Die Verbindung von Heilem und Heilungsbedürftigem

Arnold Stadlers tiefgründiger Essay zu einer Arbeit von Margaret Marquardt

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das christliche Kreuz wird oftmals zu einem Stein des Anstoßes. Nicht erst in unseren Tagen, als man mancherorts meinte, das Kreuz aus Klassenzimmern entfernen zu müssen. Nein, das „Skandalon“ ist von Anfang an im Kreuz angelegt. Nicht umsonst spricht schon der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther davon. Wenn dieses „empörende Ärgernis“ oder die „Torheit“, die der „Kreuzestheologe Nummer eins“ thematisiert, Gegenstand von Kunst wird, gerät diese häufig genug selbst zum Skandal. Caspar David Friedrichs „Kreuz im Gebirge“ im 19. Jahrhundert oder der missverstandene Essay über ein Guido-Reni-Bild des Islamwissenschaftlers und Schriftstellers Navid Kermani in unseren Tagen sind nur zwei – unterschiedlich gelagerte – Beispiele dieser Tatsache.

Kein „Stein des Anstoßes“ dagegen war die ebenso einfache wie eindrucksvolle Installation eines mit weißem Verbandsmaterial verhüllten Kreuzes in der evangelischen Stadtkirche in Tuttlingen, der Stadt von Hebels „Kannitverstan“. Wesentlicher Bestandteil der Installation unter dem Titel „ver bund en“ der Schweizer Grafikerin und Malerin Margaret Marquardt im Herbst 2011 war ein roter Lichtstrahl, der von der Kirchendecke bis zum Boden reichte.

Der vielfach ausgezeichnete Raster Schriftsteller Arnold Stadler hat nun zu dieser Arbeit Marquardts (Jahrgang 1953) einen kongenialen Essay vorgelegt. Und weit mehr noch als Stadlers letzter Essay über den oberschwäbischen Maler Jakob Bräckle oder die früheren über Johann Peter Hebel oder Adalbert Stifter ist der mit Fotografien der Installation versehene Text als große „Vergegenwärtigung“ angelegt: „Selig der Mensch, dessen Schmerz zur Sprache wird, zu einem Lied oder einem Bild. Und in dieser Arbeit an diesem Kreuz wurde er mir gezeigt.“

Stadler sieht in Marquardts verhüllt-verbundenem Kreuz den „Hoffnungsschmerz“ auch als Aufweis der „Menschenebenbildlichkeit Gottes“. Gerade das Verhüllen mache offenbar, „wie sehr der Mensch und vielleicht auch der Christ durch die Macht der Seh-Gewohnheit die Heilkraft übersehen hat, die vom Kreuz ausgeht“. Wesentlich ist dabei der Oben und Unten verbindende Lichtstrahl. Denn dieser „Heilsstrahl sagt: Da steht ein großes ‚Ja‘ vor mir.“

Arnold Stadlers Essay ist eine großartige Danksagung für die Marquardt’sche Ausstellung des Kreuzes und seiner Botschaft: „Der Mensch ist getröstet und geheilt, ja erlöst. War es. Wenigstens, solange er dies hier sehen konnte“. Das gilt auch für Stadlers großes „JA“. Sein „Kannverstan“, seine entbergende Um-Schreibung von „Heilem und Heilungsbedürftigem“, sein Erbarmen mit den offengelegten „Wunden und Verwundungen“, seine Ver-Bindung von Glaube und Poesie ist zum Niederknien schön!

Titelbild

Arnold Stadler: Da steht ein großes JA vor mir. Zu einer Arbeit von Margaret Marquardt.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2013.
104 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270394

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