Alles Gute kommt aus dem Internet

Ein Vergleich von Netz- und Print-Literatur, hinsichtlich ihrer Qualität und Popularität

Von Michelle MeinhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michelle Meinhardt

Wird auf dem Buchmarkt etwas kostenlos angeboten und an die Allgemeinheit verschenkt, werden die Menschen misstrauisch. Sie sind es gewohnt, für ihre Freizeitlektüre etwas zu bezahlen. Die Erfindung der E-Books hat die Preise von Büchern enorm gedrückt, durch sie erhält man die elektronische Variante eines gedruckten Werks für den Bruchteil des ursprünglichen Preises. Die Verkaufszahlen steigen aber nicht nach dem Prinzip, dass sich das günstigste Buch am besten verkauft, sondern vielmehr mit dem Bekanntheitsgrad des Autors, seines Werks und dessen Bewertungen durch Kritiker und die literarische Öffentlichkeit.

Bei der Netzliteratur stößt man gerade hier auf ein Problem. Aufgrund der weitverbreiteten Erwartung, dass das Internet alle Informationen frei und für jedermann zur Verfügung stellen solle, fällt der ökonomische Markt fast komplett weg. Viele Leute sind nicht bereit, für die Literatur im Internet zu zahlen – wie auch die Verlage nicht bereit sind, Netzprojekte zu finanzieren. Plagiate von Netzliteratur können technisch gesehen jederzeit erstellt werden, indem beispielsweise durch das einfache Copy- und Paste-Verfahren ganze Passagen übernommen und in einen fremden Text eingebaut werden, auch wenn dieses Verfahren juristisch gesehen nicht vertretbar ist. Die Debatte zum Urheberrecht im Internet wird derzeit bekanntlich erbittert geführt.

Ein weiteres Problem stellt die Unbekanntheit der Werke dar, weil die Texte im Netz zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Auf dem herkömmlichen Buchmarkt werden die Werke meist durch Rezensionen und aufwendige Werbekampagnen bekannt gemacht. Die Leser müssen somit nur noch aus dem Pool der vorsortierten Werke wählen.

Durch die vielfältigen Angebote im Internet jedoch und die dort fehlende Auswahl, werden viele Leser schon vorab abgeschreckt. Die Literaturkritiker haben zudem bis dato noch keine festen Bewertungskriterien für Netzliteratur aufgestellt, da ihnen aufgrund der neuen Möglichkeiten der Gestaltung des Textes, durch Hyperlinks und multimediale Inhalte das Urteil erschwert wird. Die Erweiterung des Textes ist als Experiment anzusehen, mit ihr bietet die Netzliteratur neue Gestaltungsmöglichkeiten – etwas, dass die Print-Literatur nicht bieten kann.

Ein weiteres Problem ist, dass bei sogenannten Mitschreibeprojekten meist kein definiertes Ende vorhanden ist. Diese Projekte können daher nicht in ihrer Gesamtheit bewertet werden. Es geht hierbei aber auch weniger um das Endprodukt als um den Entstehungsprozess. Die Autoren schätzen die Kommunikation untereinander und die Kritiken, die sie durch Kommentare voneinander erhalten. Das Konzept ist ein gänzlich anderes als das im herkömmlichen Literaturbetrieb, bei welchem es ausschließlich um das fertige Produkt geht. Stellt man nun einen direkten Vergleich zwischen der herkömmlichen Print- und der Netzliteratur an, fällt letztere deutlich ab: Bei Kritikern gilt sie zumeist als Experimentiermöglichkeit für Laien und Hobbyschriftsteller.

Professionelle Autoren nutzen das Internet zwar zur Vermarktung ihrer Werke und zur Selbstinszenierung, halten sich allerdings mit eigenen Publikationen zurück, da sie diese selbst finanzieren müssten und ihnen keine oder kaum Einnahmen durch die Veröffentlichung zukommen würden.

