Luftkampf um die Deutungshoheit in Sachen Brecht

Jan Knopf hat eine große Brecht-Biografie geschrieben, und er kämpft sichtlich um sein Erbe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt eine Reihe von Namen, die mit der Brecht-Forschung der vergangenen Jahre, ja Jahrzehnte verbunden werden, aber niemand war und ist wahrscheinlich so einflussreich wie Jan Knopf. Knopf ist dabei bereits in den frühen 1970er-Jahren in den Kosmos Brecht mit einem kritischen Forschungsbericht eingetreten ist, der auch heute noch lesenswert ist. Was Knopf in den Jahrzehnten seitdem zum Thema Brecht vorgelegt hat, würde jeden Fachkollegen schmücken: zwei Handbuchprojekte, eines in den 1980ern ganz allein geschrieben und eines in fünf voluminösen Bänden vor etwa zehn Jahren, in dem alles, was Rang und Namen hatte in der Brechtforschung, vertreten war. Hinzu kommen zahlreiche Monografien zu Brecht, darunter ein sehr schöner Essay zur Lyrik Brechts, eine Brecht-Arbeitsstelle an der Universität Karlsruhe, die er bis heute leitet und in deren Materialien man gerne wühlen würde – vor allem aber die Mitherausgeberschaft in der „Großen Berliner und Frankfurter Ausgabe“ der Werke Brechts, die noch als Gemeinschaftsprojekt von DDR und BRD begonnen wurde und endlich 1998 nach 30 Bänden abgeschlossen werden konnte. All das ziert ihn bis heute und wohl noch lange darüber hinaus.

Vor allem die Auswirkungen der neuen Brecht-Ausgabe, die die allgegenwärtigen grauen Bände der alten Hauptmann-Ausgabe ersetzten, sind bis heute noch kaum abzuschätzen. Knopf selbst hat immer wieder davon gesprochen und auch dafür geworben, dass mit dieser Ausgabe das Brechtbild in der Forschung noch einmal von Grund auf neu entworfen werden müsse. Zu sehr sei die alte Ausgabe einem Brecht verpflichtet gewesen, das keiner der beiden Gesellschaftsordnungen in Ost und West zu nahe treten sollte. Der Sozialist hier nicht zu kritisch und dort nicht zu angepasst – jeder nahm sich anscheinend von Brecht, was ihm passte, was allerdings bei der Quellenlage kaum anders zu haben war. Zu sehr fußte das Brecht-Bild auf falschen Materialien.

Nun aber, mit dem neuen Brecht, musste und muss immer noch vieles anders werden. Das viel geliebte „Me-ti“ – nur eine Kompilation, die Zusätze zum „Lesebuch für Städtebewohner“ – eigentlich zu einem völlig anderen Zusammenhang gehörend, das wunderbare, bewundernde Gedicht Brechts über seinen großen Antipoden Gottfried Benn – eigentlich nur eine Notiz und dann auch noch bearbeitet durch Elisabeth Hauptmann. Die Liste der Neubewertungen und Textkorrekturen durch die Ausgabe, die zudem minutiös jeden Text kommentierte, ist naheliegend viel viel länger. Und damit sind auch die Wirkungen der neuen Ausgabe noch lange nicht abzusehen.

Das alles und noch mehr verdankt die Forschung, verdankt aber auch ein intelligentes Lesepublikum unter anderem Jan Knopf, der zwar nicht der einzige Akteur der Ausgabe war, jedoch ein unermüdlicher und in vielerlei Hinsicht aktiver Protagonist des neuen Brecht.

Und nun eine Biografie zu Brecht? Es ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein. In ihrer Anlage und Durchführung ist sie aber derart von der großen Brecht-Biografie Werner Mittenzweis verschieden, die sich seit ihrer Publikation 1987 als Standardwerk etabliert hat, dass ein spekulativer Blick in die möglichen Motivationen Knopfs hilfreich ist. Aber dazu später.

Dabei ist Knopfs Arbeit nicht weniger hilfreich als die Mittenzweis, und doch völlig anders. Sie ist entschiedener, kämpferischer und in vielerlei Hinsicht auch unausgewogener, vorläufiger, ja unausgegorener als die beiden Bände Mittenzweis, der jahrelang einer der Kombattanten Knopfs war. Knopf schimpft und ärgert sich öffentlich, er fragt den großen Brecht gelegentlich, was er sich eigentlich dabei gedacht hat, er hat ein sehr entschiedenes Urteil zu den totalitaristischen Systemen, die das 20. Jahrhundert in die Katastrophe geführt haben, er begleitet Brecht mehr durch Leben und Werk – immer kommentierend, immer interpretierend, immer bewertend –, als dass er sich als sein zurückhaltender, ja neutraler Chronist verstünde. Seine Faszination ist ungebrochen, und als Leser folgt man ihm über eng bedruckte 500 Seiten gern.

