So viele Kriege, so viele Tote

Sebastian Barrys Roman „Mein fernes, fremdes Land“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sebastian Barry ist ein ungewöhnlicher Schriftsteller. Bereits mit seinem Roman „Ein verborgenes Leben“, in welchem er eine beinahe hundertjährige Irin ins Zentrum stellte, wählte er eine sehr ungewöhnliche Perspektive und eine nicht eben übliche Hauptfigur. Vor fünf Jahren gelang ihm damit der Sprung auf die Longlist des Man Booker Prize. Das ist ihm in 2011 erneut gelungen, mit seinem Roman „On Canaan’s Side“, der im Steidl Verlag unter dem Titel „Mein fernes, fremdes Land“ erschienen ist. Darin geht es wieder um eine sehr alte Frau, Lilly Bere, die mit fast neunzig Jahren auf ein sehr leidvolles Leben zurückblickt und nun, am Ende dieses langen Weges, eine verblüffende Entscheidung getroffen hat: Sie möchte ihrem Leben ein Ende setzen.

Ausgangspunkt für diesen Schritt ist der Tod ihres Enkels Bill, der nach einem Einsatz im Golfkrieg nicht mehr ins Leben zurück gefunden hat, der trotz einer Blitzheirat keinen Sinn mehr darin gesehen und sich deshalb umgebracht hat. Dieser Tod, dieser persönliche Verlust aufgrund eines Krieges, ist für Lilly zu viel, denn zu oft hat sie so etwas erleben müssen, hat sie einen geliebten Menschen auf dem Schlachtfeld verloren. Angefangen hat alles in ihrer irischen Heimat, als ihr älterer Bruder nicht mehr zurück kam aus dem Ersten Weltkrieg. Als sie in politischen Wirren der 1920er-Jahre mit ihrem Verlobten Tadg vor der IRA fliehen muss, beginnt ihr neues Leben in Amerika. Doch das junge Paar lebt in ständiger Sorge, weiß nicht, wie weit der lange Arm der IRA reicht. Und tatsächlich werden ihre Befürchtungen eines Tages grausige Realität, und das Schicksal hat ihr erneut einen wertvollen Menschen genommen. Sie irrt durch das ihr fremde Land, erfährt ein Mindestmaß an Hilfe durch entfernte Verwandte und findet schließlich Arbeit als Hausangestellte. Dort lernt sie eine weitere Bedienstete kennen, freundet sich mit ihr an. Alles könnte so schön werden, doch Cassie hat die falsche Hautfarbe und Lilly ist wieder alleine und ernüchtert. Als sie dann den charmanten und gut aussehenden Polizisten Joe kennenlernt, ändert sich ihr Leben. Das Paar verbringt eine wunderbar unbeschwerte Zeit, doch der Leser ahnt, dass auch dieses Glück nicht von Dauer sein wird, denn Joe hat ein dunkles Geheimnis und verlässt die schwangere Lilly Hals über Kopf.

Sebastian Barry beschreibt all diese Stationen sehr einfühlsam aus Lillys Sicht, denn sie hat sich ein altes Haushaltsbuch genommen, in das sie nun tagebuchartig („Erster Tag ohne Bill“ et cetera) ihr Leben, ihre Erinnerungen, ihre Gefühle einträgt. Sie berichtet von ihrer Kindheit in Irland, von ihrer Arbeitgeberin, die ihr bis heute kostenfreies Wohnrecht in einem kleinen Häuschen gewährt, von ihren Sozialkontakten, die es ihr ermöglichten, nicht völlig in Gram und Trauer zu versinken, sondern vielmehr ein aktives Leben zu führen. Das kommt zum Teil in einem etwas betulichen Ton daher, wirkt etwas angestaubt und mit Pathos aufgeladen, doch ist dieser Ton dem Sujet durchaus angemessen. Außerdem versteht es Barry sehr gut, durch leise Ironie und die eine oder andere komische Episode, dem ganzen Grau etwas Farbe beizumengen und dieses teilweise sehr bedrückende Buch durch solcherlei Stilmittel und passagenweise eine sehr poetische Sprache sehr gut lesbar zu machen. Dieses trifft auf die deutsche Übersetzung zu, die von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser besorgt wurde (wobei es irritierenderweise im Klappentext nur zu Herrn Oeser eine Kurzbiografie gibt). Bleibt zu hoffen, dass Steidl diesen ungewöhnlichen Schriftsteller im Programm behält und deutschen Lesern seine Werke weiterhin zugänglich macht.

Titelbild

Sebastian Barry: Mein fernes, fremdes Land. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2012.
316 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783869305134

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