Volksaufklärung, Idealismus und Öl

Eine Neuübersetzung von Upton Sinclairs „Oil!“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1927 erschien im Berliner Malik-Verlag die Übersetzung von Upton Sinclairs Öl-Roman unter dem Titel „Petroleum“, nachdem zuvor im selben Jahr schon die englischsprachige Ausgabe veröffentlicht worden war. Der Verleger Wieland Herzfelde hatte schon 1923 Upton Sinclairs (1878-1968) Roman „Hundert Prozent“ in der deutschen Übersetzung von Hermynia zur Mühlen veröffentlicht. Bis 1930 erschienen eine Werkausgabe und die Romane Sinclairs in Einzelausgeben. Damit veröffentlichte Herzfelde die bisher umfangreichste Werkschau Sinclairs im deutschsprachigen Raum. Sinclair war seit seinem Roman „The Jungle“ (1906), in dem er die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Probleme bei der Fleischverarbeitung in den Schlachthöfen von Chicago anprangerte, weit über Amerika hinaus bekannt. Er galt als sozialistischer Schriftsteller, engagierter Journalist und sozialpolitischer Reformer.

In den 1920er-Jahren lebte Sinclair in Kalifornien und thematisierte den Öl-Boom. Er kandidierte als Abgeordneter und Gouverneur in Kalifornien, sollte aber mit seinem Buch „Oil!“ weitaus mehr erreichen als mit seinem politischen Engagement. Kurz nach dem Erscheinen von „Oil!“ griff – wie so oft bei Sinclair – die Zensur ein. Eine „Feigenblatt-Edition“ erschien: Dem Buch wurde an einem Lesebändchen ein „Feigenblatt“ mitgegeben, mit dem der Leser die „problematischen“ Stellen im Buch verdecken konnte. Dass der deutsche Malik-Verlag mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, ist nicht weiter verwunderlich. Dies wird besonders dann deutlich, wenn man die kritischen Collagen von John Heartfield – dem Bruder des Verlegers Wieland Herzfelde – betrachtet, die als Schutzumschläge von Sinclairs Romanen verwendet wurden. In der Literaturwissenschaft und Literaturkritik schätzt man Upton Sinclair eher als Sozialkritiker und sozialistischen Journalisten, weniger als Schriftsteller. Seine Romane stehen unter dem Vorbehalt, reine Agitationsliteratur und daher eher journalistisch als literarisch interessant zu sein.

Dieses Vorurteil relativiert sich für den Leser mit der Lektüre von Sinclairs Romanen. Er ist knapp und präzise in Wortwahl und Beschreibung und hält sich nicht mit inneren Monologen oder detaillierten Charakterstudien auf. Im Mittelpunkt seiner Romane steht immer ein Thema, um dieses herum entwickelt er ein manchmal etwas holzschnittartig wirkendes Personal, aber es gelingt ihm immer, aus seinen Protagonisten sympathische Charaktere zu machen, die man kennen lernen möchte und sich mit ihnen gerne auf die Reise durch ein Buch und eine Geschichte begibt.

In der vorliegenden Neuausgabe von „Öl!“ – die aus den genannten Gründen nicht unbedingt selbstverständlich ist – hat man sich entschlossen, eine neue, zeitgemäße Übersetzung vorzustellen. Dabei wird der Leser erfreulicherweise im Anhang über die Überlegungen zu dieser Neuübersetzung informiert. Besonders auffallend sind dabei vor allem auch die terminologischen Überlegungen, die sich die Übersetzerin Andrea Ott gemacht hat. Das Nachwort von Ilija Trojanow trägt ebenso zu einer erfreulichen Lektüre bei, zumindest, wenn man es vorab liest. Die Geschichte des Romans ist schnell erzählt. Hauptperson ist J. Arnold Ross junior, genannt Bunny, enthusiastischer und idealistischer Sohn eines reichen Öl-Magnaten. Er wächst mit allen finanziellen und materiellen Vorteilen eines reichen Kindes auf, ist auf eine charmante Art naiv und sozialromantisch und sympathisiert mit sozialistischen und kommunistischen Ideen. Man kann sich leicht die Problematik und die Spannungen vorstellen, die sich aus diesem Szenario ergeben. Sinclair entwirft zwei parallele Welten, die sich in einem Interessenkonflikt einander gegenüber stehen. Dabei adaptiert er einerseits die Schwarz-Weiß-Malerei der Argumentationsmodelle vom „armen Arbeiter“ auf der einen und der „reichen Industriellen“ auf der anderen Seite. Aber diese ideologisch festgefahrenen Positionen bricht Sinclair immer wieder, indem er seine Protagonisten in Situationen manövriert, wo eine eindeutige Positionierung nicht möglich ist. Nur diese – bei der Beschäftigung mit Sinclair oft übersehenen Differenzierungen – machen die Lektüre erträglich, andernfalls hätte man es mit literarisch nicht weiter relevanten Texten zu tun.

Dass man sich bei der Neuübersetzung auch über die Terminologie, Sprache und Sprachduktus Gedanken gemacht hat, ist dem Verlag und der Übersetzerin Andrea Ott hoch anzurechnen. Und dass dies auch noch mit einem kompetenten Anhang dem Leser vermittelt werden soll, ist ebenfalls sehr löblich. Zusammenfassend ist Sinclairs Roman „Öl!“ sehr unterhaltsam zu lesen, hat sympathische Charaktere und erklärt sogar ein wenig die Welt von heute. Die Öl-Problematik ist zwar überholt, aber beim Abbau von anderen Rohstoffen wie Diamanten, Gas, Edelsteinen, Edelmetallen und so weiter treten die von Sinclair skizzierten Problemfelder immer wieder auf. Sinclair liefert dazu leicht verständliche Paradigmen. Ein schönes, gut lesbares und für den Leser in jeglicher Hinsicht nützliches Buch. Das der Roman als partielle Vorlage für den Film „There Will Be Blood“ (2007) gedient hat, darauf muss man nicht gesondert hinweisen, oder?

Titelbild

Upton Sinclair: Öl! Roman.
Mit einem Nachwort von Ilija Trojanow.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Andrea Ott.
Manesse Verlag, Zürich 2013.
758 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783717522546

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