Im Schwebezustand

Larissa Boehnings Erzählen handelt vom Scheitern

Von Thomas HöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Höller

Larissa Boehning ist im Gegensatz zu vielen der anderen Autoren, die dieses Jahr in Klagenfurt in den Ring steigen, keine ganz Unbekannte in der deutschen Literaturszene. Die 1971 in Wiesbaden geborene Schriftstellerin, die sich nach Abschluss des Studiums der Philosophie, Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte zunächst als Grafikdesignerin selbstständig machte, inzwischen auch regelmäßige Kurse in kreativem Schreiben abhält, hat 2011 bereits ihren zweiten Roman veröffentlicht. Ihre Globetrotter-Mentalität, die sie bereits in die USA, nach Asien, zuletzt auch in den Iran führte, spiegelt sich auch in ihren Erzählungen wieder. Deutschland, besonders ihre Wahl-Heimatstadt Berlin, in der die zweifache Mutter mit ihrem Mann lebt, bildet aber so etwas wie die Home-Base ihres Schreibens.

Ihr Debüt gab Larissa Boehning 2003 mit dem Erzählband „Schwalbensommer“, der bei Eichborn erschienen ist. Die darin enthaltenen Geschichten (von denen eine, „Stummer Fisch, geliebter“, ihr den Literaturpreis Prenzlauer Berg einbrachte) lassen sich wohl am besten unter dem Label „Interimsgeschichten“ zusammenfassen. Es handelt sich um Erzählungen vom Scheitern, vom Driften zwischen zwei Zuständen, Heimat und Fremde, Liebe und Aufbruch, Entlassung und Neuanfang, Leben und Tod. Sie spielen in Amerika, Deutschland oder Israel und die Verortung in der Welt wie im Leben spielt eine große Rolle für Boehnings Protagonisten, deren größter gemeinsamer Nenner ihr Schwebezustand ist. Der Vergleich mit Judith Hermann und Jenny Erpenbeck, der in Reaktionen auf ihre Erzählungen immer wieder anklingt, ist dabei durchaus angebracht.

Die andere Seite ihres Schreibens stellen ihre breit angelegten Familiengeschichten dar, die ihre Romane in die Tradition des „Generationenromans“ einreihen. Dabei liegt ihr Fokus auf Frauenfiguren und ihrem Umgang mit Erbe, Tradition und Weitergabe von Werten und Lebensarten. Ihr 2007er-Debütroman „Lichte Stoffe“ (ebenfalls erschienen bei Eichborn), der es sogar auf die Longlist des deutschen Buchpreises schaffte, erzählt die Geschichte(n) von Nele Niebuhr und ihrer Mutter Evi, verbunden durch den roten Faden der Textilien. Da sind zum einen die Stoffe, aus denen Nele in Amerika Designerturnschuhe herstellt, zum anderen der Filz, aus dem ihre Mutter Hüte macht und nicht zuletzt der Stoff der Leinwand des Degas-Bildes, das Neles Großmutter von Evis Vater, einem amerikanischen Soldaten, erhalten hat und dessen fragwürdige Herkunft alle Generationen umtreibt.

2011 erschien Boehnings zweiter Roman „Das Glück der Zikaden“ (diesmal bei Galiani). Er handelt ebenfalls von drei Generationen. Die deutschstämmige Sängerin Nadja, überzeugte Kommunistin, wird aufgrund ihrer Herkunft aus Moskau ausgewiesen und muss mit Mann und zwei Kindern ins verhasste Nazideutschland, wo ihr Mann die Familie versorgt und sie sich in einen Panzer aus Schweigen hüllt. In der nächsten Generation entscheidet sich Nadjas Tochter Senta an der deutsch-deutschen Grenze, ihrem Mann nicht mit ihrem ungeborenen Kind in die DDR zu folgen. Erst in der dritten Generation, mit Sentas Tochter Katharina, werden die Überbleibsel des Eisernen Vorhangs zurückgezogen und Versöhnung wird möglich. „Warum ich schreibe? Um mich über Bord zu werfen, in jedem Text wieder. Viele zu sein, nicht nur ,Ich‘ sagen zu müssen“, sagt Boehning über ihr Schaffen.

In Klagenfurt wird sich Larissa Boehning vermutlich auf die Stärken ihrer kurzen Erzählungen verlassen. Ob die recht konventionelle Erzählweise der von Meike Feßmann ins Rennen geschickten Literatin beim Bachmann-Preis bestehen kann, muss sich zeigen. Chancen hat Boehning, die auch eine schöne Erzählstimme mit in die Waagschale werfen kann, durchaus.

Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.