Ja, in der Tat, dieses Buch ist beeindruckend, Knopf geizt nicht mit seinem Wissen, aber es ist in vielem ein Wissen, mit dem er immer wieder hervorzuheben scheint, dass er es nun einmal besser weiß als andere, wie das mit dem Herrn Brecht nun damals war. Und recht hat er damit: Knopf setzt andere Schwerpunkte, als es ein neutralerer Biograf getan hätte, er geht in die Tiefe, wo andere nichts Besonderes zu berichten wissen, und lässt aus, was für andere zentral ist.

Brechts Rückkehr nach Deutschland nach dem Krieg? Wer kann schon wissen, ob er nicht in der neutralen Schweiz geblieben wäre, hätte die sich etwas freundlicher dem rückkehrenden Exilanten gegenüber gezeigt. Knopf jedenfalls betont, dass es Brecht vor allem um sein Theater gegangen ist, und alles andere ihm weitgehend gleichgültig war. Der 17. Juni 1953, Brechts vermeintliche Kniefälle vor Stalin – Knopf stellt jede Äußerung Brechts erst einmal unter Ironieverdacht und weiß das Widerborstige in Brechts Denken und Schreiben wohl hervorzukehren.

Ironisch mag man auch den zahlreichen Versuchen Knopfs begegnen, Brecht immer wieder literarische Alleinstellungsmerkmale zuzuschreiben. Aber auf der anderen Seite bleibt Brecht dennoch einer der wenigen Exil-Autoren, die auch in der Extremsituation ihre literarischen Schreibweisen weiterentwickelten. Brecht ist einer der produktivsten und vielfältigsten Autoren der deutschsprachigen Literatur, als Lyriker und Dramatiker, aber eben auch als Prosaautor und Essayist. Darüber wird man reden dürfen. Und Knopf redet darüber, wiederholt.

Dass Brecht immer noch anders ist, weiß man, wenn man Brecht liest, und nochmals liest, und man bekommt eine Ahnung davon, wenn man diese Biografie liest. Man ist also dankbar für diesen Brecht, den Knopf so engagiert vorstellt, und immer wieder interessiert, bis zum Schluss. Dass Knopf zwar zahlreiche Zitate nutzt, sie aber nur versteckt nachweist, mag in den heutigen Zeiten als Verstoß gegen die guten Zitier-Sitten gelten, der Verweis auf die Brecht-Ausgabe und die Handbücher werden so manchem Hüter der hehren Wissenschaft aufstoßen. Auch dass Knopf weder Forschung diskutiert noch zitiert noch sonstwie auf sie verweist, mag Anstoß erregen, aber wen kümmerts?

Sicher, es macht Arbeit, wenn man sich auf die von Knopf angespielten Themen einlässt. Und die Spuren der vergangenen Debatten sind der Biografie Knopfs merklich eingeschrieben. Erneut, Brecht und Stalin, aber auch die Frage nach den angeblichen oder tatsächlichen Marx-Lektüren Brechts, seine verfänglichen Freunde vor 1933 (Bronnen etwa oder Schlichter, sein Kontakt mit Ernst von Salomon), Brecht und die Frauen natürlich – ein Thema, das seit Jahren immer wieder hochkocht (wenigstens putzen, kochen und spülen hätte er frühzeitig lernen sollen). Wer will, kann sich weiteres Futter aus dem gleichfalls 2012 publizierten Briefwechsel zwischen Brecht und Helene Weigel holen.

Aber sich gegen Tendenzen in der Wissenschaft stellen zu wollen, ist wohl vor allem überheblich. Eine Überheblichkeit, die Knopf nicht fremd sein dürfte, denn seine Brecht-Biografie zeigt alle Zeichen eines wohl vergeblichen Kampfes um die Lufthoheit in Sachen Brecht.

Die Diskussionen um die etwa im „Spiegel“ gefeierte Edition der Brecht-Notizbücher, in die sich Knopf selbstverständlich einmischte, zeigt das. Aber, hübsch und nützlich sind die Faksimiles ja, und dass die neuen Herausgeber aus dem Umkreis der Heidelberger Editoren Roland Reuß und Peter Staengle stammen, ist Last genug.

Auch Unerfahrenheit ist kein Grund, sich einem solchen Projekt nicht zu widmen, eine solche Chance würde jeder Germanist ergreifen. Allerdings, mangelnde Fairness sollte auch einem jüngeren Editor fremd sein. Die Auseinandersetzungen zwischen Knopf und den Neulingen um das Gelände im Brecht-Editorenland werden jedenfalls harsch bis brüsk geführt, mit der gebotenen Unfairness und Ignoranz. Die Auswirkungen scheint eben auch Knopf zu spüren. Seine Brecht-Biografie ist eben nicht bei Suhrkamp erschienen, wo man sie vermuten würde, sondern im Hanser Verlag. Suhrkamp und Brecht, das scheint nunmehr eine Geschichte zu sein, die ohne Knopf weiter geschrieben wird. Darein wird man sich nicht mischen wollen, aber bedauerlich ist das dann doch.

Titelbild

Jan Knopf: Bertolt Brecht - Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
559 Seiten, 27,90 EUR.
ISBN-13: 9783446240018

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