Doderers Laster

Gerald Sommer hat eine posthume Sammlung von Aufsätzen Wendelin Schmidt-Denglers herausgegeben

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heimito von Doderer gilt vielen als Paradebeispiel eines heimatverbundenen Dichters. Seine Wien-Romane wie „Die Dämonen“ oder „Die Strudlhofstiege“ avancierten zu literarischen Baedekern, Literaturhistorikern erscheinen sie als restaurativer Gegenpol zu den Avantgardisten der Wiener Gruppe. Wendelin Schmidt-Dengler hat dagegen zeitlebens für einen differenzierteren Blick auf Doderers Werk geworben; überhaupt waren WSD, wie seine Schüler ihn nannten, „die Laster Doderers lieber als die Tugenden seiner Kritiker“.

Nach seiner Emeritierung wollte der legendäre österreichische Germanist ein Resümee seiner Doderer-Studien vorlegen, die sich über mehr als vier Jahrzehnte erstreckten; der unerwartete Tod WSDs 2008 verhinderte das. Gerald Sommer hat nun eine kluge Auswahl aus den etwa 100 einschlägigen Publikationen Schmidt-Denglers zusammengestellt. Mit ihrer Neugier für die ästhetischen Krisen Doderers, an denen sich seine raffinierten Romankompositionen entzündeten, belegen die Beiträge eindringlich, wie spannend eine textnahe Literaturwissenschaft sein kann. Sie enthalten einführende Darstellungen ebenso wie Spezialuntersuchungen, etwa über Doderers Rilke-Rezeption, und plädieren dafür, Doderers Vorzüge in der Schaffung „scharf konturierter Wirklichkeitsausschnitte“ zu sehen – und nicht etwa darin, eine erzählerische Totalität zu erschaffen, wie der Romancier selbst von sich glaubte: „Doderers Stärke lag […] in der Evokation der Objektwelt – ob es sich um messingene Wasserhähne, um die sommerliche Stille in einem Hochwald oder um ein Bauwerk wie die Strudlhofstiege handelt.“

Titelbild

Gerald Sommer (Hg.) / Wendelin Schmidt-Dengler: Jederzeit besuchsfähig. Über Heimito von Doderer.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
322 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783406638527

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