Indianer-Häuptlinge in Walhall

Ein Mythos wird kostümiert

Von Joachim HeinzleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Heinzle

Am 17. Dezember 1874 schreibt Richard Wagner einen Brief an den Professor Carl Emil Doepler in Berlin.[1] Er fragt an, ob der Empfänger „Neigung dazu haben“ würde, „für die im Sommer 1876 von mir beabsichtigten Festaufführungen meines viertheiligen Bühnenfestspieles „Der Ring des Nibelungen“ die Entwerfung der Costüme, sowie die Ueberwachung der Ausführung derselben zu übernehmen.“

Doepler (1824-1905) war ein bekannter Mann, eine erste Adresse auf dem Feld der Kostümbildnerei. Er hatte an den Akademien in Dresden und München studiert, war 1860 bis 1870 in Weimar als Kostümzeichner am Theater und Lehrer für Kostümkunde an der Kunstschule tätig gewesen und lehrte seitdem in Berlin.[2] Wagner legt dem Brief zur „vorläufigen Orientirung ein Exemplar der dramatischen Dichtung“ sowie „einige auf deren Ausführung bezügliche Brochüren“ bei und erläutert sehr genau seine Vorstellungen. Er verlange „nicht weniger“, führt er aus, „als ein in einzelnen Figuren aufgeführtes charakteristisches Gemälde, welches mit zutreffender Lebhaftigkeit persönliche Vorgänge aus einer, jeder Erfahrung, oder Anknüpfung an eine Erfahrung, fernliegenden Kultur-Epoche uns vorführen soll.“ Und er fügt sogleich hinzu, was er keinesfalls wünscht: „Sie werden alsbald finden, daß das Bild, welches sich nach dem Vorgang von Cornelius, Schnorr u. a. für die Darstellung der Figuren des mittelalterlichen Nibelungen-Liedes, zur Geltung zu bringen versucht hat, hier gänzlich außer Acht gelassen werden muß.“

Was Wagner wünschte, war in der Tat nichts Geringes: Doepler sollte eine neue Nibelungen-Ikonografie erfinden, die radikal mit der Konvention brach, die sich seit dem frühen 19. Jahrhundert für Darstellungen aus dem Stoffkreis der Sage eingebürgert hatte. Die beiden Künstler, die Wagner nennt: Peter Cornelius und Julius Schnorr von Carolsfeld waren an der Entwicklung und Popularisierung dieser Konvention wesentlich beteiligt.

Herrlichkeit der alten Zeit

Die Nibelungensage, wie sie im „Nibelungenlied“ und in altnordischen Texten überliefert ist, war in der Zeit der napoleonischen Besetzung Deutschlands (seit 1806) und der sogenannten Freiheitskriege (1813-1815) zum deutschen National-Mythos geworden, auf den man sich bezog, wenn es galt, die eigene nationale Identität zu behaupten, die Ereignisse des Tages zu verstehen und politisches wie militärisches Handeln zu legitimieren.[3] Die Grundlage dieses Mythos bildeten Ausgaben, Übersetzungen, Bearbeitungen und dichterische Adaptationen vor allem des „Nibelungenliedes“, das als Nationalepos der Deutschen gefeiert wurde. Eine spezifische Nibelungen-Ikonografie gab es zunächst nicht. Die Gemälde und Zeichnungen zu nibelungischen Themen, die der geniale Maler und Dichter Johann Heinrich Füssli (1741-1825) seit 1798 geschaffen hatte, blieben in Deutschland so gut wie unbekannt und hätten mit ihrem aparten antikisierenden Stil auch keine Tradition begründen können.[4] Das gelang erst dem Düsseldorfer Maler Peter Cornelius (1783-1867).

