Cave Richard Wagner!

Zu dieser Ausgabe – Gottfried Wagners Buch „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – ein Minenfeld“ liefert wichtige Stichworte zum 200. Geburtstag des umstrittenen Komponisten

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Warum nicht offen über Richard Wagner reden?“ Mit dieser Frage überschreibt Gottfried Wagner das erste Kapitel seines Buchs über den eigenen Urahnen Richard Wagner. Es ist wohl die kritischste Publikation, die dieses Jahr über jenen Komponisten erschienen ist, dessen 200. Geburtstag vom Feuilleton bereits seit Monaten mit bemerkenswerter Aufmerksamkeit bedacht wird. Auch Gottfried Wagner ist das aufgefallen, der in seinem Buch verschiedentlich aktuelle Interviews oder Artikel über Richard Wagner zitiert, um deren offensichtlicher Verlogenheit mit aufgekrempelten Ärmeln zu Leibe zu rücken.

Immer wieder wird dabei die fraglose Faszination von Wagners Musik zum Thema, von der sich jeder vergewissern kann, der auch nur die eine oder andere Ouvertüre seiner Opern anhört. Wenn zum Beispiel Herbert von Karajan Wagners „Parsifal“ dirigiert und man es ausnahmsweise einmal schafft, dabei nicht an Adolf Hitler zu denken, kann einen diese Musik gewiss gehörig auf den Trip schicken. Ähnlich verhält es sich mit der Ouvertüre des „Tannhäuser“, in dem hier verlinkten Fall dirigiert von Claudio Abbado, oder, vielleicht sogar die härteste Nuss überhaupt, bei „Tristan und Isolde“ (Dirigent: Christian Thielemann).

Auch Marcel Reich-Ranicki hat „Tristan und Isolde“ bei aller Kritik an Wagners Antisemitismus als musikalischen „Joker“ des Komponisten bezeichnet. Nachzulesen ist diese Einschätzung in einer persönlichen Erinnerung an seine eigene Wagner-Rezeption, die in dieser Ausgabe von literaturkritik.de nachzulesen ist und in der er zudem davon erzählt, was Hanns Eisler und Karlheinz Stockhausen von „Tristan und Isolde“ hielten, als er sie einmal danach fragte.

Keine Frage: Wagners Musik ist eine Droge, der man sich nur schwer entziehen kann, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. So äußert der Dirigent Simon Rattle in einem Gespräch, das er für die „Zeit“ mit seinem Kollegen Andris Nelson führte und das bereits im Januar 2013 erschien: „Es ist schon wahr: Man hat es hier mit Plutonium zu tun, und es wäre gut, dicke Handschuhe zu tragen. Aber da es das herrlichste Plutonium der Welt ist, wünscht man sich eben doch den direkten Kontakt und zieht alle Handschuhe aus.“

Auf die Gefährlichkeit dieses einmaligen Rausches angesprochen, antwortet Rattle: „Die Gefahr ist bekannt und hat ihre Spuren insbesondere in der deutschen Geschichte hinterlassen. Mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen.“ Dazu schreibt nun Gottfried Wagner in seinem erwähnten Buch: „Man will sich nicht der Frage stellen, welche Lehren aus dem Fall Wagner zu ziehen sind. Stattdessen redet man sich die Dinge schön: Auf der einen Seite der Machtmensch Wagner mit seiner fragwürdigen Weltanschauung, auf der anderen der göttliche Opernkomponist.“ Das eine solle mit dem anderen nichts zu tun haben: „Die schmerzlichen Fragen zur Rolle von Wagners Musik im NS-Staat und zum Zusammenhang von Wagners Rassenantisemitismus und Auschwitz werden verdrängt.“

Der gebildete Opernfan wisse, welchen „Sprengstoff Wagner in sich birgt“, sage es jedoch „lieber nicht laut“, stellt der Kritiker fest, um einmal mehr Simon Rattle zu zitieren: „Je mehr ich über Richard Wagner lese, desto schwerer fällt es mir, seine Musik aufzuführen.“ Dies heiße aber eben auch: Je mehr man über Wagner wisse und je mehr man den Mut habe, sich ein eigenes Bild zu machen, desto mehr nehme „Wagners trübe Weltanschauung in seinen Opernklangwelten Kontur an“, schlussfolgert Gottfried Wagner. „Richard Wagner und der internationale Kult um ihn bleiben eine tickende Bombe. Cave Richard Wagner!

Die Redaktion von literaturkritik.de hat sich deshalb jedoch nicht bange machen lassen, extra dicke Handschuhe angezogen und das heiße Eisen furchtlos angepackt: Pünktlich zum 200. Geburtstag am 22. Mai liefern wir Ihnen eine Vielzahl kritischer Essays und Aufsätze sowie Rezensionen zu den wichtigsten Wagner-Publikationen dieses Jahres. Sagen Sie hinterher aber bitte nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt und Sie nicht über alle möglichen Risiken und Nebenwirkungen informiert!

Herzliche Grüße
Ihr Gustav-Mahler-Fan
Jan Süselbeck

Titelbild

Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner - Ein Minenfeld.
Propyläen Verlag, Berlin 2013.
300 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783549074411

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