Gestreckt und verlängert

Peter Jacksons erster Teil des kurzen Buchs „Der Hobbit“

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Man muss sich das immer wieder ins Gedächtnis rufen: Literatur verfilmen geht nicht. Man kann Wörter nicht einfach umsetzen. Man könnte sie vorlesen, und daran erinnern sich einige der besseren Literaturverfilmungen, es sei nur an die Langfassung des „Zauberberg“ erinnert, in der sich Werner Eichhorn als Erzähler immer wieder aus dem Off einmischt, um etwas Thomas Mann-Originaltext von sich zu geben. Der Rest ist der Versuch, die Handlung nachzuspielen und die Atmosphäre zu malen, manche Diskussion wiederzugeben, Dialoge, Monologe. Manchmal gelingt es, wie im „Zauberberg“ teilweise. Meistens nicht.

Die andere Möglichkeit, Literatur zu verfilmen, ist, sich von der Sprache gleich gänzlich freizumachen oder, wie es Hitchcock gerne tat, die literarische Vorlage nur noch als Anregung zu nehmen. Das Endergebnis hat, wie etwa in „The Thirty-Nine Steps“, fast gar nichts mehr mit dem Roman von John Buchan zu tun. Manchmal kommt auch da ein Kunstwerk zustande, aber das ist ganz und gar eigenständig, mit einer eigenen Bildsprache.

Nach dem langanhaltenden Erfolg von „Der Herr der Ringe“ hat, mit einem Riesen-PR-Aufwand, Peter Jackson begonnen, jetzt auch den „Hobbit“ zu verfilmen. Und da muss man sich wundern: Denn der „Herr der Ringe“ ist ungefähr 1.300 Seiten lang, und der Film besteht aus drei mäßig langen Teilen. Der „Hobbit“ hat, je nach Ausgabe, zwischen 170 und 350 Seiten. Und auch aus dem macht Jackson drei sehr lange Filmteile.

Wie das geht? Indem er viele Passagen streckt und ausfüllt und verlängert. Indem er die Vorgeschichte, die Ankunft des Drachen, den früher stattfindenden Krieg in Moria, das Zerwürfnis mit den Elben, die Fluchten vor den Orks ausführlich zeigt. Indem er aus kleinen Nebenbeibemerkungen eine lange Geschichte macht. Und das geht interessanterweise oft, aber leider nicht immer gut.

Beispielsweise ist die Szene, in der die Zwerge bei Bilbo einfallen und erst einmal speisen und trinken, singen und tanzen, doch ein wenig zu sehr in die Länge gezogen. Nicht alles ist dann auch gelungen: Fast unerträglich kitschig sind zum Beispiel die Szenen, wo nicht nur süßlich-sanfte Musik zu hören ist, sondern sogar ein paar Elbendarsteller Flöte und Harfe spielen müssen. Bei soviel Harmonie ertappt man sich dabei, dass man sich einen Punker-Elben wünscht. Einfach nur mal, um auch etwas Leben die Elbenbude zu bringen.

Ein gravierenderer Punkt ist, dass die Atmosphäre sich auch insgesamt sehr verändert hat gegenüber dem Buch. Denn eigentlich ist „Der Hobbit“ ein Kinderbuch, und es hat, trotz einiger Gruseligkeiten, doch einen sehr viel fröhlicheren Ton als „Herr der Ringe“, in dem es ja auch immer düsterer wird, je weiter die Handlung fortschreitet und Frodo und Sam Richtung Schicksalsberg kommen. „Der Hobbit“ ist und bleibt bis zum Schluss eher eine witzige Abenteuergeschichte um einen kleinen Kerl, der sich in abstrusen Abenteuern beweisen kann und dabei erwachsen wird (auch wenn er schon etwas älter ist).

Der Film dagegen ist von Anfang an von einem sehr viel dunkleren, sehr bedrohlichen Ton durchzogen. Das liegt auch daran, dass die schrecklichen und hässlichen Monster, die Orks, schon von Anfang an die Szene mitbeherrschen. Und das sind so grässliche, grunzende Kerle, dass man sie seinem Kind nicht antun möchte, wenn man nicht will, dass sie die nächsten Nächte schreiend aus Alpträumen aufwachen. Ob also die Altersempfehlung von 12 Jahren richtig ist, darf bezweifelt werden.

Was im Film gut funktioniert, sind manche Ausführungen, mit denen Jackson die Charaktere greifbarer, lebendiger macht und damit auch manche Konflikte, wie die zwischen den Elben und den Zwergen, verständlicher. Außerdem greift er manche Andeutungen Tolkiens auf, die auf das spätere Buch „Der Herr der Ringe“ vorwegweisen, wie das Treffen des weißen Rats, in dem Saruman die Gefahren schon mal runterspielt und die Bedrohung durch den „Nekromanten“. Manche Szenen übernimmt Jackson fast wörtlich aus dem Roman, andere deutet er schon ein bisschen um. Manches davon ist sehr witzig, wie die Szene mit Radagast, dem Gandalf zur Beruhigung etwas zu rauchen anbietet und der dann ein richtiges Kiffergesicht macht. Insgesamt ist das erstaunlicherweise sehr konsistent und spannend, sodass man gar nicht merkt, dass schon der erste Teil fast eine Überlänge von 170 Minuten hat.

Viele Schauspieler der „Ringe“-Trilogie tauchen auch hier wieder auf, die meisten ein wenig verjüngt, vor allem Ian McKellen als Gandalf und Cate Blanchett als Galadriel, Christopher Lee als Saruman und Andy Serkis als Gollum spielen wieder mit. Ein kräftiger Gewinn ist Martin Freeman, der Bilbo ganz ausgezeichnet spielt, mit allen Facetten: als gemütlichen Hobbit, neugierig, zweifelnd, ängstlich, und vor allem sich wandelnd und im Lauf der Zeit sehr viel an Selbstbewusstsein gewinnend, dabei nie seinen Slapstick-Humor verlierend. Und sein komödiantisches Timing ist absolut präzise. Sehr anrührend ist auch die Szene zwischen ihm und Gollum, in der Gollum als eigentlich sehr bedauernswertes Wesen dargestellt wird.

In 3-D gefilmt und mit 48 Bildern pro Sekunde, also die doppelte Zahl wie normal, besticht der Film außerdem mit einer sehr großen Schärfe. Das macht manche Szenen zu einem wahren Alptraum an Realität, wenn man sich die Hautkrankheiten eines Oberfieslings ganz genau ansehen muss oder mit den Helden durch die Schachten und Stollen fällt. Dennoch sind die Kampf- und vor allem Schlachtszenen manchmal ein wenig hektisch und hastig und zu kurz geschnitten, während der Film in den epischen und ruhigen Szenen sich auch wirklich sehr viel Zeit nimmt.

Man sollte übrigens den Film, wie fast alle, im Original sehen – nur so kommen die Akzente der Zwerge richtig realistisch zum Tragen.

Der Hobbit. Eine unerwartete Reise.
USA/NZ 2012
Regie: Peter Jackson
Buch: Peter Jackson, Fran Walsh, Philippa Boyens, Guillermo Del Toro
Mit: Ian McKellen, Martin Freeman, Cate Blanchett, Christopher Lee, Andy Serkis
Warner, 169 Minuten
FSK 12 Jahre

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