„Das Unaussprechliche“ und die Literatur

Ein Interview mit Heinz Helle bei den 37. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt am 6.7. 2013

Von Thomas HöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Höller

Als alle Autoren ihre Texte vorgetragen haben und die Preisverleihung am Sonntag mit Spannung erwartet wird, gelingt es mir, Heinz Helle für ein kurzes Interview vor das Mikrophon zu bekommen.

TH: Die Lesungen sind vorbei. Bist du mit der Atmosphäre und vor allem mit der Art, wie die Jury deinen Text aufgenommen hat, zufrieden?

Helle: Die Atmosphäre gefällt mir gut. Diese konzentrierte Auseinandersetzung mit Literatur, finde ich, zeigt eine große Wertschätzung. Das finde ich alles sehr schön. Es gibt ja auch immer so Gerüchte, der Bachmann-Preis sei ein brutaler Anlass. Das habe ich jetzt gar nicht so empfunden. Ich bin mit der Kritik an meinem Text insoweit ganz zufrieden, weil sie ihn sehr konzentriert besprochen haben und zum Teil sehr genau. Ich fand es auch interessant, in welche Richtungen sie vorgestoßen sind bei der Interpretation, aber irgendwann ging es in eine Richtung, die ich persönlich nicht so interessant fand oder nicht so treffend eigentlich. Was ich ein bisschen vermisst habe: Es wurde wenig über Rhythmus und Sprache gesprochen, das waren für mich die Hauptbestandteile dieses Textes und er wurde dann eher ein bisschen sozialkritisch interpretiert, das ist für mich eigentlich nur ein Nebenkriegsschauplatz.

TH: Meike Feßmann hat das Wort „Generationenporträt“ in die Diskussion eingebracht. War bei dir eine Intention in dieser Richtung vorhanden oder lag dein Fokus eher auf der sehr getakteten Sprache, werbesprachlich ist dabei meiner Meinung nach zu viel gesagt…

Helle (lacht): Danke.

TH: Jedenfalls hat der Sprachrhythmus bei dir ein sehr großes Gewicht. Unübersehbar waren für mich aber auch generationentypische Diskussionen, etwa die Fußball-Massenhysterie-Thematik. Ist bei dir so etwas wie ein Generationenporträt intendiert gewesen oder kann man so etwas überhaupt intendieren?

Helle: Ich finde die zweite Frage ist eine sehr gute Frage. Ich habe das nicht intendiert und ich würde auch behaupten, die wenigsten Leute, die so etwas tun, haben das wirklich vor. Ich glaube nicht, dass jemand sich hinsetzt und sagt: „Jetzt schreibe ich ein Generationenporträt“ – und das habe ich eben auch nicht gemacht. Es hat mich auch weniger die Generation interessiert als Fragen nach dem „Ich“, die dann natürlich auch ein bisschen philosophisch beeinflusst sind. Was ist ein „Ich“, was ist ein „Wir“, wie stabil ist das und das auch auf der sprachlichen Oberfläche wirklich mal auszuprobieren. Es ist dann eigentlich nicht entscheidend, ob man in Thailand am Strand ist oder ein Fußballspiel anschaut, das hätten eigentlich auch ganz andere Beispiele sein können.

TH: Im Bereich der Bewusstseinsphilosophie klinken sich natürlich dann, gerade bei deiner doppelten intellektuellen Herkunft Philosophie/Literatur, was sich ja auf keinen Fall ausschließen muss, Fragen nach den Grenzen der Bewusstseinsphilosophie an, die theoretisch nicht mehr gut überwindbar sind. Ist für dich Literatur möglicherweise auch ein Weg, tote Winkel der Philosophie des Geistes oder der Philosophie generell ausloten zu können?

Helle: Absolut, ja. Es ist dann natürlich keine genuin philosophische Auseinandersetzung mehr. Aber vielleicht kann es Literatur gelingen, in den Bereich zu kommen, den Wittgenstein „das Unaussprechliche“ nennt. Insofern würde ich bejahen, was du eben formuliert hast.

TH: Sehr schön. Anfang 2014 erscheint dein erster Roman bei Suhrkamp, das ist ja schon mal eine Hausnummer. Kann man bereits eine grobe Richtung erfragen, oder ist der Roman noch so „work in progress“, dass du sagen würdest, ich möchte mich dazu noch nicht in ein, zwei Sätzen äußern? Gibt es schon einen Titel?

Helle: Der Titel ist noch nicht abschließend entschieden. Ich sage aber gern ein paar Sätze dazu, weil das Manuskript eigentlich fertig ist, wir sind schon beim Lektorieren und was ich gelesen habe, ist auch ein Teil aus dem Roman. Es ist neu kompiliert für diesen Anlass, aber das Material ist aus dem Roman. Eigentlich geht es da um das Gleiche, die Schwierigkeiten eines „Ich“, das sich selber beim Ich-sein beobachtet, ein „Ich zu sein“. Ist das ein richtiger Satz gewesen?

TH: Für Philosophen auf jeden Fall. Das große andere Thema, das ich glaube herausgehört zu haben und das auch in der Jury angesprochen wurde, ist das Spannungsfeld von Freiheit und Notwendigkeit, das in selbstreflexiven Erzählungen immer eine Rolle spielt. Hast du solche „Mammutfragen“ als Leitfaden im Hinterkopf oder kommen solche Themen in den Text hinein, wenn man sich intensiv mit einem Protagonisten auseinandersetzt, den man gerade erschafft?

Helle: Ich denke, Letzteres ist der Fall. Ich hatte jetzt diese Thematik nicht im Sinn, als ich angefangen habe, mich mit dem Roman zu beschäftigen. Ich glaube aber, dass selbstreflexive Menschen wahrscheinlich immer viel Freiheit haben, wahrscheinlich sogar zu viel, sonst würden sie sich nicht so viel mit sich selbst befassen. Vielleicht ist das darum in der Natur des Problems schon mit drin.

TH: Dankeschön. Ich wünsche dir erst mal viel Erfolg für morgen und vielleicht noch mehr für den Roman.

Anmerkung der Redaktion: Heinz Helle wurde bei der Preisverleihung am nächsten Tag mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet, der von verschiedenen Verlagen gestiftet und mit 5000 Euro dotiert ist.

Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.