Katholische Kassandra

Gabriele Kuby rebelliert gegen „Die globale sexuelle Revolution“

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, ein richtig gutes Buch ist Gabriele Kubys „Die globale sexuelle Revolution“ nicht. Es ist nämlich völlig unsystematisch aufgebaut, besteht aus einer ungeordneten Reihe einzelner Kapitel, die vermutlich einmal als eigenständige Traktate, Vorträge oder ähnliches konzipiert waren, und bald schon ist man versucht, es, ermüdet von den vielen Wiederholungen der Einzelheiten wie der Hauptgedanken, aus der Hand zu legen. Andererseits kann man der Autorin nicht nachsagen, sie schreibe etwa schwerfällig oder langweilig. Hinsichtlich des Nachweisens ihrer Quellen arbeitet Kuby – gemessen an manch anderem Sachbuch mit Popularitätsanspruch – mit anerkennenswerter Sorgfalt. Das Literaturverzeichnis fällt nicht gerade üppig, aber solide aus. Vieles lässt sich leicht verifizieren, wenn man die Geduld aufbringt, mehrzeilige Netzadressen in den Computer einzutippen.

Bietet diese Publikation Überraschendes? Kaum demjenigen, der die Geschichte der Hinwendung Kubys zum – von manchen so genannten fundamentalistischen – Katholizismus und ihr Engagement für den nicht einmal von ihrer eigenen Kirche immer mitgetragenen Traditionalismus kennt. Und wer auch das Produktspektrum des Fe-Medienverlags, der innerhalb der katholischen Publizistik ein Außenseiterdasein fristet, in Augenschein genommen hat, wird kaum erwarten, dass Kubys Ausführungen zu sexueller Libertinage auffordern wollen. Der Philosoph Robert Spaemann schreibt in seinem Geleitwort: „Möglichst viele Menschen sollten dieses Buch lesen, um aufmerksam zu werden, was auf sie zukommt, wenn sie sich nicht wehren.“

Kubys Diatribe gegen die – dies ist Kern ihrer Polemik – grassierende Auflösung des theozentrisch gegründeten alteuropäischen Familienbildes wurzelt in persönlicher Glaubenstiefe und hat daher Anspruch auf Toleranz. Darüber hinaus jedoch verficht sie einen eurozentristischen Kulturabsolutismus, dessen Rigidität („Hochkultur durch Hochmoral“) fraglos zu provozieren geeignet ist: „Je größer die sexuelle Beschränkung, umso höher das kulturelle Niveau, je geringer die sexuelle Beschränkung, umso niedriger das kulturelle Niveau.“ Das hätte sie einmal den Päpsten der Renaissance sagen sollen.

Unter Rekurs auf das ominöse Diktum Ernst-Wolfgang Böckenfördes bemerkt die Autorin über das Christentum als die „moralische Substanz“ der „europäischen Hochkultur“: „Sie hat sich in der Schönheit von Kirchen, Klöstern, Städtebau, Malerei und Musik durch die Jahrhunderte hindurch in jedem Land auf je eigene Weise entfaltet. Jeder kam durch die Sprache der Bibel, die Kirchenmalerei, die Kirchenmusik und die Architektur mit dem Wahren, Schönen und Guten in Berührung und wurde davon geprägt.“ (Wie gern würde ich Karlheinz Deschner, den Autor der „Kriminalgeschichte des Christentums“, bei der Lektüre dieser Zeilen heimlich beobachten!) „Keine Philosophie und keine Religion“, notiert Kuby, „hat ein höheres Bild vom Menschen als das Judentum und das Christentum.“

Freilich: Von dieser hohen Warte gesehen, stellt sich die sittliche Verfasstheit der Gegenwart dar als das Resultat destruktiver, subversiver Mächte. Überflüssig wohl, Kubys Jeremiaden hier im einzelnen zu paraphrasieren. Ihre Abscheu vor der pornografischen Flut gehört ebenso hierhin wie die Klage über die ubiquitäre Sexualisierung unserer Lebenswelt – Erosionsphänomene, welche den Glauben an die Gottesebenbildlichkeit des Menschen gewiss vor eine schwere Prüfung stellen.

Insbesondere stößt Gabriele Kuby sich an der „Homo-Ehe“, und an dieser Stelle wird es auch besonders heikel. Denn hier geht es, wie jüngst noch der CDU-Parteitag in Hannover ins Bewusstsein rief, ja nicht nur um die vergleichsweise geringe Zahl der Lesben und Schwulen, welche Ehestandsprivilegien für sich reklamieren; diese Frage betrifft auch den immateriellen, sprich ideellen Kosmos der sozialen Wertordnung. Gerade aber angesichts der hochgradigen Brisanz des Problems sollten sich nach Auffassung des Rezensenten beide Seiten in der Weise des Streitens mäßigen. Weder ist es angemessen und fair, diejenigen als „homophob“ zu pathologisieren, die Bedenken gegen die Gleichbehandlung von Ungleichem tragen, noch besteht die Nötigung, Vertreterinnen und Vertreter der „Gender Mainstreaming“- und Antidiskriminierungsfront als Agentinnen und Agenten einer diabolischen Weltverschwörung zu brandmarken.

Fazit: Gabriele Kuby bezieht eine Position, die ehemals majoritär gewesen sein mag, die heutzutage aber minoritär ist. Wer in konsequenter Katholizität Böses sieht, wird das Buch verurteilen. Auf der anderen Seite wird nicht jeder, der im Christenglauben Gutes erkennt, dem alarmistischen Tenor, der Dämonisierung von Normenverlusten und der Glorifizierung des Vergangenen beipflichten müssen, auch wenn er Einzelanalysen zustimmungsfähig findet. Eine Grundfrage, zu der auch dieses Buch wieder einmal hinführt, lautet: Gibt es ein vom Schöpfer oder von der Natur vorgesehenes Wesen des Menschen, dessen Urbildhaftigkeit uns anzuähneln wir in der moralischen Pflicht stehen, oder ist es uns anheimgestellt, nach unserem Willen unser eigenes Menschenbild zu modeln? Bitte melden, wenn wer die Antwort weiß.

Titelbild

Gabriele Kuby: Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit.
Fe-Medienverlag, Kißlegg 2012.
453 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783863570323

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