Hart, stressig und undankbar

Die Weltklassetorhüterin Hope Solo wagt in ihrer Autobiografie manch offenes Wort

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michel Platini, der Präsident der UEFA, tat sich während der diesjährigen Europameisterschaft anlässlich der Frage, warum ausgerechnet per Los und nicht nach sportlichen Kriterien entschieden wurde, ob die Russinnen oder die Däninnen ins Viertelfinale einziehen durften, mit einem sexistischen Kommentar hervor. Mit Frauen sei schlecht streiten, meinte er, und die hätten eben für einen Losentscheid plädiert. Kathrin Steinbichler schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ dazu treffend: „Platini dachte wohl, er sei witzig, doch Kommentare wie diese sind es, die jede Debatte über die Gleichbehandlung der Geschlechter im Sport ersticken. Denn in Wahrheit offenbaren seine Worte eine Haltung, die davon ausgeht, dass alleine die biologischen Voraussetzungen von Frauen und Männern eine inhaltliche Ungleichbehandlung rechtfertigen würden.“ Anschließend wendet sich Steinbichler den sportlichen Leistungen der Spielerinnen zu und unterstreicht, wie sehr sie während der Europameisterschaft begeisterten.

Das taten sie auch schon bei so manch anderer Gelegenheit. Hope Solo etwa, die Torhüterin des auf Weltranglistenplatz eins stehenden US-Amerikanischen Teams, begeisterte bereits bei zwei Weltmeisterschaften. Wie zuvor die deutsche Spielerin Steffi Jones hat sich die Keeperin von Weltklasse-Format nun in die noch nicht allzu lange Reihe der fußballspielenden Autobiografinnen eingereiht. Beiden ist nicht nur gemein, dass sie begnadete Fußballerinnen sind (beziehungsweise waren, Jones hat ihre aktive Zeit schon seit einigen Jahren hinter sich), sondern auch, dass sie in ihrer Kindheit nicht eben auf Rosen gebettet waren. Nicht zuletzt davon berichten beide in ihren Büchern.

Solo wuchs in der US-amerikanischen Kleinstadt Hanford auf, wo während des Zweiten Weltkriegs in einer „streng geheimen Abteilung“ am Manhattan-Projekt gearbeitet wurde, das die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ermöglichte. In dem beschaulichen Städtchen „feiert man diesen alles vernichtenden Schlag bis heute“, weiß Solo zu berichten. Selbst das Wappen ihrer ehemaligen High School „‚ziert’ ein Atompilz“ und die Teams werden vom Spielfeldrand mit dem Schlachtruf „Nuku ‘em, nuke’em, nuk ‘em till they glow!“ angefeuert.

Bevor Solo mit nachfühlbarer Gänsehaut hiervon erzählt, versichert sie in einem kurzen Vorspann jedoch zunächst einmal, sie beschreibe ihr Leben „mit meinen eigenen Worten, aus meiner eigenen Sicht“. Letzteres wird wohl so sein. Hinsichtlich ihrer Behauptung, das Buch sei in ihren eigenen Worten geschrieben, wird man hingegen einige Abstriche machen müssen, nennt das Titelblatt als Autorinnen doch „Hope Sole mit Ann Killion“. Solche Formulierungen deuten im Allgemeinen darauf hin, dass die Zweitgenannten als Ghostwriter ersterer fungiert. Dafür spricht im vorliegenden Fall auch der professionelle, gelegentlich fast sogar schon geschliffene Stil, woran in der deutschen Ausgabe auch der Übersetzer einen gewissen Anteil haben dürfte. In ihrer Metaphorik vergreift sich Solo jedoch schon einmal. So etwa wenn sie angesichts des Unentschiedens, das sie bei der WM 2007 gegen Nordkorea sicherte, formuliert: „Ich rettete uns das Leben.“

Was nun die sportliche Seite betrifft, so berichtet Solo nicht nur von den großen Erfolgen und Niederlagen im Nationalteam, sondern auch mit ebensolchem emotionalem Engagement von ihren High School-Spielen. „Auf dem Platz war mein Leben in Ordnung“, erzählt Solo aus dieser Zeit. Das mag zwar recht klischeehaft klingen, wird aber wohl so gewesen sein.

Zunächst einmal verhinderte sie noch keine Tore, sondern schoss sie als Stürmerin, um sodann einige Jahre sowohl im Angriff als auch im Tor zu spielen. Ganz ohne falsche Beschiedenheit, jedoch nie prahlerisch, wohl aber mit offensichtlichem Stolz nennt sie die genau Anzahl der Tore, die sie im High School-Team erzielte und die Schüsse, die sie als Torhüterin parierte. Obwohl es „nicht glamourös, sondern hart, stressig und undankbar“ ist, im Tor zu stehen, entschied sie sich im Nationalteam der U17 endgültig für die Position zwischen den Posten.

Gleich im ersten Satz bringt Solo ihr Lebensgefühl auf eine ebenso kappe wie prägnante Formel, die auch das Buch prägen wird: „Ich glaube nicht an Happy Ends.“ Wer würde das schon in einer Welt, in der das Dasein gemeinhin mit dem Tod endet. Und doch, es gibt nicht wenige, die dieser optimistischen Denkungsart anhängen. Hope Solo gehört ganz sicher nicht dazu. Denn „Happy Ends gibt es in meiner Familie nicht“, erklärt sie.