Ein Beispiel dafür ist die bekannte Netzliteratin Susanne Berkenheger, die mit ihren Netzprojekten zwar Literaturwettbewerbe gewonnen und deutschlandweit einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat, davon jedoch trotzdem nicht leben konnte. Auch mit steigender Repräsentanz in der Öffentlichkeit ist ein Anstieg beziehungsweise eine Förderung oder Finanzierung keineswegs garantiert.

Ein weiteres Problem ist das Ausbleiben des Lektorats. Zumindest die Texte nicht-professioneller Autoren sind oft voller Orthografie- und Interpunktionsfehler. Konträr zum gedruckten Buch, für welches meist nur ein, manchmal auch zwei Autoren verantwortlich sind, ist bei einem Großteil der Literatur im Netz, beispielsweise bei Mitschreibeprojekten, das Endprodukt Ergebnis kollaborativer Arbeit mehrerer Autoren. Entsprechend sehen die Texte dann auch aus.

Sollte ein einzelner sein Projekt ins Netz stellen, gleicht dieses häufig eher einem Kunstwerk als einem literarischen Werk, der Autor eher einem Produzenten, welcher durch die Vermischung von Audio-, Bild- und Textdateien etwas Hybrides geschaffen hat. Der Autor Alban Nikolai Herbst zum Beispiel unterhält ein Blog, auf welchem er regelmäßig seine Gedanken und Erlebnisse schildert. Bereichert wird der Text durch Einschübe wie Links zu Musikvideos, Fotos seiner Person und Links zu anderen seiner Texte, welche sich auf das Thema beziehen beziehungsweise daran anschließen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die herkömmliche Literatur im Literaturbetrieb noch immer beliebter ist als die Literatur im Netz. Die Rezipienten vertrauen bei der Wahl von Literatur weiterhin gerne auf die Meinung von Experten. Die ,traditionellen‘ Texte werden denen experimenteller Natur vorgezogen. Die meisten Menschen geben nach wie vor lieber Geld für ihre Lektüre aus und vertrauen darauf, ein fehlerfreies, qualitativ hochwertiges Buch gekauft zu haben, ohne das Risiko einzugehen, ein zwar kostenloses, aber dafür schlechtes Werk zu lesen. Bei der Netzliteratur von Laien und Hobbyschriftstellern kann dies in der Tat schnell passieren.

Nimmt man dagegen die Netzprojekte professioneller Autoren wie die Berkenhegers oder Herbsts, ist die Literatur qualitativ wertvoller und zumeist anspruchsvoller, ihre Methoden, den Text zu gestalten, sind neu und gewöhnungsbedürftig aber keineswegs schlecht. Um im Internet lesenswerte Lektüre zu finden, braucht man viel Geduld. Mit etwas Glück jedoch stößt man letztendlich auf ein Projekt, welches nicht nur literarisch überzeugt, sondern auch hinsichtlich der multimedialen Inhalte den Leser nicht abschreckt, sondern zu dem Erfolg des jeweiligen Werks beiträgt.

Literaturhinweise:

Anz, Thomas: Theorien und Analysen zur Literaturkritik und zur Wertung. In: Literaturkritik. Geschichte – Theorie – Praxis. Hrsg. von Thomas Anz und Rainer Baasner. 4.Auflage. München: C. H. Beck 2007. S. 194-219.

Boesken, Gesine: Literarisches Handeln im Internet. Schreib- und Leseräume auf

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Hartling, Florian: Der digitale Autor. Autorschaft im Zeitalter des Internets. Bielefeld:transcript Verlag 2009.

Keuschnigg, Marc: Das Bestseller-Phänomen: Die Entstehung von Nachfragekonzentration im Buchmarkt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012.

Simanowski, Roberto: Interactive Fitcion und Software-Narration. Begriff und Bewertung digitaler Literatur. In: Literatur. Computer-Literatur-Internet. Hrsg. von Hansgeorg Schmidt-Bergmann und Torsten Liesegang. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2001. S. 117-141.