Der hatte zwischen 1812 und 1817 in Rom einen Zyklus von Zeichnungen mit Szenen aus dem ersten Teil des „Nibelungenliedes“ angefertigt, von denen sechs in Form großformatiger Kupferstiche 1817 bei Reimer in Berlin veröffentlicht wurden; 1821 kam noch ein Titelblatt dazu. Dem Nibelungen-Zyklus war, 1816 publiziert, ein entsprechender Zyklus zu Goethes „Faust“ vorausgegangen, an dem Cornelius seit 1809 gearbeitet hatte. Schon mit diesem Zyklus hatte Cornelius „einen Beitrag zu einer nationalen Erneuerung leisten“ wollen[5], und die Nibelungen-Blätter sollten ihn an vaterländischem Gehalt noch übertreffen: „Es soll“, schrieb er am 10. Januar 1812 an Friedrich Wenner in Frankfurt, den Verleger der „Faust“-Blätter, „es soll ein Werk werden, worin sich die ganze Herrlichkeit der alten Zeit, vorzüglich aber die unseres Vaterlandes spiegeln soll. Da ich diese Welt mehr kenne, als ich im Faust niederzulegen im Stande war, werden – da ich vor Eifer brenne, alles was nur in meinen Kräften steht, beizutragen, daß sich unsre Bildung wieder an die gediegene der alten Zeit anschließt, so werden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß dieses Werk den Faust in mancher Hinsicht übertreffen wird […]“.[6] Die Auswahl der Szenen und die Zeichnung der Figuren lassen erkennen, dass es Cornelius darum gegangen war, die damals vielstimmig beschworenen deutschen Nationaltugenden ins Bild zu setzen, die man in den Gestalten des „Nibelungenliedes“ prototypisch verkörpert sah: Innigkeit, Stärke, Treue.[7] Charakteristisch, von einer spezifischen pseudo-historischen Prägung, sind die Räume, in denen sich die Figuren bewegen, und die Gewänder, in die sie gekleidet sind: Die Architektur ist teils romanisch, teils (hoch-)gotisch; ein Innenraum mit schweren geschnitzten Möbeln, geschnitzter Wandtäfelung und Butzenscheibenfenster weist am ehesten ins 16. Jahrhundert; die Gewänder „sind aus Motiven zusammengesetzt, die auf Vorbilder des 14. bis 16. Jahrhunderts zurückgehen, wobei es bislang bezeichnender Weise nicht gelungen ist, bestimmte Vorlagen, die Cornelius benutzt haben könnte, nachzuweisen. Aus dieser Zeitspanne entstammen auch die Vorbilder für die Waffen und Rüstungen, wobei allerdings bei den Formen der Harnische und Helme die Spätzeit deutlich dominiert.“[8]

Für die Zeitgenossen war diese Welt, in die Cornelius schon Faust und Gretchen versetzt hatte, vaterländisch konnotiert: So dachte man sich das gute alte Deutschland, so stellte man sich die wackeren Altvorderen vor. Das betrifft zumal die Gewandung der Figuren. Sie zeigt typische Merkmale eines Kleiderstils, der als „Altdeutsche Tracht“ auch in der Realität eine Rolle spielte. Patrioten wie Friedrich Ludwig Jahn (der berühmte „Turnvater“) und Ernst Moritz Arndt hatten sich dafür eingesetzt, dass die Deutschen eine Nationaltracht haben sollten, die sie von den anderen Völkern, namentlich den Franzosen, unterschied.[9] Erstaunlicherweise ist diese Nationaltracht „in gewissen Kreisen deutsch-nationaler Patrioten, insbesondere der für die Einheit aller Studenten und die Einheit Deutschlands kämpfenden Burschenschaften“[10] tatsächlich getragen worden.

Cornelius hat mit seinem Zyklus Schule gemacht. Kaum einer der Maler und Zeichner, die sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt haben, konnte sich seinem Vorbild entziehen.[11] Das gilt nicht zuletzt für Schnorr von Carolsfeld, der in den Jahren 1831 bis 1867 eine Folge von Sälen im neu errichteten Königsbau der Münchner Residenz mit einem monumentalen Zyklus von Nibelungenfresken ausmalte. Schnorr war um historische Korrektheit bemüht und hat versucht, die Darstellungen in der Entstehungszeit des „Nibelungenliedes“ um 1200 anzusiedeln.[12] Umso auffälliger ist, dass er im Detail, vor allem in den Gewändern, gleichwohl der von Cornelius geprägten „altdeutschen“ Nibelungen-Ikonografie verpflichtet blieb. Es war diese Ikonografie, die Wagner für seinen „Ring des Nibelungen“ partout nicht haben wollte.

