Zeitgenössische Jugendliteratur

Marja Rauch analysiert ausgewählte „Jugendliteratur der Gegenwart“ für den Literaturunterricht

Von Kirsten KumschliesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Kumschlies

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erklärtes Anliegen des Bandes „Jugendliteratur der Gegenwart“ von Marja Rauch ist es, neuere jugendliterarische Texte für den Unterricht der Sekundarstufe I zu erschließen, wobei die Autorin betont, keinesfalls Klassiker und Gegenwartsliteratur gegeneinander ausspielen zu wollen. Vor diesem Hintergrund ist es ihr wichtig, intertextuelle Bezüge zwischen zeitgenössischen jugendliterarischen Texten und klassischen zu akzentuieren.

Zunächst referiert Rauch sehr gründlich den aktuellen Forschungsstand zur Jugendliteratur. Sie liefert eine Begriffsbestimmung, in der sie die feste Fügung „Kinder- und Jugendliteratur“ auflöst und sich nur auf die Jugendliteratur bezieht. Hierbei versteht sie die Jugendliteratur als jene Literatur, die sich an ein junges Publikum zwischen 12 und 18 Jahren wendet, womit klar die intentionale Jugendliteratur in den Blick genommen wird. Rauch plädiert dabei für eine stärkere Differenzierung zwischen Kinder- und Jugendliteratur in der Forschung. Sie stellt für die Gegenwart eine wachsende Entkopplung der Kinder- von der Jugendliteratur und eine Annäherung der Jugendliteratur an die Belletristik fest, die sich auch im vieldiskutierten All-Ages-Trend spiegelt. Dieser Entwicklung trägt der vorliegende Band Rechnung.

Auf die Begriffsbestimmung folgen ein historischer Abriss der Geschichte der Jugendliteratur und ein Referat der aktuellen literaturdidaktischen Diskussion zum Einsatz von Jugendliteratur im Unterricht, das einschlägige Arbeiten berücksichtigt. Die Autorin stellt hier Überlegungen an zum geschlechterdifferenzierenden sowie zum interkulturellen Literaturunterricht und betont, dass der Band sich einem medienreflexiven Deutschunterricht verpflichtet sieht, womit sie sich zweifelsohne im Trend der gegenwärtigen literaturdidaktischen Diskussion bewegt.

Im zweiten Teil des Buches verbindet Rauch differenzierte Textanalysen mit unterrichtspraktischen Vorschlägen. Ausgewählt hat sie hier bekannte, viel diskutierte Jugendbücher, die in den letzten Jahren (1999–2011) erschienen sind, und exemplarisch für ein Genre stehen sollen: „ Nennt mich nicht Ismael!“ von Michael G. Bauer (problemorientierter Roman), „Alhambra“ von Kirsten Boie (historischer Roman), „Der Junge im gestreiften Pyjama“ von John Boyne (zeitgeschichtlicher Roman), „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ von Andreas Steinhöfel (Kriminalroman), „Alabama Moon“ von Watt Key (Abenteuerroman), „Tintenherz“ von Cornelia Funke (Fantastischer Roman), „Percy Jackson – Diebe im Olymp“ von Rick Riordan (Fantasy), „Blueprint“ von Charlotte Kerner (Science Fiction), „“Tschick“ von Wolfgang Herrndorf (Adoleszenzroman), „Nichts was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller (Philosophischer Jugendroman), „Der Schrei des Löwen“ von Ortwin Ramadan (Interkultureller Jugendroman).

Die Auswahl dieser Texte ist durchaus einschlägig, und Rauch bietet dazu sehr lesenswerte, gründliche Analysen. Sie betont, dass die Genrezuordnungen niemals eindeutig sein können, zumal viele Texte einen hybriden Charakter aufweisen (beispielsweise zeigt der in das Genre Science Fiction eingeordnete Text „Blueprint“ Züge des Adoleszenzromans, und bei zeitgeschichtlicher Kinder- und Jugendliteratur spricht man grundsätzlich von deren hybridem Charakter, der sich durch Genremischungen zeigt). In Bezug auf den interkulturellen Roman bemerkt Rauch, dass dieser in Handbüchern zur Kinder- und Jugendliteratur bislang nicht als eigenständiges Genre aufgeführt wird. Sie versteht darunter „jugendliterarische Texte, in denen dargestellt wird, wie zwei oder mehrere Kulturen miteinander in Berührung kommen und die auf sprachliche, inhaltliche oder formale Weise von dem Aufeinandertreffen der Kulturen bestimmt sind.“

Die Unterrichtsvorschläge sind eher assoziativ und weisen zahlreiche Redundanzen auf (zum Beispiel wiederholt sich das Schreibgespräch mehrfach). Jedoch bieten sie dem Deutschlehrer einen umfangreichen und kreativen Fundus, auf den er im schulischen Alltag gut zurückgreifen kann.

So sei das Buch vor allem praktizierenden Lehrern und Referendaren wärmstens empfohlen, da es eine überzeugende Hilfestellung für die Planung eines zeitgemäßen Literaturunterrichts mit modernen jugendliterarischen Texten darstellt. Literaturdidaktische Forschungsergebnisse werden umfassend referiert, ohne dass viel Neues gebracht würde. Rauchs Buch ist ein schöner Praxisband, mit Innovationspotenzial für einen zeitgemäßen Literaturunterricht – nicht mehr und nicht weniger.

Titelbild

Marja Rauch: Jugendliteratur der Gegenwart. Grundlagen, Methoden, Unterrichtsvorschläge.
Erhard Friedrich Verlag, Seelze 2012.
265 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783780049339

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