Ein vielschichtiges Phänomen

Stefanie Stockhorst lässt Geisteswissenschaftler verschiedener Fachbereiche zum Thema Aufklärungsforschung zu Wort kommen

Von Kristin EichhornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristin Eichhorn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch zu rezensieren ist keine leichte Aufgabe. Das hat mit seinem Gegenstand ebenso viel zu tun wie mit seinem Anspruch: Stefanie Stockhorsts Band „Epoche und Projekt“, der auf eine Gastvortragsreihe im Frühneuzeitzentrum Potsdam zurückgeht, will einen Einblick in die aktuellen Tendenzen und Perspektiven der Aufklärungsforschung geben. Da kommt notwendig Heterogenes zusammen. Zum Teil werden spezielle Einzelphänomene untersucht wie etwa die Zeremoniellkritik Friedrichs II. (Barbara Stollberg-Rilingen) oder die Lichtmetaphorik bei Georg Christoph Lichtenberg (Elena Agazzi). Und natürlich wird über den Aufklärungsbegriff reflektiert. Da zeigt sich denn auch die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚Forschungsperspektiven‘: Einige Autoren referieren Forschungstendenzen der letzten Jahre. Andere wiederum sehen sich angeregt, eigene Vorschläge zu machen und Desiderate zu formulieren.

Der Zentralbegriff ‚Aufklärung‘ ist denkbar vielschichtig. Obwohl die literaturwissenschaftliche Sichtweise dominiert, kommen auch Philosophie, Geschichts-, Musik- und Kunstwissenschaft zu Wort, die – wie sich bei der Lektüre zeigt – mit dem Begriff ‚Aufklärung‘ unterschiedlich umgehen. In den Kunst- oder Musikwissenschaften ist er traditionell ungebräuchlich. Diese Fachrichtungen gliedern das 18. Jahrhundert stattdessen in Barock, Rokoko und Klassizismus beziehungsweise in Barock und Wiener Klassik.

Dazu kommt noch das Problem der grundsätzlichen Zweideutigkeit des Wortes ‚Aufklärung‘. Wie man weiß, bezeichnet es nicht nur eine abgeschlossene historische Epoche, sondern meint eben auch eine überzeitliche Geisteshaltung, der man sich heute noch verpflichtet fühlen kann. Darauf spielt der Titel des Bandes an: Aufklärung kann als ‚Epoche‘ verstanden werden, aber auch als nach wie vor unabgeschlossenes ‚Projekt‘.

Lässt sich vor diesem Hintergrund mit dem Begriff ‚Aufklärung‘ also überhaupt noch sinnvoll operieren? Ist er für interdisziplinäre Ansätze wirklich brauchbar oder wird man in der Kommunikation nicht ständig aneinander vorbeireden, weil man Unterschiedliches im Blick hat? Diese Annahme kann der vorliegende Band – das ist sein wohl größtes Verdienst – widerlegen. Er zeigt nämlich, dass sich das Verständnis von Aufklärung in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.

Was man inzwischen unter Aufklärung versteht, ist nicht zufällig am Beitrag des Musikwissenschaftlers Laurenz Lütteken erkennbar, der – ähnlich wie der Kunsthistoriker Roland Kanz – versucht, den Terminus für sein Fachgebiet fruchtbar zu machen. Hier wird klar: Der Blick fällt nun stärker auf die Diskurspraktiken der Zeit und nur deshalb lohnt sich die Übernahme des sonst vernachlässigten Begriffs ‚Aufklärung‘. So kann Lütteken überzeugend deutlich machen, wie sich die Entstehung einer musikalischen Öffentlichkeit auch auf das kompositorische Handwerk auswirkt. Musik soll – wie alle Künste – im 18. Jahrhundert beurteilbar sein. Der Rezipient wird als kritisch-kompetent verstanden; die Reflexion über Musik nimmt zu – all das kennt man aus der jüngeren literaturwissenschaftlichen Forschung.

Die stärkere Berücksichtigung der Denk- und Handlungsweisen der Aufklärung wird auch in den theoretischen Beiträgen sichtbar. So unterscheidet Daniel Fulda die überzeitliche „Sache der Aufklärung“ von den historisch gebundenen „Sachen der Aufklärung“, also den konkreten Umsetzungspraktiken eines bestimmten Zeitraums. Damit will er zwischen den beiden Aufklärungsbegriffen ‚Epoche‘ und ‚Projekt‘ vermitteln.

Auf diese Weise ist am Ende doch recht klar, wohin die Reise in den meisten Disziplinen geht. Der Fokus liegt – von Stockhorst in ihrer Einleitung auf den Punkt gebracht – in der Ermittlung der „grenzüberschreitenden Standardisierungen bestimmter Schlüsselkonzepte, Wertvorstellungen und Referenztexte“ und den jeweils „kulturell verschiedenen Ausformungen“ der daran geknüpften Diskurse.

Das ist notwendig schwer an eine größere Öffentlichkeit vermittelbar. Die Beiträge zeigen aber an vielen Beispielen, warum dieser Ansatz so fruchtbar ist. Schon aus dem Grund, weil in ihm das größte Vermittlungspotential zwischen den zwei Typen der geisteswissenschaftlichen Disziplinen liegt: denen, die sich mit Kunstgegenständen befassen, und denen, die seit jeher eher mit Praktiken des Denkens und Handelns (wie Philosophie und Geschichtswissenschaft) zu tun haben.

Natürlich kann man im Detail Kritik üben. Für die einzelnen Aufsätze wird das in der Fachdiskussion geschehen. Auf ein Problem der Gesamtkonzeption des Bandes sei aber hier schon hingewiesen: Es ist fraglich, ob man die Aufklärung, als historisches Phänomen verstanden, wirklich unter dem Schlagwort ‚Epoche‘ erfassen muss. Schließlich gibt es ja eine lange Diskussion über die Problematik des Epochen-Begriffs. Und überhaupt: Macht die Konzentration auf Praktiken nicht auch vom Gegenstand her einen anderen Terminus notwendig?

Das aber stellt den Wert des Buches keinesfalls in Frage. Insgesamt lässt sich nicht aufzählen, an wie vielen Stellen bei der Lektüre scheinbar gut bekannte Sachverhalte plötzlich in neuem Licht erscheinen. Sich durch das Dickicht der verschiedenen aufgemachten Problemfelder durchzuarbeiten, lohnt sich deshalb unbedingt.

Titelbild

Stefanie Stockhorst (Hg.): Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013.
325 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783835311220

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