Planetarisches aus der Provinz

Ein Konstanzer Tagungsband nimmt den mittleren und späten Ernst Jünger in den Blick

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Jahrhundertleben hat Ernst Jünger als hochdekorierter Soldat, literarischer Autor und politischer Denker zur repräsentativen Figur in allen deutschen Staaten des 20. Jahrhunderts werden lassen. Als junger Kriegsheld, der noch kurz vor dem Ende des Kaiserreichs dessen höchste militärische Auszeichnung, den Pour le Mérite, empfing, die Weimarer Republik publizistisch beständig von rechts außen befehdete, das „Dritte Reich“ in „innerer Emigration“ und beobachtendem Kriegsdienst vorbeigehen ließ und schließlich in der Bundesrepublik zum Idealtypus einer elitären konservativen Intelligenz und zum Säulenheiligen der Neuen Rechten wurde.

Doch gerade diese zweite Lebens- und Werkphase liege „in vielerlei Hinsicht im Dunklen“, wie die beiden Herausgeber in der für einen Tagungsband außergewöhnlich lesenswerten Einleitung schreiben, die Forschungs- und Werkgeschichte eng aufeinander bezogen rekapituliert. Der „idiosynkratischen Selbststilisierung als Solitär“ und seinen Themen nach 1945 versuchen sie dadurch näher zu kommen, dass sie gegenüber der gängigen Forschungsmeinung von einer umfassenden „Wandlung“ Jüngers eher Kontinuitäten und Diskontinuitäten einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen vorschlagen und damit das „Beschreibungsinstrumentarium für eine Werkkonstellation erproben“ wollen. Stöckmann sieht in seinem grundlegenden Beitrag diese Konstellation vor allem darin begründet, dass „Jüngers Werk von Beginn an ein Spätwerk [ist]“, da es stilistisch wie semiotisch nur wenig starke Brüche gebe, die die unterscheidende Feststellung einer späten Werkphase rechtfertigen würden.

Die vierzehn Beiträge decken insgesamin ein weites Feld von thematisch eher breit angelegten Überblicken (etwa allgemein zu jener Diskussion des „Spätwerks“ oder den „Entwicklungen und Stationen im Streit um Jünger“) bis zu Einzeltextanalysen, die unter den drei Kategorien Politik, Ästhetik und Zeitgeschichte subsumiert sind.

Dabei sind es die klassischen Themen, die zeitgleich zur poststrukturalistischen Verunsicherung für Jünger zentrale Kategorien wie Werk, Mythos, Autor und Autorschaft, Zeichen, Sinn und (Be-)Deutung auch die theoretische Beschäftigung mit Jünger bestimmen.

Diskursive Gegenpositionen, die daran arbeiten, das Bild des abgewandten und „metapolitischen“ Jünger zu prägen: Das Konzept des „Waldgangs“, Erzählungen wie „Besuch auf Godenholm“ oder seine ins „planetarische“ zielende Essayistik haben ihren gemeinsamen Kern darin, dass sie vom Alltäglich-Gegenwärtigen abzielen und alternative „Haltungen“ erproben. Gerade diese Haltungen sind Gegenstand der „esoterischen Kommunikation“, wie es bei Gregor Streim heißt, die sich unmittelbar nur an bestimmte Personen oder Kreise richtet, und so Abseitigkeit und Exklusivität eine inszenatorische Qualität hinzufügt, aus der Jünger als besonderes Aufmerksamkeits- und Wirkungsphänomen einen Teil seines symbolischen Kapitals bezieht.

Vergleiche und Engführungen zeigen zugleich wiederholt, dass Jünger in dieser Haltung durchaus mit anderen konservativen Autoren übereinstimmt, während die Beziehung zu Paul Celan die Ferne des Jünger’schen Denkens von der realhistorischen Nachkriegssituation, ihrer Einschätzung und daraus gezogener Schlüsse deutlich werden lässt.

Gerade in dieser Rundumperspektivierung wird immer wieder deutlich, dass Jünger mit seiner „scientia colligendi des Abseitigen und Esoterischen“ sein Werk durch die weitreichende Anschlussfähigkeit für eine weite Leserschaft anziehend macht. Die Rezeptionsbeispiele Jüngers in der „enzyklopädischen Literatur“ sind nur einige sehr konkrete Fälle, in denen er als Figur und Symbol Eingang in die (Semi-)Fiktion anderer Autoren gefunden hat.

In dieser Andeutung der Rezeptionslinien, die von Jünger ausgehen und denen seit 1945 vielleicht eine ähnliche, wenn nicht sogar höher einzuschätzende Relevanz zukommt, zeigt sich auch, was fehlt: Die Person Jünger als ,positives‘ Politikum, der eben nicht nur als Feindbild unterschiedlicher Kritik mediale Öffentlichkeit gewann, sondern auch – und weit nachhaltiger – als die Hauptbezugsgröße der Neuen Rechten und ihrer Organe, die Jünger beständig präsent und als politisch äußerst einflussreichen Denker lebendig halten.

Insofern erscheint gerade die Diskussion Daniel Morats, ob es sich bei Jünger um einen politischen Autor handelt, der Sache unangemessen hoch angesetzt. Wenn sie von Max Webers Definitionen ausgehend allein den Wirkungswillen zum politischen Element ernennt und darüber verkennt, dass bei einem derart engen Politik-Begriff große Bereiche des öffentlichen Lebens, der medialen Präsenz und vor allem der literarischen Sendung als unpolitisch aufzufassen sind – was sie jedoch niemals und am allerwenigsten im Fall einer politisch hoch aufgeladenen Diskursgröße wie Ernst Jünger sein können. Denn gerade dort, wo sich Jüngers Denken „planetarisch“ auszurichten beginnt und vom Konkreten abzuheben versucht, wird dieser Versuch dadurch unterlaufen, dass Jünger für die Rettungs- und Rekonstruktionsversuche national(istisch)er Identitäten im Anschluss an Armin Mohlers erfolgreiche Installation einer „Konservativen Revolution“ zur maßgebenden Bezugsgröße wird.

Das letzte Wort zum späte(re)n Jünger ist auch mit diesem Band sicherlich noch nicht gesagt, er bietet jedoch eine äußerst fundierte Basis für weitere Kontextualisierungen und Untersuchungen zum „Waldgänger“ und „planetarischen“ Denker.

Titelbild

Matthias Schöning / Ingo Stöckmann (Hg.): Ernst Jünger und die Bundesrepublik. Ästhetik - Politik - Zeitgeschichte.
De Gruyter, Berlin 2012.
338 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110237832

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