Eine deutsche Besonderheit und internationale Unbegreiflichkeit

Walter Ludwig Schomers über Thomas Mann im Frankreich der zwanziger Jahre

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In „Thomas Mann und der französische Zeitgeist der zwanziger Jahre“ versucht der Romanist und Germanist Walter Ludwig Schomers neue Erkenntnisse über Thomas Mann vorzustellen. Das Buch besteht aus drei Essays. Der erste handelt von dem Kritiker Georges Guy-Grands, der 1921 in Frankreich über die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ publizierte. Der zweite handelt von Joseph de Maistre, dem französischen Theoretiker der Gegenrevolution, der dritte mehr allgemein von der Rezeption Thomas Manns im Frankreich der zwanziger Jahre. Der Romanist und Germanist Schomers promovierte 1973 über François Mauriac, den wichtigsten katholischen Autor Frankreichs des zwanzigsten Jahrhunderts.

In diesem Buch geht es vor allem um die Einstellung der französischen Rechten zu Thomas Mann, und damit auch um die Opposition Zivilisation und Kultur, Demokratie und Innerlichkeit, Aufklärung und Tradition. Für die französische Kritik war Mann „un romancier allemand contre la démocratie“. Dass auch die französische Kritik dabei keineswegs vorurteilsfrei war, belegen Sätze, die heute fast wie billige Witze anmuten: „Thomas Mann ist ein deutscher Romancier mit viel Talent“, schrieb Pierre Mille 1921 in „Le Temps“, „obwohl er Deutscher ist“. Dabei fällt auf, dass Manns Werk stellenweise manipuliert wurde, so dass falsche, gegen Frankreich gerichtete Aussagen entstanden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Thomas Mann aber bereits die Republik akzeptiert. „1921 war Deutschland eine Republik, und Thomas Mann auf dem Wege, sich zur demokratischen Verfassung zu bekennen, mit Goethe und Walt Whitman“. Diese Formulierung ist typisch für Schobers Schreibweise, die Geistesgeschichte ebenso knapp wie informativ darstellt.

Vor allem der Essay über De Maistre, der allem feindlich gegenüber stand, was uns heute so lieb ist (Demokratie, Toleranz, Verständnis), fasziniert. Denn auch der Thomas Mann-feindliche Guy-Grand musste erkennen: „Aber dieser Haß allem Vertraglichen gegenüber, dem Geschriebenen, dem Fertigen, dieses Gespür des Heiligen, des Super-Rationalen, des Tragischen, es ist ebenfalls nicht neu für Franzosen: haben Sie Joseph de Maistre nicht erkannt?“.

De Maistre hatte eine rückwärtsgewandte Geschichtsauffassung, und der frühe Thomas Mann ähnelte ihm darin. Der Gedanke vom Krieg als Reinigung und Befreiung gehört zu De Maistre wie zu Manns „Gedanken im Kriege“. In den „Betrachtungen“ preist Thomas Mann, wie De Maistre, die „Lust des Gehorsams“: „Stolz, Ehre und Lust des Gehorsams scheint heute eine deutsche Besonderheit und internationale Unbegreiflichkeit“. Auch wenn Thomas Mann in einem Brief an Ernst Bertram schreibt „Wie wenig liegt auch an einer geschriebenen Verfassung. Zu wie geringem Teil umschreibt sie das eigentliche Leben des Volkes“ ist der Einfluss De Maistres spürbar. Die Nähe zum „Zauberberg“, in dem es gleichfalls um den „Konflikt von Reaktion […] und humanistischer Aufklärung“ geht, stellt Schomers glaubhaft dar. Auf die Frage, ob Thomas Mann De Maistre gelesen hat, bleibt Schomers allerdings die Antwort schuldig.

Auch der dritte Essay wirft ein scharfes Licht auf die gewandelte Einstellung Thomas Manns – vom konservativen Antidemokraten zum Humanisten – und auf die rechte französische Rezeption, die ihn lieber als Antidemokraten darstellte, um ihre anti-deutsche Propaganda aufrechtzuerhalten. Die Erkenntnis, dass Thomas Mann eine Nähe zur konservativen Revolution zeigte, ist nicht neu. Wohl aber fehlte bislang ein genauerer Blick auf die Nähe zwischen Mann und De Maistre, und auf die französische Rezeption der „Betrachtungen eines Unpolitischen“ in den zwanziger Jahre. Schobers hat somit in seinem Essayband den Blick auf ein noch unaufgeklärtes, dunkles Kapitel der Thomas Mann-Forschung erhellt.

Titelbild

Walter Ludwig Schomers: Thomas Mann und der französische Zeitgeist der zwanziger Jahre. Essays.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012.
114 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783826049590

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch