Menschen, Tiere, Sensationen

Thomas Klein und Christian Hißnauer haben ein Reclam-Bändchen über „Klassiker der Fernsehserie“ zusammengestellt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt nicht die Fernseh-Serien „Xena“ (1995-2001), „Charmed – zauberhafte Hexen“ (1998-2006) oder „Alias“ (2001-2006). Die Älteren unter uns werden sich vermutlich auch noch an „Bonanza“ (1959-1973), die Hesselbachs und ihre drei Serien (1960-1967) sowie an „Klimbim“ (1973-1979) erinnern. Nun mögen vielleicht nicht alle die durch Ingrid Steeger bekannte Reihe von Comedy-Sendungen als Serie gelten lassen. Den Kriterien des von Thomas Klein und Christian Hißnauer herausgegebenen Reclam-Bändchens „Klassiker der Fernsehserie“ zufolge sind sie jedoch sehr wohl dem Format zuzurechnen. Dennoch sucht man sie dort ebenso wie die anderen genannten Serien vergeblich.

Die Erwartung, in einem solchen Bändchen alle Serien, denen der Ehrentitel Klassiker zukommt, vorzufinden, wäre allerdings auch verfehlt. Würde ein solches Unternehmen doch jedes Maß sprengen. So bekennen Klein und Hißnauer in der Einleitung denn auch unumwunden, dass einem für jede aufgenommene Serie „mindestens fünf weitere einfallen, die nicht vertreten sind.“ Doch gerade angesichts dieser Notlage der Herausgeber kann man mit ihrer Auswahl nicht immer zufrieden sein. Zumal, wenn man die – nicht in jedem Fall überzeugenden Auswahlkriterien – anlegt, denen zufolge sich die vorgestellten Serien dadurch auszeichnen, „dass sie genreprägend, ästhetisch, narrativ oder formal innovativ, gesellschaftlich bedeutsam, zeit- und/oder fernsehhistorisch relevant, programmprägend waren oder einen Kultstatus besitzen.“ Zudem sollte die Zusammenstellung „ein möglichst breites Spektrum an Genres und Formen“ sowie ein „ausgewogenes Verhältnis zwischen Episodenserien und Fortsetzungsserien“ bieten. Ein Western ist allerdings nicht unter den 45 chronologisch angeordneten Serien, die in dem Buch vorgestellt werden. Es sei denn, man ließe „Little House on the Prairie“ („Unsere kleine Farm“ 1974-1983) als solchen gelten. Genretypisch waren die Familiengeschichten der Ingalls allerdings sicherlich nicht. Auch ist zu bezweifeln, ob Serien, die etwa 2006 („Life on Mars – Gefangen in den 70ern) oder 2007 (KDD – Kriminaldauerdienst) produziert wurden, heute schon als „Klassiker“ gelten können. Wobei insbesondere bei letzterer auch dahingestellt sein mag, ob sie überhaupt das Zeug hat, je zu einem zu werden.

Schön wäre es nun gewesen zu erfahren, aufgrund von welchem der genannten Kriterien die behandelten Serien jeweils ausgewählt wurden. „Flipper“ (1964-1967) zum Beispiel. Nun mag es ja sein, dass die Sendung mit dem Delphin Kultstatus besitzt. Das trifft aber in nicht minderem Maße auf andere Tier-Serien wie „Lassie“ (1954-1973) und „Fury“ (1955-1960) zu, die zudem älter sind und somit eher als genreprägend in Frage kommen. Beide Serien werden denn auch in dem von Judith Keilbach verfassten Artikel über „Flipper“ erwähnt, wobei sie die Gemeinsamkeiten der drei Serien herausstellt, wenn sie schreibt, „dass ein jungendlicher Protagonist und ein intelligentes Tier gemeinsam Abenteuer erleben“, ein „Handlungsmuster“ war, das bereits die beiden „anderen Familienserien auszeichnete“. Zwei andere Serien dürften allerdings zumindest ebenso genreprägend gewesen sein wie „Lassie“ und „Fury“. „Circus Boy“ (1956-1957) mit dem Weisenknaben Corky und seinem Elefanten Bimbo sowie die im Wilden Westen handelnde Serie „The Adventures of Rin Tin Tin“ (1954-1959) mit dem titelstiftenden Schäferhund und dem wie Corky verwaisten Jungen Rusty. „Rin Tin Tin“ geht zudem selbst wieder auf eine Film-Reihe der Zwischenkriegszeit zurück, in der ein Schäferhund mitwirkte, der tatsächlich Rin Tin Tin hieß. Beide Serien wurden von den Herausgebern offenbar nicht berücksichtigt, weil sie bereits und ausschließlich in den 1950er-Jahren produziert wurde, sich Klein und Hißnauer jedoch aus unerfindlichen Gründen darauf beschränken, „internationale Serienproduktionen seit den 1960er Jahren vorzustellen“. Die meisten Beitragenden haben nur einen Artikel beigesteuert. Mitherausgeber Klein bringt es mit „La Piovra“ („Allein gegen die Mafia“, 1984-2001), „The Simpsons“ (seit 1989) und „The Sopranos“ (1999-2007) allerdings gleich auf drei.

Klein und Hißnauer geben zwar sehr ausführlich Auskunft über die Auswahlkriterien, nicht jedoch über eventuelle Vorgaben zum Aufbau der Artikel und darüber, welche Informationen man von ihnen erwarten darf. Offenbar wurde beides ganz ins Belieben der jeweiligen AutorInnen gestellt. Thomas Christen konzentriert sich beispielsweise in seinem Artikel über „Miami Vice“ (1984-1990) über weite Strecken auf die Ästhetik der Serie und deren für die 1980er-Jahre innovativen Einsatz von Musik. Die Filmästhetik oder gar die Musik spielen in manch anderem Beitrag hingegen kaum eine Rolle. Formalisiert sind jedenfalls nur die vor jedem Artikel stehenden Angaben über die Produktionsjahre, Anzahl der Staffeln, der Episoden, ProduzentInnen, DarstellerInnen, Buch, Produktionsland und dergleichen. Oft finden sich am Ende der Einträge zudem Literaturangaben, die allerdings wie die Schwerpunktsetzungen in den Artikel selbst sehr beliebig ausfallen können. So nennt Andreas Rauscher am Ende des Eintrags zu „Star Trek“ (insgesamt fünf Serien, die mit Unterbrechungen von 1966-2005 produziert wurden) etwa Thomas A. Herrigs bestenfalls belanglose Monografie „wo noch nie eine Frau zuvor gewesen ist… 45 Jahre Star Trek und der Feminismus“.Erklären lässt sich das allenfalls durch eine mutmaßliche Verbundenheit des Verfassers mit dem Autor des Buches, für das Rauscher das Vorwort geschrieben hat.

Unter den aufgenommen Produktionen deutscher Sprache findet sich etwa die von Andreas Jahn-Sudmann als „Vorläufer all jener aktuellen TV-Serienproduktionen“, „bei denen die humorvolle Absage an „Polical-Correctness-Standards“ von Kritikern und Publikum gewürdigt wird“, vorgestellte Serie „Ein Herz und eine Seele“ (1973-1974/1976) und die „Derrick“-Krimis (1974-1998), denen Thomas Weber eine „innovative Serienkonzeption“ bescheinigt. Joan Kristin Bleicher stellt „Gute Zeiten Schlechte Zeiten (seit 1992) und „Die Lindenstraße“ (seit 1985) vor. „Eine Gruppe von Autoren legt für mehrere Monate die Storylines fest. Diese werden von Autoren in Drehbüchern umgesetzt“, erfährt man von ihr über letztere.

Eröffnet aber wird der Band mit der britischen Produktion „The Avengers“ (Mit Schirm, Charme und Melone, 1961-1969). Wie Christian Junklewitz zu Recht konstatiert, spielte sie „wie kaum eine Fernsehserie zuvor mit Genre- und Erzählkonventionen“. Eben darum hätte sie auch nicht in dem Band fehlen dürfen. Dass Junklewitz „überraschend“ findet, „wie eine derart progressive Figur wie Emma Peel in dem noch überwiegend konservativen Klima der 1960er Jahre zu eine so populären Phänomen werden konnte“, ist hingegen nicht so ganz nachzuvollziehen. Die Gründung der US-amerikanischen „Organisation of Women“ lag beispielsweise immerhin schon einige Jahre zurück, als Diana Rigg und mit ihr die Figur Peel aus der Serie ausschieden, und Betty Friedans Megaseller „The Feminine Mystique“ war gar bereits im Jahr 1963 erschienen, also sogar noch bevor Rigg überhaupt zum ersten Mal für die Serie vor die Kamera getreten war.

So emanzipiert das von Peel verkörperte Frauenbild zumindest für ihre Zeit war, so konservativ ist das des – ausweislich des deutschen Titels „bezaubernden“ Flaschengeistes weiblichen Geschlechts in „I Dream of Jeannie“ (1965-1970). Sven Grampp macht in der Figur denn auch „die Kontrastfolie für die sich emanzipierenden Serienheldinnen, die man einige Dekaden später etwa in ,Buffy – Im Bann der Dämonen‘ über den Bildschirm flimmern sah“ aus. „Charmed“ persifliert das von Jeannie verkörperte antiemanzipatorische Frauenbild denn auch in der Episode „I Dream of Phoebe“ („Bezaubernde Phoebe“). Auch Grampp erkennt, dass es sich bei dem beflissenen Flaschengeist um eine „lupenreine Männerfantasie der 1960er Jahre“ handelt: „weibliche Figur, üppiges Dekolleté, wasserstoffblond, knapp in grellen Stoff gehüllt, unsterblich in ihren ‚Meister‘ verliebt und leidenschaftlich darauf erpicht, dem Mann ihrer Träume jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.“ „Aus feministischer Perspektive scheint die Serie direkt einer patriarchalen Projektion entsprungen“, konstatiert er denn auch. Genau vor dieser feministischen Kritik versucht er sie aber letztlich doch zu retten, was ihm nicht wirklich überzeugend gelingt. Denn ihm fällt nicht mehr als der Verweis auf einen „ironischen Distanzierungsgestus“ der Serie ein, der den „Vollzug des Stereotyps“ nicht nur als „Affirmation“, sondern ebenso als „Kritik massenmedialer Gender-Zuschreibungen“ ausweise. Feministinnen, soll das wohl auch heißen, haben und erkennen eben keinen Humor.

Großes Lob erfährt aus guten Gründen „Buffy – The Vampire-Slayer“ („Buffy – Im Bann der Dämonen, 1997-2003). Gaby Allrath erteilt es der von ihr als postmodern und feministisch apostrophierten Serie, in der „sich alle Figuren signifikant weiterentwickeln“ und die sich nicht nur einer großen Fangemeinde, sondern auch einer „breiten akademischen Rezeption“ erfreuen darf. Auch weiß Allrath die „große sprachliche Kreativität“ des amerikanischen Originals zu schätzen, die, wie sie anmerkt, in der deutschen Synchronisation verloren geht. Das Wort „Slayer“ ist allerdings mitnichten eine „Neubildung“ der Serie. Auch trifft es nicht ganz zu, dass sich „der Handlungsbogen jeder der sieben Staffeln auf einen als ‚big bad‘ bezeichneten Bösewicht fokussiert, der zunächst unbesiegbar scheint, dann aber schließlich doch von Buffy und ihren Freunden erfolgreich geschlagen wird.“ Zumindest eine der Staffeln, die sechste, bricht aus diesem Schema aus. Die Bösewichte sind drei postpubertäre Jungs, die sich neben ihrem Sexismus vor allem durch ihre Ungeschicklichkeit ‚auszeichnen‘ und die von Buffy und den Ihren lange Zeit als letztlich eher harmlose Spinner eingestuft werden. Doch ist es gerade die Tollpatschigkeit ihres Anführers, die zum überraschenden Tod einer der ProtagonistInnen führt. Auch stehen die drei bad guys nicht einmal im Mittelpunkt der Staffel, sondern vielmehr die Probleme, welche die Mitglieder Scoopy Gang mit sich selbst und untereinander haben.

Nicht nur „Buffy“, auch „Baywatch“ (1989-2001) erfährt in dem Band viel Beifall. Jörg Türschmann, lobt die Serie, weil sie zeige, „dass Arbeit auch Spaß machen kann“. Auch sonst gewinnt er ihr manche positive Seite ab, so werde in ihr „auch die Umweltverschmutzung angeprangert und die wohlgebauten Rettungsschwimmer helfen mitunter Behinderten, Kleinwüchsigen und Blinden“. Allerdings attestiert er der Schauspielerin Pamela Anderson auch schon mal „unfreiwillige Komik“ und stellt fest: „Das Bodybuilding war das Ergebnis von Silikon-Brüsten, knapp geschnittenen roten Badeanzügen, aber auch sportlichem Training.“ Zudem habe es dazu geführt, dass sich in Deutschland der Wonderbra durchgesetzte, „der den Busen junger Schwärmerinnen pushte.“

Sind die Beiträge des Bandes auch von recht unterschiedlicher Qualität und lässt sich an dem einen oder anderen so manches monieren, so kann man sich mit ihrer Hilfe doch ein im Allgemeinen verlässliches Bild von den vorgestellten Serien und ihrer serien-geschichtlichen Verortung machen.

Titelbild

Thomas Klein (Hg.): Klassiker der Fernsehserie.
Reclam Verlag, Stuttgart 2012.
332 Seiten, 8,80 EUR.
ISBN-13: 9783150190258

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