Weitermachen (trotz allem)

Über eine Wiederauflage von Annemarie Webers „Westend“ (1966)

Von Christian LuckscheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Luckscheiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um das Berliner Westend geht es in Annemarie Webers 1966 erstmals publizierten „Roman“ „Westend“ nur am Rand. Es ist lediglich Schauplatz für die 305 Seiten lange Schilderung des Lebens einer jungen (deutschen) Frau namens Elsa Lewinsky in der Spät- und Nachkriegszeit 1945/1946, die sich allein durch Bombennächte und vollständige Zerstörungen retten, vor allem jedoch einen Weg finden muss, mit Hunger, Kälte und insbesondere der ständigen Gefahr von Vergewaltigungen und tatsächlichem, mehrmaligem Vergewaltigtwerden umzugehen – immer auch vor dem Hintergrund der Frage, was ihr Angetrauter, der im Krieg vermisste Albert zu ihren Handlungen und Gefühlen sagen würde. Die patriarchalische Haltung des Frauen-Besitzens zeichnet dabei die vergewaltigenden sowjetischen Soldaten, die Schokolade und Zigaretten verteilenden britischen Offiziere und den heimkehrenden, verständnislosen deutschen Mann gleichermaßen aus. Das Buch ermöglicht in einem schwer zu fassenden Ton den Ansatz eines Einblicks in die grausamen, kaum zu ertragenden Lebensumstände der sogenannten Zivilbevölkerung eines besiegten Landes, insbesondere der Frauen, am Ende eines Kriegs.

Leider ist das Buch ziemlich schlecht geschrieben; Versatzstückprosa. Weber war Journalistin, keine Schriftstellerin. Die Sätze sind meist unzulänglich miteinander verknüpft, die Sprache ist häufig klischeehaft und ungelenk, der Umgang der Autorin mit dem Stoff bei aller Direktheit und Inszenierung irritierend oberflächlich. Man mag den Stil „lakonisch“ oder „nüchtern“, den Blick „pragmatisch“ nennen. Der gleiche Pragmatismus steckte auch in der grausigen Unbeirrbarkeit des Weitermachens des grausigen Nachkriegs- und Wirtschaftswunderdeutschlands. Es passt ins Bild, dass Weber ein „Glamourleben“ in der Westberliner „Bohème“ der 1960er-Jahre geführt haben soll.

Titelbild

Annemarie Weber: Westend. Roman.
AvivA Verlag, Berlin 2012.
319 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338526

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