Im dunklen Verlies

Cordia Baumann untersucht Mythen im Kontext der RAF

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem die überlebenden Mitglieder der RAF im März 1998 das „Projekt“ der Stadtguerilla in der Bundesrepublik Deutschland „in Form der RAF“ für beendet erklärt und der Geschichte überantwortet hatten, wurde die selbst erklärte „politische Avantgarde-Organisation“ zum vielfach sezierten Objekt einer akademischen Begierde. Ein typisches Produkt der gegenwärtigen Wissenschaftsindustrie ist Cordia Baumanns umfangreiche Studie zum „Mythos RAF“, die als Dissertation an Universität Heidelberg entstand und nun im Rahmen der „Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart“ erschienen ist, die sich als „Forum moderner Geschichtswissenschaft und methodischer Innovationen“ versteht.

Gegenstand der Studie ist die Herausbildung von „Mythen“ über die RAF in politischen und kulturellen Diskursen seit den frühen 1970er-Jahren in Form von „Personenmythen“ über die zentralen Figuren Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader, dem „Mythos Stammheim“ als Versuch der Narration über die Kommunikation zwischen den Inhaftierten der ersten RAF-Generation und ihrer subversiv agierenden Nachhut und schließlich dem „Dämonisierungsmythos“, wobei zunehmend die staatliche Deutungshoheit Oberhand gewinnt. Mithilfe dieser Strukturierungsmerkmale versucht sich Baumann sowohl den historischen Realitäten als auch den Repräsentationen der RAF in Romanen und Filmen seit Mitte der 1970er-Jahre zu nähern, wobei sie jedoch einem standardisierten Schema folgt: Zu einem „Mythem“ werden stakkatohaft Roman- und Filmbeispiele erörtert, um anschließend starre Sequenzen aus Rezensionszitaten zu erstellen. Kein Werk wird grundlegend analysiert, sondern in Partikel aufgelöst, die in modularen Abhandlungen checklistengleich durchgehechelt werden. So ist eine imaginationslose Fleißarbeit entstanden, die vor allem eine ausgeprägte politische Indifferenz zur Schau stellt und außer 1967 Fußnoten und einer detaillierten Bibliografie wenig zu bieten hat. Anstatt die Stoffmasse zu durchdringen und beispielsweise die Ästhetisierung der Gewalt in Filmen wie „Bonnie and Clyde“, „Viva Maria“ oder „Die Schlacht von Algier“, die für den Gewaltdiskurs in den späten 1960er-Jahren eine prägende Rolle spielten, im Kontext einer „Kultur der Gewalt“ kritisch zu reflektieren (wie es beispielsweise Todd Gitlin in seiner bahnbrechenden Studie „The Whole World is Watching“ aus dem Jahre 1980 tat) oder die kulturindustriellen Produktionsverhältnisse in die Betrachtung der Medienprodukte einzubeziehen, verfolgt Baumann offenbar nur das Interesse, Zeugnis von ihrem ausgedehnten Quellenstudium abzulegen. In der manischen Aneinanderreihung von Zitat an Zitat verwechselt sie aber nicht nur Michael Schneider mit seinem älteren Bruder Peter, sondern verliert in einer überbordenden Geschwätzigkeit und frappierenden sprachlichen Anspruchslosigkeit das historische Erkenntnisinteresse aus den Augen. Jede geschichtliche und kulturelle Regung wird in Baumanns Textkonvolut zum depolitisierten Mythos und verschwindet in buchhalterischer Nichtigkeit.

So ist diese Studie vor allem ein typisches Produkt des gegenwärtigen akademisch-industriellen Komplexes, aber keinesfalls ein anständiger gearbeiteter Text im Sinne Theodor W. Adornos: „Die Stichhaltigkeit einer Konzeption lässt sich danach beurteilen, ob sie die Zitate herbeizitiert“, schrieb er in „Minima Moralia“. „Wo der Gedanke eine Zelle der Wirklichkeit aufgeschlossen hat, muß er ohne Gewalttat des Subjekts in die nächste Kammer dringen.“ Baumanns Text stellt dagegen nichts als ein dunkles Verlies dar, wo der Leser so elend verendet wie Injun Joe in der Höhle. Obgleich sich Baumann auf über fünfzig Seiten über Methode und den theoretischen Hintergrund ihrer Studie auslässt, bleibt mysteriös, worin die Innovation dieser „modernen Geschichtswissenschaft“ bestehen soll. C. Wright Mills wies in seinen Ausführungen zum intellektuellen Handwerk (das von den Virtuosen der Textverarbeitung im gegenwärtigen akademischen Betrieb verachtet wird) darauf hin, dass es Bücher gebe, die sich auf die Aneinanderreihung von Gegenständen reduzierten, umgeben von methodologischen Einführungen zur Methodologie und theoretischen Einführungen zur Theorie. Diese seien für Menschen ohne Ideen unverzichtbar für das Schreiben von Büchern wie auch der Mangel an Verständlichkeit. Solche geist- und fantasielosen Produkte, die eher den Charakter von Anti-Büchern besitzen, treiben letztlich die Lust am Lesen aus.

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Cordia Baumann: Mythos RAF. Literarische und filmische Mythentradierung von Bölls "Katharina Blum" bis zum "Baader Meinhof Komplex".
Schöningh Verlag, Paderborn 2012.
514 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783506773784

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