Kunstwerk der Zukunft

Wenn man Wagners Ablehnung verstehen will, muss man seine Theorie des Musikdramas kennen.[13] Sie beruht auf dem Gedanken, dass das „Kunstwerk der Zukunft“[14], als dessen Vorkämpfer er sich sah, die Aufgabe übernehmen sollte, die einst die altgriechische Tragödie erfüllt hatte. Sie bestand für Wagner darin, dem (wie er annahm) vom Volk geschaffenen Mythos seine vollendete Gestalt zu geben. Im Mythos – in den Erzählungen von Göttern und Heroen, vom Jenseits, von Schöpfung und Weltuntergang – habe sich das Volk die Welt erklärt, mit der es konfrontiert war. Seinem Gehalt nach ist der Mythos universal: „Das Unvergleichliche des Mythos ist, daß er jederzeit wahr, und sein Inhalt, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist.“[15]

Das heißt: Der Mythos beansprucht allgemein-menschliche und überzeitliche Geltung. Gleichwohl erscheint er, den unterschiedlichen „Lebensanschauungen“[16] der verschiedenen Völker und Zeiten entsprechend, in jeweils besonderer Gestalt. Wagner unterscheidet in diesem Sinn drei historische „Mythenkreise“: den antiken, den christlichen und den der „heimischen Sage der neueren europäischen, vor allem aber der deutschen Völker“[17]. Aus dem dritten Mythenkreis hat er die Stoffe seiner Werke vom „Tannhäuser“ bis zum „Parsifal“ bezogen, und er hat sie – darauf kommt es an – mit dem Anspruch gestaltet, ihren mythischen Kern, das Allgemein-Menschliche, freizulegen. Das erklärt, weshalb er sich von Doepler die Erfindung einer „jeder Erfahrung, oder Anknüpfung an eine Erfahrung, fernliegenden Kultur-Epoche“ gewünscht hat. Die herrschende „altdeutsche“ Nibelungen-Ikonografie wäre das Gegenteil gewesen: Sie hätte dem Publikum eine ihm denkbar nahe „Kultur-Epoche“ vorgeführt, deren historische Besonderheit der Präsentation des Allgemein-Menschlichen abträglich gewesen wäre.

Spieltrieb des Archäologen

Doepler hat den Auftrag angenommen. Der Verlauf seiner Arbeit an dem Projekt lässt sich anhand von Einträgen im Tagebuch Cosima Wagners verfolgen.[18] Es ist die Geschichte einer großen Enttäuschung. Am 1. Juli 1875 hatte man mit den Vorproben für die Festspiele im kommenden Jahr begonnen, bei denen das Festspielhaus in Bayreuth mit der ersten Aufführung der gesamten „Ring“-Tetralogie eröffnet werden sollte. Am 24. Juli findet die erste Dekorationsprobe statt: „herrlicher Anblick, prachtvoller Klang“, notiert Cosima, und: „Pr. Doepler mit den Kostüm-Skizzen“ (22.-29. Juli 1875). Die Skizzen haben offenbar gefallen. Als Wagner im März 1876 mit Cosima zur Aufführung des „Tristan“ nach Berlin reist, besichtigt man den Fortgang der Arbeit: „Wir fahren […] zu Doepler und sehen die schönen Kostüme für den ,Ring‘ an, sie sind wirklich sehr schön, mannigfaltig und einfach, eine ganze Kultur tritt einem da entgegen.“

Ganz zufrieden ist Cosima freilich nicht, sie vermerkt einen Vorbehalt, den Doepler bis zum traurigen Ende nicht wird ausräumen können: „mir wäre eine mehr mystische Andeutung angenehmer gewesen, alles plastisch zu Deutliche schadet für mich der Wirkung der Musik und der Tragödie, allein wenn es ein Mal plastisch hervortreten mußte, so konnte es nicht schöner, kunstsinniger gedacht werden“ (6. März 1876).

Zu den Proben reist Doepler dann nach Bayreuth, seine Entwürfe sind noch immer willkommen, er wird als Freund des Hauses behandelt: „plötzlich Freund Doepler mit Skizzen zu dem Walküren-Ritt, sehr schön. Gemütlicher Abend unter allerlei Gesprächen“ (30. April 1876). Ein paar Wochen später, als man im Zuge der Proben zur „Götterdämmerung“ die Entwürfe im Theater begutachtet, kommt die Ernüchterung. Die Figurinen missfallen jetzt sehr, Cosima lässt kein gutes Haar an ihnen: „Ich bin sehr betrübt über dieselben, der spielerische Trieb des Archäologen drückt sich darin aus, zum Schaden des Tragischen und Mythischen. Ich möchte alles viel einfacher, primitiver haben. So bleibt denn alles Simulakrum“ (13. Juli 1876).

Doepler kann nun gar nichts mehr recht machen: „Abends 3ter Akt von Walküre, herrlicher Eindruck“, aber: „die Bilder von den Walküren von Herrn Doepler noch nicht gut“ (19. Juli 1876). Es kommt zum offenen Streit: „Abends Kostüm-Probe, auf meine Bitte an Professor Doepler, Siegfried’s Gewand etwas weniger eng anschließend zu machen und die Frauen der Gutrune weniger bunt, wird der arme Mann so heftig und grob, daß ich erst daran inne werde, mit welchem Stümper man es hier zu tun hat!“ Schließlich das vernichtende Urteil: „Die Kostüme erinnern durchweg an Indianer-Häuptlinge und haben neben dem ethnographischen Unsinn noch den Stempel der Kleinen-Theater-Geschmacklosigkeit! Ich bin darüber trostlos und auch ein wenig erschrocken über die Art des Herrn Professors“ (28. Juli 1876). Der Ärger und die Enttäuschung halten an. Monate nach der Aufführung, am 23. Februar 1877, hält Cosima fest: Wagner „gibt mir recht, wie ich ihm sage, daß mit den Lappen von Doepler der ganze Zauber aus gewesen sei“.

Es ist offensichtlich, dass Doepler nicht verstanden hat, was Wagner von ihm wollte. Er verwandte die größte Mühe darauf, historisch korrekte Germanenkostüme auf die Bühne zu bringen, und betrieb zu diesem Zweck ausgedehnte archäologische Studien. Clara Steinitz berichtet im Begleittext zur Publikation der Figurinen von „mehr als fünfhundert Spezialzeichnungen für Waffen, Geräthe, Schmuck“, die Doepler „nach den in den Museen von Kopenhagen, Kiel, Mainz und Berlin vorhandenen Mustern“ angefertigt habe. Dass es dabei zu groben Anachronismen gekommen ist, war beim damaligen Stand der Archäologie nicht zu vermeiden. So trägt Brünnhilde „Handgelenksringe der älteren Eisenzeit und ein Halsgehänge mit Klappern, wie es in der älteren süddeutschen Eisenzeit Mode war. Als Diadem hat sie einen bronzezeitlichen Anhänger im Haar. Zum Kostüm der Gutrune gehören neben bronzezeitlichen Armbergen eine Scheibenfibel und ein Perlenkollier aus der Merowingerzeit.“[19]

Wie stolz Doepler auf die historisch-archäologische Fundierung der Entwürfe gewesen ist, wird noch in den Erläuterungen zu den einzelnen Kostümen spürbar. „Keiner der geflügelten Helme“, vermerkt Clara Steinitz zu den Walküren, „kein Schild, keine Brünne, kein Gürtel, kein Gewand und kein Schmuckstück gleicht dem andern und für jedes finden sich die Belege in den Nordlandsschätzen der Museen“. Und auch zu den Gewandmotiven in den Entwürfen für Gunthers Mannen wird ausdrücklich festgehalten, dass sie „sämtlich stilstrengen Mustern entlehnt sind. Selbst die Linienverschlingungen und Mäander der Ornamente sind nach Zeichnungen gehalten, wie altgermanische Gefässe sie aufweisen“. Doch eben dieser Historismus war es, mit dem Doepler die ihm gestellte Aufgabe verfehlt hatte, und der Cosima schließlich das böse Wort von den „Indianer-Häuptlingen“ und dem „ethnographischen Unsinn“ entlockte. Die Ikonografie der Bilderbuch-Germanen war dem Mythos als Ausdruck des Allgemein-Menschlichen, wie Wagner ihn auf die Bühne bringen wollte, genauso wenig angemessen wie die Ikonografie der Bilderbuch-Altdeutschen.

Dass Doeplers Entwürfe im Bayreuther Kreis bei aller Würdigung seines „ehrlichen Bemühens“ als „nicht geglückt“ galten, ist verständlich,[20] zumal die Gestaltung der Gewänder offenbar auch dem szenischen Effekt nicht günstig gewesen ist.[21] Das darf aber nicht den Blick für die Qualitäten der Arbeit trüben, von der die Figurinen, die in Zeichnung und Farbgebung allen Ansprüchen der damals hochentwickelten Historienmalerei genügen, eine eindrucksvolle Vorstellung vermitteln. Doeplers Erfindungsreichtum ist schier unerschöpflich. Clara Steinitz hebt mit Recht hervor, dass sich in den Ausstattungen „kein Schmuckstück, keine Waffe, kein Ornament wiederholt“. Formen, Farben und Materialien sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. Es gibt eine wohldurchdachte Farbsymbolik, die auf die musikalischen Form bezogen ist: „Wie in Wagners Musik das Leitmotiv, so durchzieht die blaue Farbe als Charakteristikum der Lichtalben und aller ihnen nahestehenden Figuren Doeplers Kostümentwürfe. Rot hingegen ist die Farbe der Gewalt und des Feuers.“[22] Vor allem aber ist es Doepler gelungen, aus der Fülle und Vielfalt der Darstellungselemente ein stilistisch einheitliches und höchst prägnantes Gesamtbild zu entwickeln, die Imagination einer idealen Germanenwelt, die – wie aus dem Kommentar von Clara Steinitz hervorgeht – als Welt der deutschen Frühzeit gedacht ist. Die Entwürfe sind nach Füsslis antikischen und Cornelius’ altdeutschen Nibelungen-Bildern der dritte konzeptionelle Versuch, dem Stoff eine ihm eigene Ikonografie zu geben. Es sollte der wirkungsmächtigste werden.

Urdeutsche Götter

Wagner und Cosima waren aus Zeit- und Kostengründen gezwungen, die ungeliebten Entwürfe zu akzeptieren. Und unter dem Druck des chronischen Geldmangels im Hause Wahnfried entschloss sich Wagner 1881, die Ausstattung der Aufführung von 1876 mit den Kostümen Doeplers an den Operndirektor Angelo Neumann zu verkaufen. Der machte den Bayreuther „Ring“ auf ausgedehnten Gastspielreisen in ganz Europa bekannt.[23] Mit der Inszenierung wurden auch die Kostüme, „da sie aus Bayreuth stammten“, als „richtungweisend“ angesehen.[24] So erscheinen, um beliebig ein Beispiel herauszugreifen, auf dem Plakat zur Pariser Aufführung der „Walküre“ von 1895 Wotan und Brünnhilde unverkennbar im Doepler-Look. Der Verbreitung der Entwürfe sollten auch die Farblithografien der Figurinen nach Doeplers Aquarellen dienen, die 1889[25] mit einem Begleittext der Schriftstellerin und Publizistin Clara Steinitz (1844-1931)[26] von der Berliner Kunstdruck- und Verlags-Anstalt herausgebracht wurden: „Den Wagnerbühnen und ihrem Sängerpersonal bedeutet es ein Geschenk, das ihnen bisher gefehlt hat.“ Dass die Entwürfe keineswegs die Gnade des Meisters gefunden hatten, wird mit keinem Wort erwähnt – im Gegenteil: Der Bühnenausstatter wird als kongenialer Künstler gefeiert, dessen Werk „einen selbstständigen Werth“ beanspruchen könne.

Die Publikation ist Kaiser Wilhelm II. gewidmet, der 1888 den Thron bestiegen hatte. Zu den politischen Überzeugungen und Ambitionen des Wagner-Verehrers passen die chauvinistischen Töne, die Clara Steinitz im Begleittext anschlägt. Nach der (in der Folge des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71) erreichten Reichseinheit sei es „um die Herrschaft der classischen Mythologien geschehen“. Das „junge Reich“, das „geeinte Deutschland“, schlage „die holden Götter Griechenlands und Latiums in die Flucht“ und setze „die eingeborene Götterwelt“ wieder in ihr Recht ein. Dass diese Welt im Wesentlichen aus altnordischen Quellen bekannt ist, stört nicht, denn die „Völker Skandinaviens“ haben, argumentiert die Autorin unter Berufung auf Jacob Grimm, nur die Kenntnis der Götter unserer gemeinsamen Vorfahren gerettet. [27] Jacob Grimm war freilich weit davon entfernt, die Götter der altnordischen Überlieferung umstandslos als „urdeutsche Götter“ anzusehen. Und nicht weniger verdreht ist, was im Folgenden über Wagners Auffassung des Nibelungen-Mythos gesagt wird. Es sind aus dem Zusammenhang gerissene, allenfalls halb verstandene Gedanken aus Wagners Schrift „Die Wibelungen“ von 1848.[28] Dass Wagner seiner „Ring“-Dichtung die altnordische Überlieferung der Nibelungen-Sage zugrunde gelegt hat (und nicht das mittelhochdeutsche „Nibelungenlied“), hat verschiedene Gründe[29], keineswegs aber war es in der Weise nationalistisch motiviert, wie die Autorin suggeriert. Die scheint denn auch Angst vor der eigenen Courage bekommen zu haben, wenn sie schließlich – ganz korrekt – feststellt, in Wagners Tetralogie „dränge sich nirgends […] ein politischer Doppelsinn auf“.