Die bestand aus einer Mutter, die lange Zeit allzu sehr dem Alkohol zuneigte, einem kriminellen Vater, von dem die anderen Familienmitglieder nicht einmal den richtigen Namen kannten, einem Bruder, der nicht selten Ärger mit der Polizei hatte und einem Stiefvater, mit dem sie nie so recht warm wurde. Ihren leiblichen Vater aber hat sie – man muss sagen: trotz allem – sehr geliebt. Denn er hat sich nicht nur herumgetrieben, seine Frau betrogen und krumme Geschäfte gemacht, ja sie sogar einmal als Siebenjährige entführt, wofür er vor ihren Augen verhaftet wurde, sondern sie auch „mit Liebe überschüttet“. Nachdem sie einander jahrelang aus den Augen verloren hatten, wollte er sie 2007 zur Weltmeisterschaft nach China begleiten, starb jedoch wenige Monate zuvor. Auch dies kein Happy End. So hing sie dort dem etwas makabren Ritual an, vor dem Anpfiff eines jeden Spiels etwas von seiner Asche im Tor zu verstreuen.

Nach 250 Seiten kommt sie noch mal auf die Happy Ends zu sprechen. Deren „Problem“ sei, dass sie „nie lange anhalten“. Das ist ein Aphorismus von fast schon Lichtenberg’schem Format. Eines ihrer Paradebeispiele dafür, dass es mit Happy Ends nicht so weit her ist, ist eben die Weltmeisterschaft von 2007. Natürlich gab es wie bei allen Meisterschaften auch da ein Happy End. Und zwar für die Deutschen, die nach dem verdienten Endspielsieg gegen die Brasilianerinnen die Arme jubelnd in den Himmel recken durften. Für Hope Solo allerdings nicht. Besagte Brasilianerinnen hatten zuvor die Amerikanerinnen mit einem demütigenden 4:0 vom Platz gefegt. Kein Happy End also für die US-Girls. Hope Solos Tragödie der WM von 2007 begann aber bereits vor diesem katastrophalen Spiel. War sie bis dahin Stammtorhüterin der US-Elf gewesen, verbannte deren Trainer Gerry Ryans sie vor dem entscheidenden Spiel nach Absprache mit einigen wichtigen Feldspielerinnen auf die Ersatzbank, von wo aus sie den Untergang ihres Teams beobachten musste. „Die Entscheidung“, sie nicht spielen zu lassen, „war falsch und ich denke, jeder, der etwas von Fußball versteht, weiß das. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass ich die Bälle gehalten hätte“, erklärte Solo unmittelbar nach dem Apfiff in einem Interview, das Aaron Heifetz, der Pressesprecher der US-amerikanischen Elf, vergeblich zu verhindern versuchte.

Für diese offenen Worte wurde Hope Solo aus dem Team geworfen und von ihren ehemaligen Mitspielerinnen geschnitten. Zuvor aber musste sie noch vor einem Tribunal ihrer Kolleginnen erscheinen und Selbstkritik üben. Derlei würde man eher im Land des US-amerikanischen Vorgruppengegners Nordkorea erwarten. Sollte es sich auch nur annähernd so zugetragen haben, wie von Solo geschildert, trübt dies etwaige Sympathien für das US-Team nicht eben wenig.

Offene Worte hat sie allerdings nie gescheut. So charakterisiert sie im vorliegenden Buch etwa einige ihrer Kolleginnen aus dem Nationalteam, ohne mit ihrer Meinung hinter dem Berg zu halten. Und das besagte Spiel gegen die Brasilianerinnen bezeichnete sie noch lange danach als „das schlimmste WM-Spiel in der US-Geschichte“. Das ist sicher nicht übertrieben. Ebenso wenig übertrieben ist es, wenn Solo das Viertelfinalspiels bei der Weltmeisterschaft vier Jahre später in Deutschland als „monumentales Ereignis“ charakterisiert. Wiederum ging es gegen Brasilien. Inzwischen hatte Pia Sundhage die Nachfolge Ryans angetreten und Solo umgehend wieder zwischen die Pfosten des US-amerikanischen Tors gestellt. Auch darum gelang es den Amerikanerinnen diesmal, die Brasilianerinnen aus dem Turnier zu werfen. Ein Happy End gab es für Solo und die ihren allerdings auch 2011 nicht. Sie unterlagen im Endspiel den glücklicheren Japanerinnen.

Ebenso wie Solos Autobiografie keine Happy Ends kennt, hat auch diese Rezension keines zu bieten, trotz der olympischen Goldmedaille, die Solo inzwischen errang. Denn eine Woche nach der WM in Deutschland gab sich Solo für Nacktphotos her, die das amerikanische Sport-Magazin ESPN veröffentlichte. So recht wohl schien sie sich dabei allerdings nicht zu fühlen, wollte sie doch „die Sache so schnell wie möglich hinter sich“ bringen. Zu Recht natürlich und dies nicht nur, weil ein bestimmtes Foto, dessen Veröffentlichung sie nicht wünschte, natürlich doch im Heft zu finden war. Zu seiner Aufnahme hatte ihr der Fotograf einen Gartenschlauch in die Hand gedrückt, „den ich vor mich halten und sprühen sollte. Die Anspielung war offensichtlich und geschmacklos“, erkennt sie. Auch in die Bildergalerie des Buches hat sie ein Nacktfoto aufgenommen. Das sie hierfür ein anderes Bild wählte, macht es nicht wirklich besser.

Anzumerken ist schließlich noch, dass man das abschließende „Bonus Chapter“ der amerikanischen Originalausgabe in der deutschen Übersetzung vermissen muss.

Titelbild

Hope Solo: Mein Leben als Hope Solo.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Sailer.
edel Verlag, Hamburg 2013.
330 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783841902269

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