauen, die sich – körperlich unterlegen, sexuell abhängig und unselbständig – als Opfer der Verbalattacken anbieten“. Dieser Befund ließe sich dahingehend präzisieren, dass es nicht auf Frauen zielt, die tatsächlich so sind und sich so verhalten, wie in den Texten dargestellt, sondern auf Frauen, die in den Texten als solche konstruiert werden. Das sind bei King Kool Savas schlichtweg alle Frauen. Und auch bei Lady Bitch Ray ist das nicht anders – es sei denn, sie spricht von sich selbst. Gegenüber King Kool Savas’ unbeholfenem Sexismus, der sich schlicht in den brutalstmöglichen Beleidigungen und Vergewaltigungsfantasien befriedigt, und seiner nicht selten unfreiwillig komisch wirkenden Aufgeblasenheit glänzt Lady Ray Bitch immerhin mit einem größeren obszönen Wortschatz. So kommen in den drei Texten von ihm zwölf verschiedene obszön-sexistische Bezeichnungen für Frauen vor, bei ihr sind es nicht weniger als 31. Hinsichtlich der Männer sind es bei ihm sieben, bei ihr elf. Wenn es darum geht, weibliche Geschlechtsteile zu benennen liegen sie gleichauf, bei denjenigen von Männern geht er dann sogar mit acht zu zwei in Führung. Wobei Lady Ray Bitschs Diminutiv „Zäpfchen“ auffällt. Doch überwiegen bei ihr ebenso wie bei ihm „positiv konnotierte Benennungen für den potenzstarken, die Frau sexuell zufriedenstellenden, Mann“, der sie „durchknallt“ und ihren G-Punkt „wund fickt“. Die Frauen bleiben in in den Texten beider während des Sexualakts passiv. Dies gilt selbst für Lady Bitch Rays lyrisches Rap-Ich, dessen Aktivität sich darauf beschränkt, die sexuelle Aggression des Mannen zu fordern „Knall mich durch, komm! […] Ich will das so […] King Orgasmus, du geiles Vieh! Lass mich kommen wie noch nie! Ich hab gehört, du bist Meister des G-Punkts? / Los Kleiner fick ihn mir wund […] Nimm mich richtig durch und fick mir den Verstand weg.“ Angesichts solcher Zeilen ist es nicht ganz zutreffend, sondern fast schon verharmlosend, wenn das Linguistinnen-Duo konstatiert, „die Gewaltbereitschaft“ des Mannes „im sexuellen Verkehr“ werde von Lady Bitch Ray „nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Frauen billigend in Kauf genommen.“. Nein, es ist nicht sexuelle Gewaltbereitschaft, die in Kauf genommen wird, sondern handelnde sexuelle Gewalt. Und sie wird auch nicht ‚nur‘ in Kauf genommen, sondern gefordert, wie die obigen Beispiel für Lady Bich Rays Lyrisches Ich und das folgende ebenfalls aus einem ihrer Texte stammende für andere Frauen zeigen: „Du brauchst es richtig in den Arsch besorgt, richtig roh“.

Gesitteter als in den Texten des Porno-Rap geht es in den geschlechtlichen (Selbst-)Inszenierungen beim Speed-Dating zu, denen Elisa Franz und Susanne Günthner nachgehen. Ihre Untersuchung gelangt zu dem überraschenden Ergebnis, dass in den fünfminütigen Dating-Gesprächen einer für die Untersuchung durchgeführten Speed-Dating-Veranstaltung mit je sieben Männern und Frauen „kaum auf gender-typische Verhaltensweisen zurückgegriffen“ wird, während die ProbandInnen in den informellen „Pausengesprächen“ umso stärker auf „stereotype Genderinszenierungen“ setzen.

Nicht Gespräche zwischen den Geschlechtern sondern denjenigen innerhalb eines Geschlechts geht Helga Kotthoff am Beispiel von Telefonaten zwischen weiblichen Jugendlichen nach, um zu zeigen, „in welchen konversationellen Aktivitäten Freundinnen in privaten Telefongesprächen Gender relevant setzen.“ Dabei wird deutlich, dass die in den Gesprächen „thematisierten romantisch-sexuellen Beziehungen zu Jungen meist auch irgendwie für die Beziehung der Mädchen untereinander funktionieren würden“.

Zusammenfassen lässt sich sagen, dass der vorliegende Band neben erhellenden Analysen auch manche überraschende Information bietet. Wer weiß schon, dass das große Binnen-I eine Schweizerische „Erfindung“ ist, und wer, dass in Schweden derzeit über „die radikale Aufhebung der sexusspezifischen Rufinventare“ diskutiert wird. Allerdings bieten nicht alle diese Informationen Grund zur Freude. Eher betrüblich ist etwa, dass „jüngere Frauen im (hoch)schulischen Umfeld zumal bei Selbstbezeichnungen vermehrt zum generischen Maskulinum zurückkehren.“ Dies zeigt sich auch am Beispiel der beiden Verfasserinnen einer einschlägigen Studie im vorliegenden Band (der dritte im Bunde ist Noah Bubenhofer). Während Angelika Linke als die ältere der beiden Mitverfasserinnen „nie sagen würde ‚Ich als Linguist‘, bezeichnet Juliane Schröter als die jüngere sich durchaus so.“

Titelbild

Susanne Günthner / Dagmar Hüpper / Constanze Spiess (Hg.): Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität.
De Gruyter, Berlin 2012.
447 Seiten, 119,95 EUR.
ISBN-13: 9783110272871

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