Der Chauvinismus des Begleittextes belegt auf erschreckende Weise, dass und wie der „Ring“ in den Sog der nationalistischen Nibelungen-Rezeption geraten ist. Doeplers Entwürfe hatten daran einen wesentlichen Anteil. Seine Germanen entsprachen dem populären Bild, das man sich von den Vorfahren der Deutschen machte. Die weltweite Verbreitung seiner Nibelungen-Ikonografie in Inszenierungen und Publikationen aller Art hat die Auffassung gefestigt, der „Ring“ stehe als die die deutsche „Nationaloper“ neben dem „Nibelungenlied“ als dem deutschen Nationalepos.

Madonna

Doeplers Nibelungen haben sich dem kollektiven Bewusstsein eingeprägt. Mit seinen Göttern und Göttinnen, seinen Helden und Heroinen hat er Gestalten entworfen, in denen die Deutschen sich selbst erkannt haben und in der Wahrnehmung anderer Völker erkannt wurden und werden. Längst haben sie sich aber auch von dem nationalen Bezug gelöst und stehen als frei verfügbares Spielmaterial für Bilderfindungen aller Art bereit. Ob Madonna weiß, dass sie in die Rüstung von Doeplers Walküren geschlüpft ist, als sie einmal das legendäre Bustier anlegte, das Jean Paul Gaultier für sie entworfen hat?[30]

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag stammt aus dem Band „Der Ring des Nibelungen“, der 2012 im reprint Verlag Leipzig, Darmstadt erschienen ist. Wir danken dem Verlag und dem Autor für die Publikationsgenehmigung.

[1] Bayreuther Briefe von Richard Wagner (1871–1883), 2. Aufl., Berlin / Leipzig 1907, S. 187f.

[2] Saur Allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. 28, München / Leipzig 2001, S. 238.

[3] Joachim Heinzle, Die Nibelungen. Lied und Sage, 2. Aufl., Darmstadt 2012, S. 115ff.

[4] Claudia Hattendorf / Marcus Kiefer, Arbeit am Nibelungenmythos. Johann Heinrich Füssli und das Nibelungenlied, in: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, hrsg. von Joachim Heinzle / Klaus Klein / Ute Obhof, Wiesbaden 2003, S. 547-560; Joachim Heinzle, Siegfried oder Achill? Füssli, Bodmer und die Nibelungen, in: vorschen, denken, wizzen. Vom Wert des Genauen in den ,ungenauen Wissenschaften‘. Festschrift für Uwe Meves, hrsg. von Cord Meyer / Ralf G. Päsler / Matthias Janßen, Stuttgart 2009, S. 147-163.

[5] Frank Büttner, Nibelungen-Bilder der deutschen Romantik, in: Die Nibelungen [wie Anm. 4], S, 561-582, hier S. 563.

[6] Der Brief ist abgedruckt bei Herman Riegel, Peter Cornelius. Festschrift zu des großen Künstlers hundertstem Geburtstage, 23. September 1883, Berlin 1883, S. 234-253, das Zitat S. 236.

[7] Joachim Heinzle, Bilder fürs Vaterland. Peter Cornelius erfindet das Nibelungenlied, in: Bilder – Räume – Betrachter. Festschrift für Wolfgang Kemp zum 60. Geburtstag, hrsg. von Steffen Bogen / Wolfgang Brassat / David Ganz, Berlin 2006, S. 212-229.

[8] Büttner [wie Anm.5], S. 566,

[9] Nathanael Busch, Zur Logik des Altdeutschen, in: Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur, hrsg. von Mathias Herweg / Stefan Keppler-Tasaki, (Trends in Medieval Philology 27), Berlin / Boston 2012, S. 226–247, hier S. 228ff.

[10] Busch [wie Anm. 9], S. 232f.

[11] Dass die Künstler dabei auch eigene Vorstellungen zur Geltung gebracht haben,  ist selbstverständlich. Bestimmend  blieb die „altdeutsche“ Grundorientierung. Ein schönes Beispiel sind die Illustrationen der Prachtausgabe des „Nibelungenliedes“, die die Verleger Georg und Otto Wiegand 1840 als „Denkmal zur vierten Säcularfeier der Buchdruckerkunst“ herausbrachten. Vgl. Henrike Manuwald, Das Nibelungenlied als ,moderner Roman‘? Die Wigand’sche Prachtausgabe (1840/41) und ihre Rezeption, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 84 (2010), S. 409-447 (betont das Eigenständige der Bilderfindungen).

[12] Büttner [wie Anm. 5], S. 577.

[13] Vgl. zum Folgenden Joachim Heinzle, Mythos, Mythen und Wagners Mittelalter, in: Wagner-Handbuch, hrsg. von Laurenz Lütteken, Stuttgart / Kassel 2012, S. 96-102.

[14] Richard Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, in: Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 3, Leipzig o. J. [1911], S. 42-177.

[15] Richard Wagner, Oper und Drama, zweiter und dritter Theil, in: Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 4, Leipzig o. J. [1911], S. 1-229, hier S. 64.

[16] Oper und Drama [wie Anm. 15], S. 34.

[17] Ebd., S. 38.

[18] Cosima Wagner, Die Tagebücher, Bd. I: 1869–1877, ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München / Zürich 1976.

[19] Heidemarie Anderlik, „Der Ring des Nibelungen“: Bühnenkunst und Germanenbild im 19. Jahrhundert, in: Zwischen Walhall und Paradies,. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusammenarbeit mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte SMPK, Berlin 1991, S. 27-32, hier S. 31.

[20] So Cosimas Schwiegersohn Henry Thode,  zit. nach Gisela Zeh, Das Bayreuther Bühnenkostüm, München 1973, S. 28.

[21] Zeh [wie Anm. 20], S. 28f.

[22] Ebd., S. 29.

[23] Vgl. Volker Mertens, Das Nibelungenlied, Richard Wagner und kein Ende, in: Die Nibelungen [wie Anm. 4], S. 59-496, hier S. 480.

[24] Zeh [wie Anm. 20], S. 28.

[25] In der Publikation ist das Erscheinungsjahr nicht vermerkt. Die Datierung auf  1889 ergibt sich aus dem Begleittext, in dem die kulturellen Impulse gewürdigt werden, die „seit nunmehr dreizehn Jahren“ von Bayreuth ausgingen. Die Datierung auf „1893“  im Deutschen Literatur-Lexikon [wie Anm. 26] dürfte auf einem Irrtum beruhen.

[26] Deutsches Literatur-Lexikon, 3. Aufl., Bd. 19, hrsg. von Hubert Herkommer  / Carl Ludwig Lang, Bern / München 1999, Sp. 518.

[27] Der zitierte Satz stammt aus einer Abhandlung von 1841: Jacob Grimm, Sintarfizilo, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 1 (1841), S. 2-6, hier S. 2: „Es ist eine jetzt schon unbedenkliche annahme, dass in früher zeit manche sagen aus Deutschland nach Scandinavien übergeführt wurden die, unter uns ganz verschollen, dort erhalten blieben […] es macht freude, und bewährt den engen bund beider stämme, nachzuweisen dass der norden von unseren vorfahren empfieng was er uns rettete.“ Clara Steinitz könnte den Satz in den Erläuterungen zur „Edda“-Übertragung von Karl Simrock gelesen haben, die damals sehr verbreitet war.

[28] Richard Wagner, Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage, in: Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, 5. Aufl., Bd. 2, Leipzig o. J. [1911], S. 115-155 (bes. S. 119, 131, 134). Zur Würdigung der Schrift s. Mertens [wie Anm. 23], S. 462ff.

[29] Vgl. Mertens [wie Anm. 23], S. 464f.

[30] Den Hinweis auf Madonna verdanke ich Joachim Schreiber und Regine Gamm (Primus Verlag).